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Poesie und weibliche Menschenrechtsarbeit: ein Interview mit Milena Rampoldi über Ellen Rohlfs

von Evelyn Hecht-Galinski, Sicht vom Hochblauen, 25.10.2016. Anbei mein Interview mit der
Autorin des Buches “Ellen Rohlfs – Gedichte für den Frieden in Nahost” ,
Milena Rampoldi vom Presseportal ProMosaik. Das Interview fokussiert im
Besonderen auf die Bedeutung der Poesie und der weiblichen Stärke im Bereich
der Menschenrechte. Ein weiteres wichtiges Thema ist der Antizionismus und
seine ideologische Begründung.



Evelyn Hecht-Galinski: Was verbindet Sie vor allem mit
Ellen Rohlfs?
Milena Rampoldi: Mit Ellen Rohlfs verbindet mich die
Sisyphusarbeit für Palästina, die Übersetzung und das Dasein als Frau im Kampf
gegen die Ungerechtigkeiten des israelischen Staates, der den Holocaust
manipuliert, um dadurch konstante Menschenrechtsverstöße weißzuwaschen und diese
dem Westen noch als legitime Sicherheitsvorkehrungen zu verkaufen.
Was mich noch mit Ellen verbindet, ist die schmerzliche Empathie
für das Leid der Menschen, unabhängig davon, auf welcher Seite sie stehen: für
das jüdische Leid von damals während des Holocausts und für die Palästinenser
von heute in der fortschreitenden Nakba. Denn die Palästinenser fielen dem
Verwandlungsprozess der jüdischen Siedler, die aus der Naziverfolgung flohen
und nach Palästina kamen, in Täter, wie
es im Gedicht „Höre Israel!“ von Erich Fried so schön heißt
, zum Opfer. Die
Nakba als Katastrophe und Ermordung, Verfolgung, Vertreibung und
Unterdrückung der Palästinenser bis heute ist ein Leitmotiv unseres Übersetzens
und Schreibens für Palästina. Wir schreiben in deutscher Sprache und übersetzen
in die deutsche Sprache, um den Deutschen, den damaligen Tätern, aufzuzeigen,
wie die heutigen Täter im zionistischen Staat nicht die Opfer von damals,
sondern die Kolonialisten und Unterdrücker von heute sind. Noch etwas, was mich
mit Ellen verbindet, ist die Überzeugung der Wichtigkeit der Einbeziehung der
Poesie, Kunst und Musik in den Diskurs rund um die Menschenrechte, wie ich in
meinem ersten Projekt zum Thema
Poesie und Menschenrechte in Zusammenarbeit mit der Künstlerin LaBGC aufgezeigt
habe
. Dies hat mich auch dazu motiviert, die Gedichte und Biographie von
Ellen Rohlfs im vor kurzem veröffentlichten Buch „Ellen
Rohlfs, Gedichte für den Frieden in Nahost“
vorzustellen. Die Poesie wird
somit für mich zu einem Werkzeug des Kampfes der MenschenrechtlerInnen gegen
die Gewalt des kolonialistischen Zionismus.
Evelyn Hecht-Galinski: Warum ist die Zusammenarbeit
und Vernetzung von Menschenrechtlern so wichtig?
Milena Rampoldi: Kooperative und vernetzte
Menschenrechtsarbeit war mein Ziel, als ich 2014 das Presseportal ProMosaik
gründete. Mit dem Blog begannen wir gerade, als im Sommer 2014 der Gazakrieg
wütete. Die Menschenrechtsarbeit bedeutet für mich eine Zusammenarbeit mit
anderen Menschen, auch mit Andersdenkenden, da ich sehr stark an die
verschiedenen Farben und Wege glaube, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Die
Bestätigung dessen, dass Menschenrechtsarbeit auch sehr stark mit der
Anerkennung ideologischer, kultureller und religiöser Diversität im
Zusammenhang steht, finde ich im Besonderen im folgenden Koranvers 93:16 wieder,
in dem es heißt: „Und wenn Allah gewollt hätte, hätte er euch sicherlich zu
einer einzigen Gemeinschaft gemacht.“ Somit sollen wir uns auch in der
Menschenrechtsarbeit der Herausforderung der Diversität stellen. Das ermöglicht
uns, auch mal die Stimme des Feindes zu hören und uns mit Menschen
auseinanderzusetzen, die andere Lösungswege sehen als wir selbst. Da es im
Moment keine wahre Lösung gibt, um den Weltfrieden zu gewährleisten, sollten
wir uns öffnen und auch auf Meinungen hören, die uns nicht überzeugen. Gerade wenn
es um Themen wie den vom Krieg gefolterten Nahen Osten geht, sollten wir den
streitenden Menschen den Weg der Versöhnung aufzeigen.  
Evelyn Hecht-Galinski: Was bedeutet Antizionismus für
Sie?
Milena Rampoldi: Der Antizionismus bedeutet für mich auf
einer ideologischen Ebene die Widerlegung des Kolonialismus als
politisch-militärisches Instrument, auf einer ethischen Ebene die Widerlegung
der Entmenschlichung bzw. Auslöschung der Palästinenser durch das zionistische
Narrativ, auf einer sozialen Ebene die Widerlegung der Ethnokratie und auf
einer theologischen Ebene die Widerlegung des „Auserwähltseins“ als
Rechtfertigung für den Siedlerimperialismus, während das „Auserwähltsein“ des
Juden in der Torah nicht mit Macht, sondern mit ethischer Demut und mit Werten
der Menschlichkeit und der Verpflichtung
zu tun hat. Ich erlebe sehr stark
den Widerspruch zwischen dem Judentum von Hillel
und dem militärisch-kolonialistischen Zionismus von heute. Das ist glaube ich
einer der Hauptgründe, wofür ich mich ideologisch dem Antizionismus anschließe.
Antizionismus bedeutet auf einer interkulturellen und interethnischen Ebene
schließlich die Auflehnung gegen Apartheidregime im Allgemeinen, in denen das
Leben einer Ethnie mehr zählt als das Leben einer anderen. Ich bin nämlich fest
davon überzeugt, dass wir Menschen alle gleich sind. Denn wie der Prophet des
Islam so schön sagte: „Die Menschen sind gleich wie die Zähne eines Kammes“.  
Evelyn Hecht-Galinski: Welche sind Ihrer Meinung nach
die Hauptaussagen der Poesie von Ellen Rohlfs?
Milena Rampoldi: Eine Kernaussage betrifft für mich vorab die
stilistische und intentionale Ebene der Poesie. In „Trockene Gedichte“ zeigt
uns Ellen Rohlfs auf, warum sie schreibt und schreiben muss und warum ihre
Gedichte trocken sind. Diese methodologische Trockenheit durchdringt alle ihre
Gedichte, die sie nicht schreiben würde, wäre es nicht notwendig. Den Zwang,
Gedichte für Palästina zu verfassen, verbindet Ellen Rohlfs auch mit der
Notwendigkeit des Schreis (ganz nach Edvard Munchs Gemälde), um laut gegen das
Unrecht zu klagen, bis jemand hinhört. Somit hängen Poesie, Gerechtigkeit und
Emotionen auch sehr stark zusammen. Das Leid der Palästinenser nimmt Ellen
Rohlfs emotional sehr stark mit, und auf dieser Grundlage setzt sie sich für
die Rechte der Palästinenser ein. Menschenrechtlerin zu sein bedeutet für sie
einfach ein empathischer Drang hin zum Schrei für die Gerechtigkeit für
Palästina, gerade als Deutsche, die das NS-Regime hautnah erlebt hat und somit
das „Nie Wieder“ auch für Palästina fordert. Aber aus ihren trockenen Gedichten
liest sich auch das positive Leitmotiv „I have a dream“ von Martin Luther King
heraus; ein Gedicht mit diesem Titel widmet Ellen Rohlfs ihrer Freundin Rachel,
der verstorbenen Frau von Uri Avnery. Ein Thema, das auch sehr stark aus den
Gedichten von Ellen Rohlfs herausklingt, ist die Bedeutung des interreligiösen
Dialogs für die Förderung des Weltfriedens und der gemeinsamen Bemühung aller Monotheisten
für die Beendigung der Gewalt im Nahen Osten. Denn es ist gleich zwölf, warnt
die Poetin in einem Gedicht.
Evelyn Hecht-Galinski: Wie wichtig sind Frauen im
Kampf für die Menschenrechte?

Milena Rampoldi: Als muslimische Feministin bin ich felsenfest
davon überzeugt, dass Frauen der Pfeiler aller Gesellschaften sind, und dies
unabhängig von Kultur, Sprache, Religion und Tradition. Und gerade im Kampf
gegen Gewalt und Menschenrechtsverstöße können die Frauen in unseren
Gesellschaften einen großartigen Beitrag leisten. In Palästina wie auch
anderswo: Frauen lehnen sich gegen die Besatzung auf, Frauen harren in den
Gefängnissen aus, Frauen kämpfen für ihre Kinder, Frauen protestieren gegen
Gewalt und Diskriminierung. Frauen, die noch nicht so weit sind, erlernen das
Menschenrechtsbewusstsein von den anderen Frauen. Und dieses Bewusstsein hat
mit Empowerment und Würde zu tun. Denn auf starken und würdevollen Frauen baut
jede Gesellschaft ihre Menschenrechtsarbeit auf.