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Wir brauchen mehr Wissen und mehr Dialog mit Russland – ProMosaik im Gespräch mit Horst Otto vom Verein Deutsch-Russische Friedenstage Bremen e. V.

Von Milena Rampoldi, 18. Mai 2021. Anbei mein Interview mit Horst Otto, Mitbegründer des Vereins Deutsch-Russische Friedenstage Bremen e. V. zu verschiedenen Themen rund um den Verein, seine Zielsetzungen und die deutsche Russlandpolitik.

8. Mai: Solistin Lena Titowa singt Katjuscha

Welche sind die Hauptzielsetzungen Ihres Vereins?

Im Zentrum unseres Vereins Deutsch-Russische Friedenstage Bremen stehen die Themen Frieden und gute Nachbarschaft mit Russischen Föderation.

Wir haben den Verein 2019 gegründet, um für eine Politik der Vernunft und Verständigung zu werben.

Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, mehr Informationen über das Leben und die Kultur in Russland zu vermitteln. Mehr Begegnungen mit Menschen in Russland wollen wir fördern, z. B. durch Entwicklung einer Städtepartnerschaft zwischen Bremen und einer Stadt in Russland. Ebenso wollen wir jene Menschen in unserer Stadt ansprechen, die aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zu uns gezogen sind und mit uns leben. Und natürlich wollen wir auch die deutsch-russischen Beziehungen thematisieren, um dem gegenwärtigen Russland-Bashing etwas entgegen zu setzen.

Dabei wissen wir aus einer Studie des forsa-Instituts von 2018, das 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland für wichtig halten. Daran knüpfen wir mit unseren Angeboten für kulturelle und politische Veranstaltungen an.

Welche Ziele verfolgen Sie mit der Veranstaltung vom kommenden 8. Mai?

Die Erinnerung an den 8. Mai 1945 ist uns Herzenssache. Immerhin bedeutet dieser Tag die Befreiung Europas vom deutschen Faschismus und Krieg! Die Mitglieder des Vereins für Deutsch-Russische Friedenstage sind sich bewusst, dass die Völker der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg die Hauptlast zur Zerschlagung der deutschen Wehrmacht getragen haben. Ebenso ist uns vor Augen, welches Leid dieser Überfall in die Familien des Landes gebracht hat und das noch heute die Folgen der Zerstörungen von Dörfern, Städten und Industrieanlagen erkennbar sind.

Mit unserer Veranstaltung am 8. Mai an der Ochtum in Bremen erinnern wir an die Opfer des 2. Weltkrieges und sowjetische Kriegsgefangene, die in zwei Barackenlagern geschunden und auch zu Tode gebracht wurden.

Am 9. Mai schließen wir uns auf dem Osterholzer Friedhof jenen Menschen an, die sich am Erinnerungsort für KZ-Opfer und Kriegstote treffen. Mit unserer Teilnahme unterstreichen wir: Niemand ist vergessen und nichts ist vergessen! 

In diesem Sinne unterstützen wir die Aussage des Altbundespräsidenten Richard von Weizäcker, der 1985 erklärte: „Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung!“ So schließen wir uns der Forderung zum Beispiel von Esther Bejanaro, Überlebende des KZ Auschwitz, an, den 8. Mai zu einem gesetzlich verankerten Feiertag in der BRD zu fixieren.

8. Mai: Horst Otto spricht für den Verein Deutsch-Russische Friedenstage

Warum ist die Freundschaft mit Russland gerade heute wieder oder noch aktuell?

Da gibt es zahlreiche Aspekte! Zunächst ist da die Erinnerung an die Befreiung von Faschismus und Krieg! Daraus erwächst für uns Deutsche die Verantwortung, alles zu tun, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt.

Dazu zählt auch die Erkenntnis, dass es dauerhaften Frieden in Europa nur gemeinsam mit Russland geben kann!

Und vergessen wir nicht: Zwischen Deutschen und Russen gab es jahrhundertelang intensive Handelsbeziehungen, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch. Was wäre unsere Kultur ohne die russische Literatur, Kunst, Musik, ohne das russische Theater? Ich nenne Literaten und Dichter wie Tolstoi, Dostojewski, Gorki, Puschkin und Jewtuschenko. Ich sehe die herausragenden Maler Jawlenski, Malewitsch und Repin. Und Musiken von Prokofjew, Schostakowitsch und Tschaikowski bewegen noch heute große Emotionen.

Präsident Putin hat im Deutschen Bundestag die berühmten Leistungen von Goethe, Schiller und Kant in Erinnerung gebracht. Ebenso erwähnte er Heinrich Heine. Das sind Potenziale gemeinsamer Kultur, an die wir anknüpfen können. Natürlich sind wir neugierig, wie das heutige Russland aussieht; wie entwickelt sich die Architektur; welche Rolle spielen Zukunftsfragen wie der Klimawandel; wie entwickelt sich das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen und Nationalitäten im Land; welche neuen sozialen und kulturellen Errungenschaften prägen heute das Leben?

Wir sehen in einer entwickelten Freundschaft mit dem heutigen Russland einen wesentlichen Grundstein für ein gemeinsames Haus Europa, in dem alle ihren gleichberechtigten Platz finden. Dafür wollen wir werben.

Was macht die deutsche Politik falsch, wenn es um Russland geht?

Erinnern wir uns an die Rede von Präsident Putin 2001 im Deutschen Bundestag! Dort hat er ein zukunftsträchtiges Angebot für die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent unterbreitet. Gemeint ist die gemeinsame Wirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok. Dieses Angebot wurde von deutschen Politikern nie aufgegriffen. Die Chance auf eine gemeinsame positive ökonomische und kulturelle Perspektive wurde auf Betreiben der USA nicht ernsthaft verfolgt. Stellen wir uns vor, welches Potenzial die gleichberechtigte Kooperation auch für die Entwicklung des Lebensstands in Deutschland und den anderen Ländern Europas bedeuten würde.

Stattdessen wurde durch deutsche Politiker, die ein Interesse an einer konfrontativen Situation haben, das Vorrücken der Nato an die Grenzen Russlands wider alle Vernunft vorangetrieben. Der Rüstungsetat wird ständig ausgeweitet. Heute ist die Welt unsicherer geworden. Statt Kooperation erleben wir Konfrontation. Diese destruktive Haltung sehen wir auch im Angriff auf die Gaspipeline Nord-Stream-2. Diese Entwicklung erfüllt uns mit Sorge.

Warum ist es so wichtig, sich einer Kultur des Vergessens zu widersetzen?

Betrachten wir die Nachkriegsgeschichte, so erkennen wir, dass in der Bundesrepublik von Beginn an daran gearbeitet wurde, die deutschen Interessen für den Beginn des Krieges am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen zu verschleiern. Insbesondere der von der deutschen Regierung mit Wehrmacht und SS geplante Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion wird aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt.

Dazu passt die Ablehnung durch Bundestagspräsident Schäuble, den 22. Juni 2021, den 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion 1941, mit einer Gedenkstunde im Bundestag zu begehen.

Es würde Deutschland gut zu Gesicht stehen, wenn Parlament und Regierung an die Verbrechen der Wehrmacht, der SS und der SA in der Sowjetunion erinnern  und gedenken würde. Regierungsoffizielle Erinnerungsorte, die diese Seite der Verbrechen beleuchten, fehlen bei uns.

Wir sind überzeugt: Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gewinnen! Wichtig ist natürlich auch der Widerstand gegen neonazistische Formationen, die in Europa wieder das Haupt heben.

Was haben Sie bisher erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Der Verein ist noch jung und wächst kontinuierlich. Mit der Vernetzung bestehender Initiativen wollen wir die Wirkkraft unserer Initiativen verstärken. So planen wir für den 22. Juni um 17.00 Uhr eine große Kundgebung auf dem Marktplatz in Bremen. Thema wird das Erinnern für die Zukunft sein: Nie wieder gegeneinander – gemeinsam für Frieden. Вместе за мир! Gerahmt wird die Veranstaltung von einem bewegenden Musik- und Pantomime-Programm.

Im September stehen die 3. Deutsch-Russischen Friedenstage an. Dazu zählen eine Ausstellung über die Blockade Leningrads, eine Lesung mit dem Schauspieler Rolf Becker und ein großes Friedensfest mit Kurzweil und Pelmeni am 18. September auf dem Campus der Circus-Schule Jokes, Kornstr. 315 a, 28201 Bremen ab 14.00 Uhr.

Für die Zukunft wünschen wir uns den Aufbau einer lebendigen Städtepartnerschaft mit vielen persönlichen Begegnungen.

Weitere Informationen: www.deutsch-russische-friedenstage.de