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Pflegekräfteimperialismus in Zeiten von Corona

Von Klaus Hecker, Untergrundblättle, 14. Mai 2020. Wie Deutschland sich an den Ressourcen anderer Länder
bedient und wofür so ein Virus alles herhalten soll. 
Bekannt ist, dass Gesundheitsminister Spahn durch die Welt reist, um
Pflegekräfte für den Dienst an deutschen Krankenhäusern zu gewinnen.


Berliner Stadtbild während der Covid-Krise, März 2020


Insbesondere
auf dem Balkan (Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Albanien, Kosovo), aber auch
die Philippinen und Mexiko stehen im Focus.

Da fragt sich doch, warum gibt es eigentlich nicht in Deutschland genug
Pflegekräfte. Hat das vielleicht etwas mit den katastrophalen
Arbeitsbedingungen – sprich immer weiter ansteigenden Arbeitsbelastungen – zu
tun, auch mit der notorischen schlechten Entlohnung, worauf das Bündnis
Krankenhaus statt Fabrik hinweist?(1)

So gesehen würde die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte noch einmal die
bescheidenen Sozial-und Lohnstandards unterlaufen, sind sie doch aus ihren
Heimatländern noch Schlechteres gewohnt. Der Konkurrenzdruck würde ein
trade-unionistisches Auftreten der heimischen Pflegekräfte aufgrund der nun
erfolgenden Konkurrenz von aussen deutlich erschweren. Und darin liegt sicher
eine wesentliche Kalkulation von Spahn. Das Märchen, ´es gebe hierzulande
sozusagen naturwüchsig einfach viel zu wenig Interessenten für diesen
Arbeitsbereich, muss entschieden zurückgewiesen werden. Das ist aufgrund
politischer Kalkulationen herbeigeführt worden, nicht ungezielt eingetreten.

Damit einhergehend wäre oder besser ist ein nicht gering einzuschätzendes
Sparprogramm, wälzt man die nicht unerheblichen Ausbildungskosten doch auf die
Herkunftsländer ab.

Spahn rühmt sich dafür, dass das eine triple-win Situation wäre, da es eine
Verpflichtung gebe, nur in diesen Ländern Pflegekräfte anzuwerben, die über
einen Überschuss verfügen. Dieses ist nachweislich falsch.(2)

Triple win: einmal für das Herkunftsland, welches arbeitslose Kräfte abgeben
könne.

weiterhin das Zielland, also Deutschland, welches freie Stellen besetzen könne

und schliesslich für den/die Betroffene/n selbst.

Die Reflexion – überwiegend in nationalen Kategorien laufend – verstellt,
welche Auswirkungen/Nachteile diese vermeintliche für alle existierende
Situation beispielsweise für die hier schon beschäftigten Pflegekräfte hat:
objektiv die Funktion des Lohndrückers.

Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt:

Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa)
melden. Die DeFa kümmert sich um Anträge für Visa, Berufsanerkennung und
Arbeitserlaubnis. Pflegekräfte aus dem Ausland sollen so binnen sechs Monaten
in Deutschland arbeiten können. Das Saarland hat die DeFa in enger Abstimmung
mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gegründet und damit einen
Beschluss aus der Konzertierten Aktion Pflege umgesetzt. Bereits jetzt
bearbeitet die DeFa mehr als 4.000 Anträge auf Vermittlung von Pflegekräften.

Die Bundesregierung wirbt Pflegekräfte nur in Ländern an, deren Bevölkerung im
Schnitt sehr jung ist und die deutlich über ihren eigenen Bedarf ausbilden.
“(3)

Fatmir Brahimaj, Präsident der albanischen Ärztekammer, weiss, dass sein Land
auf einem ungeschützten Arbeitsmarkt keine echte Chance hat: “Ich weiss
nicht, wo ich eine Schatulle voll Gold finden kann, um dieses Phänomen zu
stoppen”.(4)

Das klingt nicht gerade begeistert und noch weniger danach, dass Albanien
überflüssiges Pflegepersonal nach Deutschland weiterreicht.

Bei dem von Minister Spahn geplanten Pflegebudget, das Anfang 2020 als neue
Finanzierungsform eingeführt werden soll, hält die Krankenhausgesellschaft
Sachsen mehr Geld für Arbeiten nötig, die von der Pflege auf andere Berufsgruppen
übertragen wurden.

Beispiele dafür sind Stationsapotheker, die Essenversorgung oder der
Patiententransport. Spahns Vorhaben sieht vor, dass für solche Arbeiten bis zu
drei Prozent des Pflegebudgets berücksichtigt werden könnten. Die
Krankenhausgesellschaft Sachsen dringt hingegen auf eine Grössenordnung von
sieben bis zehn Prozent.

Sollten Arbeiten, die die Kliniken wegen Kapazitätsengpässen aus der Pflege
ausgelagert haben, wieder (teilweise) dorthin zurückwandern, bräuchte es laut
Klinikmanager Schüller mindestens zehn Prozent mehr Pflegekräfte.”

Nochmal zu Triple win.

Vereinfachung der Einreise Anwerbeprogramm der Bundesagentur für Arbeit.
“Triple Win” heisst es, weil drei Seiten gewinnen sollen:
Deutschland, das Heimatland, der Bewerber.

Und sie vereinfacht den Prozess massiv: Bei den deutschen Botschaften auf dem
Westbalkan warten Arbeitsmigranten sonst bis zu ein Jahr auf einen Termin. Die
Botschaften sind von den vielen Anfragen nach Arbeitsvisa überfordert. Mit
Triple Win geht es leichter. Wartezeiten für Termine, so steht es auf der
Botschaftsseite, gibt es mit dem Programm nicht. Alles soll schnell gehen. Und
effektiv. Statt mehr als ein Jahr brauchen die Pflegekräfte bei Triple Win etwa
ein halbes.

Was sich in den letzten Jahren schon sowieso zu einem üblen Missstand in den
Krankenhäusern entwickelt hat, da hinein wirkt nun der Corona Virus wie ein
Brandbeschleuniger.

Die Mittel dagegen sind in der Reihenfolge diese:

  1. In der
    Tagesschau treuzherzig (Herr Spahn) schauen, Botschaft, wir haben alles im
    Griff.
  2. Deshalb
    verdienen wir ganz viel Vertrauen.
  3. Dem völlig
    überlasteten Pflegepersonal eine Konkurrenztruppe aus dem Ausland
    zuführen, die sowieso mit (fast) allem zufrieden ist.
  4. Eine
    Ausbildungsinitative für diese Berufe in Deutschland, daran ist nicht
    gedacht. Das wäre auch ein Widerspruch zur Ökonomisierung des
    Krankenhauswesens, was ja oberste Priorität geniesst, aber als
    Ausbeutungstatsache nicht gern angesprochen wird.
  5. Schliesslich
    sei noch erwähnt, dass die wirtschaftlich dahinsiechenden Balkanländer mit
    jedem abziehenden Arzt, mit jeder abziehenden Krankenschwester jenseits
    der Wirkung auf das dortige Gesundheitswesen ein Loch in einen kleinen und
    bescheidenen Wirtschaftsaufschwung reissen.
Aber auch heimisch
ist das, was Spahn als Bekämpfung des Corona Virus ausgibt, etwas, was z.B. die
Hamburger Krankenhausgesellschaft zur Verzweiflung treibt.

Der Vorsitzende Jörn Wessel hält als Kritik an dem Eilgesetz von
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fest:

“Eine erbsenzählerische, kleinkrämerische Erweiterung eines an sich schon
dysfunktionalen Finanzierungssystems ist das Gegenteil von dem, was
Krankenhäuser jetzt brauchen.”

und: Die Krankenhäuser seien fassungslos über das Auseinanderklaffen
politischer Versprechen und der vorgesehenen Umsetzung

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Katholische
Krankenhausverband bezeichneten die Pläne als unzureichend, als “herbe
Enttäuschung” und als “fatalen politischen Fehler”.(5)

Eines muss man Jens Spahn lassen, auch in der derzeitigen mehr als angespannten
Katastrophen Situation geht es ihm darum, die Gewinnmaschine Krankenhaus, die
ja über viele Jahre sukzessive eingerichtet wurde, nicht in Frage zu stellen,
sondern als Priorität vorn an zu stellen und den Ärzten und Organisatoren des
Krankenhauswesens mit diesem aparten Gesichtspunkt, der unrüttelbar an Nummer 1
gesetzt ist, das Leben schwer zu machen.

Fussnoten:
1. Bündnis “Krankenhaus statt Fabrik”
2. Monitor vom 12.03.2020, Diese Monitorsendung möchte ich ausdrücklich
empfehlen, sehr gut recherchiert, sehr aufklärerisch, bitte anschauen
3. Pressemitteilungen des Bundesgesundheitsministerium
4. Balkan soll beim deutschen Pflegenotstand helfen, DW, 01.12.2018
5. Krankenhäuser fühlen sich von Spahn im Stich gelassen, Hamburger Abendblatt,
21.03.2020
6.
Zeit-online, 21.03.2020 AOL Mobile Mail