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ProMosaik e.V. interviewt Pater G. Jeusset in Istanbul


Liebe Leserinnen und Leser,
am 04.10.2014, gerade am Tag des Heiligen Franziskus, hat
die Redaktion von ProMosaik e.V. Türkei zusammen mit Frau Dr. phil. Milena Rampoldi
einen bekannten Franziskaner im Franziskanerkloster von Istanbul Taksim besucht.
Pater Jeussets Kloster, in dem vier Franziskanerbrüder
leben, befindet sich gleich neben der Kirche der Heiligen Maria Draperis. Hier
sehen Sie ein Bild von der Kirche:
Es handelt sich um den französischen Franziskaner und
Islamexperten Pater Gwendolé
Jeusset, von dem die Redaktion von ProMosaik e.V. bereits die Rezension seines
Buches über den Heiligen Franziskus und den Islam präsentiert hat:
Wir wurden um 10 Uhr in diesem ruhigen Kloster empfangen und
begannen uns mit Pater Jeusset über die verschiedensten Themen zu unterhalten.
Hier im Folgenden möchten wir für die deutschen Leserinnen und Leser einige
wichtige Punkte zusammenfassen.
Hier sehen Sie ein Photo von Pater Jeusset:
Ein wichtiger Punkt war die
Besprechung des Begriffs des interreligiösen Dialogs, den Pater Jeusset lieber
mit interreligiösem Zusammentreffen oder Treffen bzw. Begegnung (rencontre)
umschreiben möchte. Wir von ProMosaik e.V. finden diesen terminologischen
Vorschlag sehr gut, weil er auch unseren Grundsatz zum Ausdruck bringt, nach
dem wir mit der interreligiösen RENCONTRE keine Missionierungsziele verfolgen
sollten, um Menschen unsere Standpunkte aufzudrängen, sondern Menschen begegnen
sollen, um sie als unsere Brüder zu respektieren.
Pater Jeusset lebt die
interreligiöse Begegnung im Besonderen als Begegnung zwischen den drei großen
monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Während seines freiwilligen
zwanzigjährigen Aufenthalts in der Elfenbeinküste hat sich Jeusset mit dem
Islam und mit der Begegnung mit den Muslimen im Lande beschäftigt. Derselben Berufung
geht er auch in der Türkei nach, in die er auch beantragt hatte, zu kommen, um
seine Arbeit hier in Istanbul fortzuführen, nachdem er schon mal die Brüder
hier besucht hatte.
Vor allem berichtete er uns von
den positiven Ergebnissen im ökumenischen Dialog mit den anderen Christen, u.a.
Orthodoxen, Armeniern, Syrern und Protestanten.
Eine Frage, die wir ihm nicht
ersparen konnten, betraf auch die Islamfeindlichkeit in Europa. Als Beispiel
zitierten wir den niederländischen Politiker Geert Wilders, der seine Politik
auf die Islamfeindlichkeit und den Kampf gegen die sogenannten „grüne Pest“
aufbaut. Pater Jeusset kennt Wilders und seinen Brief an Papst Franziskus
natürlich und lächelte besonnen bei der Frage.   
Er sieht sich als ein
Verbindungsglied zwischen dem Christentum und dem Islam. Es geht darum,
Beziehungen aufzubauen zwischen den Muslimen und den Christen. Und darin sieht
Pater Jeusset seine Arbeit im Rahmen der interreligiösen Begegnung. Er betonte,
wie falsch der Ansatz ist, nach dem die Religion aus Extremismus besteht. Die
Begegnung soll das Vorurteil aus dem Weg räumen, dass die Religion an sich
extremistisch ist, da in allen monotheistischen Religionen die Extremisten eine
absolute Minderheit darstellen. Es geht darum, Verallgemeinerungen zu
vermeiden, auch in Bezug auf ISIS. ISIS hat nichts mit dem Islam zu tun. Der
Islam darf nicht als extremistisch verallgemeinert werden.
Es gibt ungefähr 40.000 Franziskaner
weltweit im Orden. In der Türkei unterrichten die Franziskaner nicht in den
Schulen, sondern kümmern sich um die katholischen Pfarreien von Istanbul, in
denen es sehr wenige Gläubige gibt, die den Gottesdienst besuchen. In der
gesamten Türkei gibt es ungefähr 100.000 Christen aller christlichen
Glaubensrichtungen, inklusive der Armenier, so Jeusset. Seine Kirche der Hl.
Maria Draperis umfasst nur 10 Gläubige. Wir sprachen dann die vielen kleinen
Kirchen an, die es im Viertel Fatih gibt, in dem sich die türkische Redaktion
von ProMosaik e.V. befindet. Pater Jeusset sprach von nur 2000 Orthodoxen,
aufgrund der Vertreibung der Griechen aus der Türkei. Die Diaspora schickt Geld,
um die orthodoxen Kirchen in Fatih instandzuhalten. Wir sprachen dann vom
Besuch von Papst Johannes II. in Istanbul im Jahre 1979 und vom bevorstehenden
Besuch von Papst Franziskus in Fatih am 29.-30. November 2014.
Dann gingen wir auf das Thema des
ökumenischen Dialogs über. Pater Jeusset erzählte uns, wie am 04.10. die
protestantischen Priester eingeladen werden, um ein gemeinsames Mahl zu feiern.
Es werden auch Konferenzen abgehalten. Es kommen auch Franziskaner nach Istanbul,
um ihre Brüder zu besuchen. Es werden auch Seminare von 10 Tagen abgehalten,
immer zum Thema der interreligiösen Begegnung.
Auf die Frage, welche seine
muslimischen Ansprechpartner sind, antwortete Pater Jeusset, diese seien seine muslimischen
Freunde, mit denen er sich über Religion unterhält. Er sieht die interreligiöse
Begegnung als eine brüderliche und freundschaftliche Begegnung zwischen
Monotheisten. Eine besondere Beziehung pflegt er zu einer Gruppe von Derwischen. 
Dann kamen wir zum Thema des
Atheismus, den ProMosaik e.V., wie bereits anhand des Gesprächs mit Herrn Kruwinnus
zur Sprache gekommen war, in den interreligiösen Dialog einbeziehen möchte.
ProMosaik e.V. sieht den
Atheismus als eine europäische Form der Religion, welche die Existenz Gottes
verneint und daher indirekt etwas mit Gott (wenn auch im negativen Sinne) zu
tun hat. Pater Jeusset teilte unsere These nicht und meinte, die Begegnung mit
dem Atheismus sei wohl eher ein interkulturelles Gespräch.
Das Prinzip der Begegnung ist das
brüderliche Zusammentreffen, ohne jegliche Differenz unbedingt aus dem Weg
schaffen zu wollen. Interreligiöse Begegnung bedeutet Respekt der Unterschiede.
Dieser Meinung schließen wir uns auch an, wenn wir von der Überwindung einer
oberflächlichen Pseudotoleranz sprechen, die dem interreligiösen Dialog
schadet.
Bezüglich der religiösen Konvertierung
meint Pater Jeusset, dass die Konvertierung eine Sache zwischen dem Menschen
und Gott ist, und nicht zwischen uns und diesem Menschen, der sich zu einer
anderen Religion hingezogen fühlt. Wir sprachen auch kurz die Beziehung
zwischen Ethinizität und Religion im Judentum und Yezidentum an. Islam und
Christentum haben die Befürchtung nicht, von anderen Religionen überrumpelt zu
werden, die ethnische aber schon. Pater Jeusset stimmt dem zu und spricht sich
wie ProMosaik e.V. auch gegen die Todesstrafe wegen Apostasie aus. Das
Grundproblem des interreligiösen Dialogs heute fasst Pater Jeusset in einem
Satz zusammen, der für uns ein wahres Motto ist:
„Wir beurteilen
die Religionen nach ihren Extremisten“.
Beispiel ist ohne Zweifel der
Islamische Staat im Irak und in Syrien. Pater Jeusset spricht sich solidarisch
mit den irakischen Muslimen aus und wiederholt, wie sehr die Muslime und nicht
nur die christliche und yezidische Minderheit im Irak leiden. ProMosaik e.V.
ist der Anschauung, dass der offene Dialog mit den Yeziden absolut notwendig
ist. Wir sprechen dann die Waffenlobbys an, die Kriege erfinden, um Menschen
auszulöschen. Es sieht im Moment danach aus, als wolle die Welt keinen Frieden.
Aber wer sind die Drahtzieher dieser Kriegskultur? Diese Frage haben wir offen
gelassen.
Dann kommen wir auf den französischen
Philosophen René Guénon, der sich zum Islam
konvertierte, auf die Benediktiner, Jesuiten und auf Martin Luther zu sprechen.
Des Weiteren sprachen wir über die Kriege zwischen Katholiken und Protestanten
in der Geschichte. Pater Jeusset spricht von einem allgemeinen Krieg aller
Katholiken gegen alle Protestanten im 30jährigen Krieg und nicht nur der
Jesuiten. Dann kamen wir kurz auf die Befreiungstheologie in Südamerika zu
sprechen, die oft auch Ähnlichkeiten mit dem Marxismus und seinem Kampf für die
Gerechtigkeit aufweist.
ProMosaik e.V. sprach dann die
positiven Seiten des Ordens des Hl. Franziskus an, der sich unter die Menschen
mischt und mit dem Volk spricht.
Nun kommen wir auf das Thema des
israelisch-palästinensischen Konflikts zu sprechen und fragen Pater Jeusset,
wie man eine friedliche Lösung herbeiführen kann. Diese fasst er in einem Satz
zusammen, der für uns wegweisend ist. Er sagt:
„Wir müssen Israel
zwingen, sich an die internationalen Regeln zu halten“.
ProMosaik e.V. berichtet Pater
Jeusset dann vom Widerspruch zwischen Zionismus und Judentum. Pater Jeusset
meint, dass das Israel von Anfang an ein rechtsradikal dominiertes Land war.
Wir sprechen dann gleich die Shoa
und deren Missbrauch an. Die Empathie mit den Juden darf nicht dazu führen,
Militarismus und Landraub zu unterstützen. Pater Jeusset spricht vom
israelischen Kolonialismus in den palästinensischen Gebieten. Es gibt viele
Juden, die mit den Muslimen in Frieden leben wollen. Dieses friedliche
Potenzial der jüdischen Gesellschaft muss genutzt werden. Pater Jeusset spricht
sich für eine friedliche Zweistaatenlösung an. Die beiden Staaten müssen
miteinander zurechtkommen, so der Franziskaner. Es geht für ihn darum, den
Extremismus auf allen Seiten aus der Welt zu schaffen. Er spricht dann die
Schwierigkeiten der Christen in Israel an. Wir sprechen den Fall eines
Landraubs eines christlichen Friedhofs in Jerusalem an und sprechen vom monotheistischen
Glauben an die Auferstehung der Toten an. Die Franziskaner setzen sich in
Israel für den Frieden zwischen allen Monotheisten ein. Wir sprechen das
Prinzip der Gastfreundschaft an, das die Franziskaner in den muslimischen
Ländern leben.
Dann fragen wir Pater Jeusset, in
welchen muslimischen Ländern verfolgt werden. Er spricht vor allem von Pakistan
und von Saudi Arabien. Wir erinnern an die koranische Anschauung des Respektes gegenüber
den Christen und Juden. Daher widerspricht die Verfolgung der Christen dem
Islam.
Pater Jeusset ist auch der
Meinung, dass wir in einer Kultur der regionalen Kriege leben und dass der neue
Weltkrieg Stück für Stück geführt wird. Die Kriege haben massiv zugenommen.
ProMosaik e.V. bringt diese Kriegskultur sehr stark mit der Macht der
Waffenlobbys und der Manipulierung der Muslime zusammen. Extremisten nutzen den
Islam, um eine Kultur der Gewalt und die Theorie des Takfir umzusetzen. Wir
fragen Pater Jeusset, wie es möglich war, nach 1991 in nur 23 Jahren eine solche
Kultur der Gewalt und des Todes in der Welt zu verbreiten. Der Islam ist nach
dem Kommunismus der neue Feind des Westens. Eine Ursache ist auch die Migration
zahlreicher Muslime nach Europa in den Neunziger Jahren. Er spricht sich
geschockt darüber aus, dass christliche Experten des Marxismus nach 1991
anfingen, Islamkritiker zu werden und das Feindbild Islam in Frankreich aufbauten.
 
Am Ende des Gespräches hat uns
Pater Jeusset sein letztes Buch mit einer Widmung überreicht.
Er sagt: „Das ist mein letztes
Buch“ und kommentiert ironisch sein Alter. Wir sagen ihm noch: „Wir sind
optimistischer…“
Abschließend erzählt er noch von
der konstanten Präsenz der Franziskaner in der heutigen Türkei. Sie gelangten
nach dem Tod von Franziskus hierher und sind bis heute in der Türkei vertreten.
Es gibt in der Türkei sogar ein Mosaik über den Hl. Franziskus, das älter ist
als die von Assisi. Wir sprechen dann noch über die katholische Minderheit in
Armenien. Er spricht über die Religionsfreiheit in der Türkei und vorher im
Osmanischen Reich. Wir vergleichen auch den Respekt der religiösen Minderheiten
im Osmanischen Reich mit der habsburgischen Toleranz gegenüber den Muslimen mit
dem Islamgesetz von 1910.
Wir sprechen dann noch die
Atheismus in Europa und bei den europäischen Einwanderern in der Türkei an, die
aber nicht lange bleiben. Daher ist es schwierig, sie in die katholische
Gemeinde zu integrieren. Wir fragen Pater Jeusset, welche Möglichkeiten es
gibt, mit den europäischen Atheisten, die in der Türkei leben, über Gott zu
sprechen. Da ist Pater Jeusset sehr pessimistisch, denn diese Menschen
verneinen Gott. ProMosaik e.V. erzählt ihm, wie die Atheisten in Europa gegen
die Religion losgehen und vor allem die Muslime als rückständig ansehen und anstelle
einer Religion den dionysischen Vitalismus verherrlichen.
Wir freuen uns auf die
Rücksprache aller Leserinnen und Leser zu diesem interessanten Interview.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi und
Aygun Uzunlar
Redaktion von ProMosaik e.V.