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Demokratie und die Notwendigkeit der Skepsis

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Demokratie
bedeutet Diskurs, Demokratie bedeutet Gespräch, Austausch, Zweifel,
Auseinandersetzung, lösungsorientierter Ansatz und Dynamik. Was Demokratie
trotz der etymologischen Ableitung des Begriffs nicht ist, ist die Herrschaft
der Mehrheit im Sinne der Dominanz einer unpolitischen Masse von „Idioten“,
diesmal im etymologischen Sinne, d.h. Vorherrschaft einer Masse, die sich von
der Politik raushält und sich von jeglichem politischen Engagement in der
Gesellschaft distanziert.


Wenn ich politisch denke und handle, hinterfrage ich. Und da
ist der Weg zur Verbindung zwischen Demokratie und Skepsis geebnet. Auch der
Begriff Skepsis soll aber nicht negativ als unüberbrückbarer Zweifel ausgelegt
werden, sondern wohl gemäß der Semantik des Altgriechischen, d.h. als
Hinterfragung, Betrachtung, Analyse. Ich sehe einen unentbehrlichen
Zusammenhang zwischen Demokratie und positiv ausgelegter Skepsis. Die Skepsis
streitet die Wahrheit nicht ab, sondern suspendiert das eigene Urteil, um sich
besser zu informieren, mehr über ein Thema zu erfahren, bevor man blind den
Dogmen der „Mehrheit“ im negativen Sinne verfällt.

Ich finde, dass die Diskussion über die Aufrechterhaltung des
Erbes der altgriechischen Skeptiker gerade in der Coronakrise unerlässlich ist.
Ich muss zweifeln dürfen, gerade weil es um Gesundheit und Politik und um
Freiheitseinschränkungen in der Demokratie geht. Seit Corona unser Leben
beherrscht, werden in der Demokratie unerforschte Dogmen kritiklos übernommen,
weil Worte wie Gesundheit der Gesellschaft, Kampf gegen einen unsichtbaren
Feind auf dem virologischen Schlachtfeld fallen und Menschen vor den
Katastrophenszenarien unzähliger Toter einfach Angst haben.
Aber was hat Demokratie mit Freiheitseinschränkungen,
Übernahme von Dogmen, Kritiklosigkeit und Angstmache zu tun? Im Grunde schlicht
und einfach gar nichts.

Demokratie bedeutet Austausch von Meinungen, Erforschung von
Wahrheiten, Ablehnung fertiger, kritiklos übernommener Dogmen und Suche nach
der Wahrheit jenseits des Scheins.

Die Frage nach dem Warum, die
Neugierde, all dies führt uns dazu, demokratisch zu denken und zu handeln. Wenn
wir uns nach dem Warum der Coronamaßnahmen fragen und unser Urteil aussetzen
und hinterfragen, was die Medienpropaganda predigt und welche Dogmen sie uns
aufzwingen möchte, denken und handeln wir demokratisch.

Zwei wichtige Aspekte der
Demokratie sind die Kritik an der Medienpropaganda und die Anerkennung der
Vielfalt im politischen Diskurs, auch innerhalb der einzelnen Parteien und
politischen Strömungen. Und das Ganze fehlt wir im Moment. Menschen, die
vorherrschende Medienberichte als unwahr oder dogmatisch zu entlarven
versuchen, gelten als Corona-Verweigerer und Verschwörungstheoretiker.
Menschen, die nicht mehr wissen, wo links und rechts ist und am Ende aus beiden
Lagern verschwinden, gelten als politisch verwirrt. Menschen, denen die
Vielfalt in der deutschen Partei Die Linke fehlt, werden mundtot gemacht.

Wer die harte Lockdownlinie der
Parteichefin hinterfragt, gilt als Nicht-konformer Linker, der das Virus und
seine Gefahren unterschätzt. Die Vielfalt und Weltoffenheit der Opposition sind
wie verschluckt. Man erkennt nicht mehr, wo diejenigen sind, die sich mit
Meinungsfreiheit und Anti-Rassismus, Kosmopolitismus und Anti-Militarismus,
Revolutionsdenken und Kritik an den staatlichen Maßnahmen politisch in Szene
gesetzt hatten, als das Corona-Virus noch nicht die politische Bühne besetzte
und uns alle zum Schweigen zwang.
Auf der offiziellen Webseite der
Partei „Die Linke“ heißt es nach der Rechtfertigung der Corona-Maßnahmen
aufgrund der Virus-Gefahr und der Notwendigkeit der Eindämmung der Krankheit
Folgendes:

Ein „Lockdown“, d.h. eine Schließung der Demokratie ist verfassungswidrig
und muss auf den Widerstand aller Demokraten treffen. 

Der Linke Andrej Hunko (MdB) auf der Kundgebung “Die Gedanken sind frei” am 16. Mai in Aachen. Bild: Kritische Aachener Zeitung/CC BY-2.0
Das ist
absolut richtig. Frage mich nur: Wo sind diese Demokraten aus der Linken und wo
ist ihr Widerstand materiell auf den Straßen sichtbar? Wer erhebt die Stimme?
Wer hinterfragt? Wer ist hier der Skeptiker in der Partei? Finde den Ansatz von
Andrej Hunko gut, der am 16. Mai 2020 in Aachen demonstrierte. Aus seinem
Redemanuskript
geht aber hervor, wie groß der Rechtfertigungsbedarf noch ist. Und hier muss
sich dringend was ändern. Sonst gehören die Straßen Deutschlands bald dem
rechten Widerstand und nicht der linken Revolution. Hunko schreibt, und dies
sollte uns zum Nachdenken anregen:

„Ich
spüre seit einigen Wochen einige wachsende Sorge in Teilen der Bevölkerung,
dass es im Zuge zu einem längerfristigen Abbau von Grund- und Freiheitsrechten
kommen kann, wie es Edward Snowden hier ausdrückt, „The virus is harmful, the
destruction of rights is fatal“, eine Sorge, die sich bei vielen mischt mit der
wachsenden Sorge um die eigene soziale und wirtschaftliche Situation, weil die
Konsequenzen des Lockdown erst langsam spürbar werden. Diese Sorge braucht eine
demokratische Ausdrucksform und Versammlungen wie diese hier sind ein
ur-demokratisches Recht, um sich ausdrücken zu können.“  

Das Motto
von Hunko am Ende seines Manuskripts lautet: Bleibt gesund und bleibt kritisch!
Ich würde hinzufügen: Bleibt skeptisch!