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Catharina de Carvalho von Denk an mich: Jede Diskriminierung aufgrund einer Behinderung stellt eine Verletzung der menschlichen Integrität und der Menschenrechte dar

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei
mein Interview mit der Geschäftsführerin der Schweizer Stiftung Denk an mich mit
Sitz in Zürich Catharina de Carvalho, der ich herzlichst für ihre Zeit danken
möchte. Ich habe mich mit ihr über die Stiftung Denk an mich und ihre Ziele
unterhalten. Die Stiftung kümmert sich in der Schweiz um die Inklusion von
Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten in der Freizeit und finanziert im
Besonderen Spielplätze und Urlaubserfahrungen, um Menschen zusammenzubringen
und für eine solidarische Gesellschaft zu arbeiten. Denn nur durch gemeinsame
Erfahrungen und durch das Leben im Miteinander und durch den Dialog überbrückt
man Vorurteile und Berührungsängste und lernt die Anderen so zu akzeptieren,
wie sie sind.
Milena
Rampoldi: Für ProMosaik ist die Inklusion das Zauberwort, wenn es um Menschen
mit Behinderung in unserer Gesellschaft geht. Was denken Sie darüber?
Catharina de Carvalho: Jeder Mensch hat Anspruch auf Anerkennung seiner Würde, auf Freiheit,
Recht und Gerechtigkeit. Jede Diskriminierung aufgrund einer Behinderung stellt
eine Verletzung der menschlichen Integrität und der Menschenrechte dar.
Menschen mit Behinderungen müssen die Freiheit haben, eigene Entscheidungen zu
treffen und dort, wo eine Begleitung in der Entscheidungsfindung notwendig ist,
erfolgt diese neutral.
Und
trotz diesen Grundwerten frage ich mich manchmal, ob eine inklusive
Gesellschaft überhaupt möglich oder erstrebenswert ist. Und trotz diesen
Zweifeln bin ich davon überzeugt, dass wir diesen Weg gehen müssen.
Die
Gesellschaft muss besser verstehen, warum alle Angebote und Strukturen allen
offenstehen sollen. Bei Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit einer
Behinderung ermöglicht ein offenes aufeinander Zugehen den Dialog. Es ist
wichtig zu fragen,  welche Hilfestellung der
Andere möchte.
Es ist auch wichtig zu betonen, dass
Menschen mit Behinderungen keine Schutzbedürftige sind, sondern Personen mit
Rechten und Pflichten, die ihre Eigenständigkeit aktiv leben sollen.
MR:
Welche sind die Hauptzielsetzungen der Stiftung Denk an mich?
CdC:  Wir
unterstützen Ferien-, Freizeit- und Mobilitätsangebote, die den Menschen mit
Behinderungen die ungehinderte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.
Aber auch Angebote, die für Chancengleichheit, Barrierefreiheit und Achtsamkeit
stehen. Menschen mit einer Behinderung sollen dort mitmachen können, wo sie
möchten und wo ihre Fähigkeiten es zulassen.
Wir unterstützen Projekte, Programme und Angebote, bei deren
Entwicklung Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt miteinbezogen werden
und aktiv mitwirken können, auch dann, wenn sie Unterstützung bei der
Entscheidungsfindung benötigen. Institutionen, Organisationen und fallweise
auch Einzelpersonen unterstützen wir subsidiär, wenn diese nicht in der Lage
sind, ihre Angebote aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Gleichzeitig lancieren
wir selber Aktionen und Projekte, die Pionier- und Vorbildcharakter haben.
Unsere Stiftungstätigkeit beruht auf der Einsicht,
dass Behinderung aus einer Wechselwirkung zwischen individueller
Beeinträchtigung und gesellschaftlichen Barrieren entsteht
.
MR:
Warum haben Sie sich entschieden, auf Ferien und Freizeit zu fokussieren?
CdC:
Menschen mit Behinderungen sollen Ferien und Freizeit chancengleich und
selbstbestimmt planen und erleben können. Dies wird dann ermöglicht, wenn die
physischen Hindernisse beseitigt, die Barrieren im Kopf abgebaut und die
Angebote des Ferien- und Freizeitsektors für alle Menschen zugänglich sind.
Dafür engagiert sich die Stiftung «Denk an mich» seit 1968, in enger
Partnerschaft mit Schweizer Radio und Fernsehen SRF und dessen Programmen.
MR:
Wie wichtig ist die Inklusion des “Anderen”, der Menschen mit “anderen
Fähigkeiten” für den Aufbau einer toleranten Gesellschaft?
CdC: Sehr
wichtig. Ich denke, das habe ich ausführlich mit meiner Antwort der
Einstiegsfrage beantwortet. Ich bin überzeugt, dass gelebte Akzeptanz und
Toleranz  gegenüber Menschen mit
Behinderungen auch zur Toleranz in der gesamten Gesellschaft führt. Kontakte zu
Menschen bereichern unser Leben. Aus Begegnungen können wir lernen und erhalten
viel zurück, wenn wir es den wollen und zulassen.
MR:
Welche Hauptziele verfolgen Sie mit dem Projekt Spielplätze für alle?
CdC: Dass Inklusion
im Sandkasten beginnt.
Ein Spielplatz
für alle
muss für Kinder, Jugendliche und Begleitpersonen – 
mit und
ohne Einschränkung – zugänglich und nutzbar sein. Ein
Spielplatz
für alle
will vielen Anforderungen und unterschiedlichen Ansprüchen gerecht
werden. Der Schwerpunkt liegt dabei in der grundsätzlichen Auseinandersetzung
mit der Bedeutung des Spiels sowie der nutzergerechten Gestaltung des Spiel-
und Freiraums. Ein
Spielplatz für alle muss im
Sinn der Chancengleichheit hindernisfrei sein und bei den mehrfach nutzbaren
und flexiblen Spiel- und Bewegungsangeboten grösstmögliche Sicherheit bieten.
Diese Grundgedanken
leiteten uns, als wir das Projekt 2011 dank einem grosszügigen Legat der
Sängerin Monica Morell starten konnten.
  Das im Jahre 2011 vorerst über vier Jahre geplante Projekt ist
nun bis ins Jahr 2019 verlängert worden. Heute sind wir mit unseren Spielplätzen für alle in allen
Landesteilen und Sprachregionen der Schweiz vertreten. Bis Ende 2016 werden wir
38 barrierefreie Spielplätze für Menschen mit Behinderung mitgetragen haben.   
MR:
Welche positiven Erfahrungen haben Sie mit dem Projekt Ferien für alle gemacht?
CdC: Über
die Hälfte der 52 Jugendherbergen in der Schweiz sind heute für Menschen mit
Behinderungen barrierefrei zugänglich. Bei fünf dieser Häuser konnte die
Barrierefreiheit dank der finanziellen Unterstützung der Stiftung Denk an mich
realisiert werden. Fünf weitere Projekte befinden sich in Planung. Die Anzahl
hindernisfreier Betten stieg seit Projektbeginn im Jahr 2013 um rund 20
Prozent.
Ziel dieses Projektes
war es, das gesamte Angebot der Schweizer Jugendherbergen – von der Informationsbeschaffung im Internet bis hin zu den Häusern – hindernisfrei zu gestalten.  
Zudem ebnete “Ferien – zugänglich für alle”
den Weg für das Folgeprojekt «Barrierefreie Schweiz» zur Förderung des
hindernisfreien Schweizer Tourismus unter der Trägerschaft von Denk an mich.
MR:
Was hat Ihre Stiftung bereits erreicht und was wünschen Sie sich für die
Zukunft?
CdC: Was
ich mir wünsche, ist eine solidarische Gesellschaft und dass Projekte, die den
Menschen in den Mittelpunkt stellen immer grössere Kreise ziehen. Ich bin davon
überzeugt, dass sich das „Handicap im Kopf“ durch Begegnungen abbauen lässt. Die
Öffnung für den Mitmenschen ist das, was ich mir wünsche und dass man sich so der
Isolierung von Menschen widersetzt.