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Antonio Mazzeo: humanistischer Journalismus für Frieden und Menschenrechte


Von
Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein wunderschönes Interview, das wir gerade
mit dem italienischen Journalisten Antonio Mazzeo über Kapitalismus,
Militarismus und Migration durchgeführt haben. Antonio Mazzeo fokussiert in
seiner Arbeit auf Pazifismus, Militarismus, Menschenrechte und Mafia. Der
geographische Raum, mit dem er sich besonders befasst, ist das Mittelmeer.
Er ist auch der Autor
des Werkes „I Padrini del Ponte. Affari di mafia sullo stretto di Messina“. 2010
erhielt er den Journalistenpreis „Premio G. Bassani – Italia Nostra 2010“. Wir
danken Antonio herzlichst für die Zeit, die er unserer Redaktion gewidmet hat.
Wir müssen dringend in den Flüchtlingen die einzigartigen Menschen
wiederfinden, die sie sind. Wir müssen dringend auf den Humanismus fokussieren,
indem wir der Kultur des Krieges, der Kriminalität und der Ausbeutung

den Rücken kehren.

Milena Rampoldi: Welche Beziehung gibt es deiner
Meinung nach zwischen Kapitalismus und Migration?
Antonio Mazzeo: Die Phänomene der Migration gehören
zur Geschichte der Menschheit. Diese Geschichte ist selbst das Ergebnis von
Migrationsprozessen. Dennoch kann man, aufgrund der Größenordnung, Komplexität,
der Modalitäten und der unglaublichen dramatischen Beschaffenheit der aktuellen
globalen Migrationen mit Sicherheit behaupten, dass sie größtenteils das
Ergebnis und die Auswirkung des wilden Kapitalismus sind, der die gesamte Welt
beherrscht. Die neoliberalen Entscheidungen im Bereich der Volkswirtschaft, das
aktuelle Modell, das Frauen und Männer, die Umwelt und die natürlichen
Ressourcen ausbeutet, die daraus folgenden Verbrechen gegen die Umwelt und das
Klima, die globalen und totalen Kriege, die immer automatisierter,
unmenschlicher und entwürdigender für die Menschen sind, zwingen Tag für Tag
Millionen von Frauen, Männern und Kindern, im Namen des Überlebenskampfes, der
Hoffnung und des Widerstandes, von einem Teil des Planeten zum anderen zu
ziehen. Natürlich führen die Kriege des Westens, der EU und der örtlichen und
globalen Militärbündnisse (wie z.B. der NATO) gegen die Migranten zur
Verweigerung der Bürgerrechte an „Ausländer“, die intensive Erschaffung einer
Gesellschaftsschicht von Migranten, die bewusst in einen Zustand der „Gesetzeswidrigkeit“
gelassen werden: all diese Aspekte unterstützen die Prozesse der
Kapitalansammlung und der Arbeitsausbeutung und ermöglichen dem transnationalen
Finanzkapital (und dem industriellen Militärkomplex) immer höhere Profite zu
erzielen.
MR: Welche sind die westlichen Ursachen der Kriege
in Afrika und im Nahen Osten?
AM: Die Verbrechen des Kolonialismus des 19. und
20. Jahrhunderts, der Misserfolg auf der demokratischen und Verteilungsebene
der Dekolonisierungsprozesse, der vorherrschende Neokolonialismus, die
Aufdrängung politischer, neoliberaler politischer Ausrichtungen und die
unverschämte Ausbeutung der Naturressourcen, die Enteignung und Privatisierung
der allgemeinen Güter von Seiten der transnationalen Unternehmen, usw. sind die
Hauptursachen für die dauerhaften globalen Konflikte in großen Teilen Afrikas
und im Nahen Osten. Es handelt sich hierbei um zwei Regionen unseres Planeten,
die der Westen immer noch als einen ausgezeichneten Markt für die Ausfuhr von
Massenzerstörungswaffen und als Kriegsbeute ansieht.   
MR: In welcher Beziehung stehen deiner Meinung nach
Militarismus und Zwangsmigration?
AM: Die aktuellen militärischen Konflikte, das
Vorhandensein faschistischer Militärregierungen, die schwerwiegenden
Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung und die fehlende politischen und
demokratischen Wege führen zum Verschwinden, zu Tötungen, Deportationen und
Zwangsausweisungen potentieller Oppositioneller und der gesellschaftlich und
wirtschaftlich schwächsten Gesellschaftsschichten. Dies erklärt, warum heute
die „Migranten“ in Europa größtenteils aus Syrien, dem Irak, aus Kurdistan,
Afghanistan, aus dem Horn von Afrika, aus Libyen, Ägypten und aus vielen
Ländern der Subsahara stammen (In Wirklichkeit sind es aber Flüchtlinge, denen
das Asylrecht und die Schutz- und Aufnahmerechte, die von den internationalen
Konventionen vorgesehen sind, verwehrt werden).
MR: Warum sind wir im Westen nicht endlich in der
Lage, anstatt von Migranten und Flüchtlingen, endlich von Menschen zu sprechen?
Wie muss sich die westliche Politik verändern, um diese Hinwendung zum
Humanismus zu schaffen?
AM: Die führenden Klassen der Wirtschaftspolitiker,
die Medien, der Großteil der politischen und sozialen Kräfte führen Tag für Tag
zu einer Kampagne von Entpersönlichung, Entmenschlichung, Entsubjektivierung
und Identitätsraub der Frauen, Männer, Mädchen und Jungen, die ihr Recht bzw.
ihre Pflicht zur Flucht ausüben bzw. erfüllen. Es handelt sich hierbei um eine „wissenschaftliche“
Intervention, die das Ziel verfolgt, Menschen auszuschließen, zu auszugrenzen,
zu kriminalisieren und dem die kooperativen und wirklich demokratischen Kräfte
umgehend widerstehen müssen, bevor der Tumor der Xenophobie, des Rassismus und
des Neufaschismus nicht unwiderruflich seine Metastasen herausbildet.   
MR: Wie kann man durch alternativen Journalismus
die Angst vor dem Fremden und Flüchtling vermindern?  
AM: Wir haben die Aufgabe, die Gemeinplätze
abzubauen, die Unwahrheiten und Vulgaritäten zu bekämpfen, die künstlich vom
herrschenden System kreiert werden, um die Frauen und Männer zu dämonisieren,
die Freiheit, Brot und Gerechtigkeit in einer Festung-Europa fordern, die immer
mehr ein Land der Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Diskriminierung wird. Wir
müssen die Verantwortlichkeiten und Vergehen des Westens im Süden der Welt, die
schweren Menschenrechtsverletzungen und die schwerwiegenden, aktuellen Verstöße
gegen das internationale Menschenrecht, die wahren Ursachen und Gründe der
Kriege, die direkt oder indirekt angezettelt werden,  kraftvoll denunzieren. Wir müssen die
Menschlichkeit und Solidarität neu entdecken, immer und auf jeden Fall das
Recht aller Menschen vertreten, sich frei auf dem Planeten bewegen zu dürfen
und auch frei zu entscheiden, wo und wie sie versuchen möchten, ihr eigenes
Leben und das ihrer Lieben neu aufzubauen.
MR: Welche sind die Hauptzielsetzungen deiner
Arbeit und welche die wichtigsten Themenbereiche?
AM: Persönlich habe ich meinen Journalismus immer
ausgelegt, indem ich mich gegen die „Neutralität“ und die sogenannte „Unvoreingenommenheit“
gewehrt habe. Ich werde weiterhin „parteiisch“ sein und mich mit dem, was ich
schreibe und mit den Ermittlungen, die ich führe, an der Seite der sozialen
Bewegungen wissen, die sich dem Krieg, der sozialen Ausgrenzung und dem
Rassismus widersetzen. Ein militanter Journalismus von Unten, oder besser
gesagt ein Medienaktivismus zwecks unermüdlicher Verteidigung der immer
eingeschränkteren Rechte von uns Frauen und Männern, die auf diesem Planeten
die tatsächliche Gefahr laufen, Opfer einer Implosion oder eines Holocausts zu
werden.
MR: Was können engagierte Journalisten heute tun,
um Migranten und Kriegsflüchtlinge zu unterstützen?
AM: Ich glaube, dass wir alle dazu verpflichtet
sind, die Kriege und die Kriegsursachen, die Beihilfen und Verantwortlichkeiten
der Vasallenregierungen und transnationalen Regierungen zu denunzieren; wir
müssen auch die unmenschlichen Lager beschreiben, in denen Flüchtlinge,
Asylbewerber und Migranten, die oft nicht mal volljährig sind, eingeschlossen
und psychologisch vernichtet werden; wir müssen auch Ermittlungen über die
verbrecherischen Geschäfte der Mafia durchführen, die auf der Ausbeutung der
Gastarbeiterarbeit oder auf dem Geschäft der falschen Kultur der „Gastfreundlichkeit“
basieren. Wir müssen die Rechte und die Gleichberechtigung für alle einfordern.
Aber vor allem dürfen wir nie vergessen, dass es hinter jedem Namen eines „Flüchtlings“
oder „Migranten“ eine persönliche Geschichte und Träume, Hoffnungen,
Erinnerungen, Freude und Leid, alte und neue Emotionen und Werte gibt. Denn
hinter jeder Migrantenschwester und hinter jedem Migrantenbruder verbirgt sich ein
einzigartiger und unwiederbringlicher Mensch.