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Die Juden: “Ein auserwähltes Volk”?



von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.- Für mich persönlich widersprechen sich Zionismus und Judentum vollkommen als Weltanschauungen in Theorie und Praxis. Daher sehe ich mich auch immer als eine philo-jüdische Antizionistin. Das zeige ich seit der Gründung von ProMosaik anhand zahlreicher Artikel und vor allem durch viele von mir geführte Interviews mit antizionistischen Juden auf. 
In diesem kurzen Kommentar möchte ich auf einen der von den rechtsradikalen Zionisten am meisten manipulierten Grundsätze des Judentums eingehen. Und dieser ist der Leitgedanke der Auserwähltheit des jüdischen Volkes, der so leicht zu manipulieren ist, wenn man ethnozentrisch und rassistisch denkt, anstatt das Ganze ethisch und universalistisch zu deuten. 


Das jüdische Volk wurde von Gott auserwählt. Daran besteht für alle gläubigen Monotheisten kein Zweifel. Denn das jüdische Volk war das erste Volk, das der Empfänger der monotheistischen Botschaft Gottes war, die dann im Christentum und Islam fortgesetzt wurde. 
Für mich persönlich hat dieser Grundsatz eine zweifache Valenz: einerseits bezieht er sich offenbarungsgeschichtlich auf die Erfahrung Gottes durch die jüdischen Propheten und durch das jüdische Volk. Auserwähltheit hat aber nicht nur diese chronologische Bedeutung, sondern ist auch ein ethischer Begriff im universalistischen Sinne. Im ethischen Sinne bedeutet die Auserwähltheit der Juden, die chronologisch die “Ersten” waren, zu denen Gott seine Offenbarung herabsendete, Verantwortung für sich selbst, die Mitmenschen im weitesten Sinne (nicht nur für die anderen Juden), die Gesellschaft (als Weltgemeinschaft) und die Schöpfung (inklusive der Natur und der gesamten Menschheit). 
Wie die Muslime sind die Juden dazu aufgerufen, Sorge zu tragen, sich zu kümmern, das Gute zu tun und das Böse zu vermeiden, gerade weil Gott zu ihnen gesprochen hat und sie somit in einem ethischen Sinne auserwählt sind. Judentum wie Islam fokussieren auf die Auserwähltheit des Menschen als von Gott Angesprochenen und als Statthalter Gottes auf Erden. 
Aber dieser Mensch ist NIE auserwählt, weil er etwas Besonderes ist, sondern nur aufgrund der Botschaft, die Gott ihm gesendet hat. Er ist auserwählt als Empfänger einer Botschaft. Selbst die Propheten sind nur Menschen. 
Was wir heute in der israelischen Regierung und Gesellschaft erfahren, in der rechtsradikale Siedlergruppen die Ermordung der Palästinenser rechtfertigen, weil sie den Juden untergeordnet sind, hat nichts mit dem Judentum und seiner Ethik zu tun. Die Fortführung einer Nakba seit Jahrzehnten, die Misshandlung palästinensischer Häftlinge, die Tötung von Menschen durch Bombenangriffe, die Apartheid, die Entwurzelung von Olivenbäumen, die Zerstörung von Wasserressourcen, die Belästigung von Menschen in ihrem Alltagsleben, die nächtlichen Razzien, die Siedlungspolitik, die Blockaden, die Siedlergewalt: all diese widerspricht genau dieser Auserwähltheit der Juden im offenbarungsgeschichtlichen und ethischen Sinne. 
Man könnte mir vorwerfen, dass ich keine Jüdin bin und daher das Judentum zu sehr von meinem muslimischen Gesichtspunkt aus als den Vorreiter des islamischen Universalismus sehe und somit auch als universale Religion und nicht als Stammesreligion betrachte. Ich sehe auch die Diaspora der Juden als Auserwähltheit, um die jüdische Ethik unter den Nicht-Juden zu leben und sehe somit Israel als einen zionistischen Staat an, der selbst dem Messianismus des Judentums widerspricht. Denn Gott ist im Judentum Teil der Geschichte. Und Gott agiert in der Geschichte. Daher widerspricht der zionistische Kolonialismus dem Judentum zutiefst. Da kann ich mich nur den Lehren von Gruppen wie Neturei Karta anschließen, die mit den Arabern zusammenleben, gerade als ethisch handelnde Juden. 
In diesem Abschnitt aus der Webseite Hagalil findet sich eine sehr treffende Beschreibung der jüdischen Lehre der Auserwähltheit. Daraus sollten die israelischen Bürger und Politiker, die vollkommen dem ethnozentrischen Faschismus verfallen sind, noch was lernen, wenn es nicht zu spät ist: 


“Die jüdische Religion beansprucht universale Geltung. Der Gott Israels ist
kein Stammesgott, der die anderen Völker von sich weist, sondern offenbart
sich einem Volk als Träger seines Lichts in der Welt. Will man ein Bild zur
Verdeutlichung wählen, so ist das Volk Israel der Kern, um den das Fruchtfleisch
der Völker wächst. Gott ist einzig (griech. Monotheismus = Glaube an einen
Gott), unsichtbar, gestaltlos und verkörpert weder den Lauf der Natur, noch
wohnt er ihren Elementen inne.

Das Judentum ist die älteste monotheistische Religion. Die religions- und
glaubensgeschichtliche Bedeutung des
Judentums ist außerordentlich groß. Das
Judentum ist die Mutterreligion des
Christentums und des Islams. Die Juden sehen
sich aufgrund ihrer historischen Entwicklung
als ein von Gott auserwähltes Volk. So
feiern die Juden auch den Sabbat, um dem
siebten Tage als Gott sich nach seiner
sechstägigen Schöpfung  ausruhte, zu
verehren.

“Der Schöpfung große Gotteswoche ging zur Neige. An sechs Tagen hatte der
Ewige die Wunder seiner Allmacht über den Erdball gestreut; nun da das Morgenrot
des Siebenten Tages vom Himmel leuchtete, ruhte sich unser Vater von jeglichem
Werke. Er heiligte diesen Tag und segnete ihn und setzte ihn ein zum ewigen
Gedächtnis der Gottesruhe nach der Gottesarbeit.
Ehre den Sabbat! Denn Gott hat ihn gemacht zum Tage des Herrn.” (Auszug aus
einer Übersetzung  der Tora, 1986)
Aus diesen Worten wird das Verhältnis  der Juden zu Gott und den anderen
Religionen klar sichtbar.

Diese Konzeption trug einzigartigen Charakter in der Antike. Die Völker Des
Mittelmeerraumes bewegten sich in religiösen Vorstellungen der Vielgötterei
(griech.: Polytheismus). Bildliche Darstellungen irdischer Wesen genossen zum
Beispiel bei den Griechen göttliche Ehren. Immer wieder gefährdeten
Fruchtbarkeitsmythen  die israelitische Religion. Der Monotheismus gab
durch die strenge Ablehnung der Götterwelt der anderen Völker Anstoß zum
Ärgernis. Besonders in der Epoche des Hellenismus erregten die Juden den
Verdacht, dass sie die Kultur anderer Völker verachten. Die These vom 
“auserwählten Volk” lässt manche Missdeutung zu. Sie ist primär theologisch zu
verstehen und bedeutet für den Gläubigen keine Bevorzugung gegenüber anderen
Menschen. Es ist vielmehr eine Verpflichtung zu strengem, gottgewolltem Handeln,
eher eine Erschwernis , denn ein Privileg im weltlichen Sinne.”



Quelle: http://www.hagalil.com/deutschland/ost/judentum/relgrund.htm