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Authentische Berichte von Berner Akademikerinnen


von Urs P. Gasche, Infosperber, 4. Juli 2016.
Während der 1930er und 1940er-Jahre litten Frauen stärker an sozialen Ungerechtigkeiten und Krieg als an der Diskriminierung.
Schon in den 1860er Jahren hatten Schweizer Universitäten Frauen zum Studium zugelassen und damit weltweit eine Pionierrolle eingenommen. Vorbereiten mussten sich die jungen Frauen allerdings über Privatunterricht oder Lehrerinnenseminare. Erst ab 1900 nahmen öffentliche Gymnasien auch Mädchen auf.
Nach den Universitätsabschlüssen sahen sich Frauen wegen ihres Geschlechts allerdings zahlreichen Berufshindernissen ausgesetzt. «Auf der strapaziösen Suche nach Arbeit wanderten Frauen um die halbe Welt», schreibt die Historikerin Franziska Rogger in ihrem neuen Buch «Kinder, Krieg und Karriere». Es enthält in den Neunzigerjahren geführte Interviews mit 27 betroffenen Berner Akademikerinnen, die vor dem Zweiten Weltkrieg studiert hatten. Fast alle sind unterdessen gestorben.
Die 1930er und 1940er-Jahre waren vor dem Zweiten Weltkrieg von Arbeitslosigkeit geprägt. Selbst Männer hatten Mühe, eine Stelle zu finden. Deshalb wollten die meisten ihre Frauen am Herd behalten, was auch der dominierenden Rollenverteilung entsprach. Die Theologen liessen Frauen nicht auf die Kanzel, der Anwaltsberuf stand Frauen erst ab 1923 offen. Lehrerinnen erhielten keine Beamtenstellen in Vollzeit, sondern mussten sich mit Teilzeitstellen oder Stellvertretungen zufrieden geben. Sie würden ja doch nur für kurze Zeit arbeiten, bis sie den «richtigen Mann» gefunden hätten. Lehrer-Ehepaaren war das Doppelverdienen verboten – ausdrücklich zu Lasten der Frauen. Das Eidgenössische Politische Departement stellte selbst Juristinnen nur als Stenotypistinnen an – auch zum entsprechend tiefen Lohn. Die spätere Bundesratsgattin Irma Tschudi erhielt überhaupt keinen Lohn mehr, als ihr Mann genug verdiente, da dieser (Soziallohn!) ja für eine Familie reiche.
Die Autorin weist darauf hin, dass man die Lebensläufe der Akademikerinnen auch vor dem Hintergrund sehen muss, dass es damals weder die AHV noch obligatorische Krankenkassen noch grössere staatliche Hilfestellungen gab. Deshalb hätten einige der interviewten Frauen dezidiert erklärt, dass sie «die gesellschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten weit mehr gestört hätten als die geschlechtsspezifischen», schreibt Rogger.
Dazu kam ab 1939 die Bedrohungslage der Kriegszeit, welche die Geschlechtsdiskriminierung in den Hintergrund treten liess. Etliche Interviewte erinnerten sich an bedrohliche Erlebnisse bei Besuchen in Deutschland, an eine ruinöse Inflation und an Unterwanderungsversuche deutscher Nazistudierender in Bern. Die Frauen erzählten von ihren konkreten Einsätzen bei der landwirtschaftlichen Anbauschlacht, als Fahrerinnen bei der Militärpolizei oder in der Schutztruppe der Bernischen Kraftwerke.
Nach dem Krieg wollten die Männer des Aktivdienstes wieder zurück an ihre angestammten Karriereposten. Einige der interviewten Frauen kämpften für das Frauenstimm- und -wahlrecht, dessen nationale Einführung sie erst im Jahr 1971 erlebten.
Die 27 Interviews gewähren Einblick in die sozialen, wirtschaftlichen und geschlechtspolitischen Verhältnisse der 1930er und 1940er-Jahre.
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Auf dem Titelbild: Die spätere erste psychiatrische Oberäztin der Schweiz, Margarete Doepfner, um 1902/03 mit ihrer Mutter in einem Park am Lake Michigan, Chicago.