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Brücken bauen zwischen Schule, Elternhaus, Gemeinde und Gesellschaft als wichtige Aufgabe der Korandidaktik


In der zeitgenössischen
Pädagogik und Didaktik wird das Thema der Vernetzung von Elternhaus, Schule,
Gemeinde und Gesellschaft immer bedeutender, da der Erfahrungsaustausch
zwischen den einzelnen Akteuren der Erziehung des Kindes einen bedeutenden
Beitrag zu seiner emotionalen, psychischen, sozialen und auch religiösen
Entwicklung und Identität leisten kann.
Dies soll auch für die
Korankurse gelten, die sich wie alle anderen pädagogischen Angebote im
Mittelpunkt eines komplexen Netzwerkes befinden und somit auch zur
allumfassenden Erziehung der Kinder und Jugendlichen beitragen. Die Vernetzung
im Erziehungsbereich ist in der deutschen Gesellschaft heute vor allem auch
wichtig, um eine Kultur der Toleranz und des gegenseitigen Respektes zwischen
den Kulturen und Religionen aufzubauen, zu der auch die Koranschule ihren
aktiven Beitrag leisten kann und soll.
Dieses Netzwerk besteht aber
vor allem aus Forderungen an den Koranunterricht und die LehrerInnen, die
manchmal auch unter Druck stehen, weil sie die Vernetzung als Pflicht anstatt
als Entwicklungschance für ihre eigene Schule und die Lernenden sehen. Die
muslimische Gemeinde fordert gewisse Korankenntnisse der Kinder, die Eltern
möchten die Ergebnisse des Unterrichts sehen. Die deutsche Schule und
Gesellschaft wünschen sich wiederum die Integration der muslimischen Kinder in
den deutschen Alltag und das soziale Leben im Lande, um die Herausbildung von
Parallelgesellschaften zu vermeiden. Die KoranlehrerInnen sehen somit die
Vernetzung als einen Aufgabenkatalog und fühlen sich überfordert.
Daher sollte das
Vernetzungskonzept meiner Meinung nach positiver, dynamischer und vor allem
auch interaktiver gestaltet werden: Die LehrerInnen sollten nicht zu lehren
müssen, sondern auch vom Netzwerk lernen dürfen. Wie das Kind dank der
Vernetzung von Elternhaus, Schule, Gemeinde und Gesellschaft mehr lernen kann,
so gilt dies auch für die KoranlehrerInnen und die Eltern.
Der ständige
Informationsaustausch, der sich vorwiegend zwischen Elternhaus, Schule und
Gemeinde abspielt, verbessert den Koranunterricht, gibt auch neue Impulse an
die Schule und Gemeinde und trägt beträchtlich zum Dialog zwischen den
verschiedenen Kulturen und Religionen bei und darf somit nicht als Stressfaktor
angesehen werden.
Die Rolle der Koranlehrerin
bzw. des Koranlehrers gestaltet sich komplex, stellt aber meiner Meinung nach
gerade deshalb eine große Herausforderung dar. Denn die KoranlehrerInnen
befinden sich in einem dialektischen Spannungsfeld: einerseits sollen sie Koranarabisch
und Rezitationsregeln, religiöse Haltung und islamische Grundprinzipien
vermitteln, andererseits sind sie aber auch mitverantwortlich für die gelungene
Integration der muslimischen Kinder in die deutsche Schule und Gesellschaft,
weil sie interkulturelle Dialogfähigkeit, soziale und religiöse Toleranz und
Konfliktlösungsbereitschaft übermitteln müssen. Starke islamische Identität und
gleichzeitig Empathie und Toleranz gegenüber den Andersgläubigen und den
anderen Kulturen werden den Kindern auch abverlangt. 
Zentral ist meiner Meinung
nach in dieser Hinsicht vor allem die Vernetzung von Schule und Elternhaus, auf
deren Grundlage sich dann auch die anderen Vernetzungsmöglichkeiten gestalten
lassen. Auf der Grundlage der pädagogischen Analysen von Renate Hendricks in Schicksal
Schule. Eine Elternstreitschrift im Interesse der Kinder
ist es meiner
Meinung möglich, die wichtigsten Leitlinien für einen guten Austausch zwischen KoranlehrerIn
und Eltern kurz zu beschreiben. Die Elternarbeit des Lehrers/der Lehrerin kann
nur positiv bei den Eltern der Kinder ankommen, wenn sie demokratisch erfolgt
und keine Alibiveranstaltung ist. Die Elternarbeit muss alle Eltern erreichen.
Auch Eltern, die scheinbar nicht an der Schule und am Unterricht ihrer Kinder
interessiert sind, sollen in ihrer Rolle als UnterstützerInnen für das Kind von
Seiten des Koranlehrers/der Koranlehrerin ernst genommen werden. Nur so kann
ein Elternteil auch verstehen, dass es in der Schule gebraucht wird, um das
Kind zu fördern. Dies sollte der Koranlehrer/die Koranlehrerin dem Elternteil
vermitteln, vor allem, wenn es seine wesentliche Bedeutung als VermittlerIn
zwischen Schule, LehrerIn und Kind noch nicht kennt.
Eine gute Elternarbeit
setzt im Wesentlichen voraus, dass sich die Eltern im Korankurs jederzeit
willkommen fühlen und auch wissen, dass die Schule und die LehrerInnen das
Beste für das Kind wollen, indem sie es vor allem fördern, mehr als von ihm nur
Leistungen zu fordern. Der Koranlehrer/die Koranlehrerin soll vor allem den
Eltern vermitteln, dass jedes Kind individuell und nach seinem persönlichen
Lernstil gefördert wird.
Im negativen Sinne sollte
man sich wiederum fragen, woran die Elternarbeit in einem Korankurs scheitern
kann und welche Fehler der Lehrer/die Lehrerin begehen könnte. Ich denke, dass
die größten Mängel in dieser Hinsicht gerade durch die fehlende LehrerInnenausbildung
verursacht werden. Der Lehrer/die Lehrerin bevorzugt meistens den Bezug zur
Gemeinde, Gesellschaft und Schule und vernachlässig demzufolge die Beziehung zu
den Eltern der Kinder, die einfach ausgeschlossen werden, wenn sie sich nicht
aktiv melden.
Der Koranlehrer/die
Koranlehrerin sollte den Dialog mit den Eltern auf jeden Fall suchen und nicht
nur defizitorientiert mit ihnen kommunizieren, falls das Kind im Unterricht
nicht ausreichend mitarbeitet oder keine guten Ergebnisse erzielt. Nur so können
die Eltern auch ein Vertrauensverhältnis zum Koranlehrer bzw. der Koranlehrerin
aufbauen, weil sie wissen, dass ihr Kind auch Begabungen hat und sie nicht nur
kontaktiert werden, weil es im Unterricht unzureichende Leistungen erbringt
oder disziplinäre Probleme hat.
Die Hauptziele der
Elternarbeit sollten darin bestehen, dass alle Eltern an der Entwicklung des
Kindes im Korankurs Interesse zeigen und gemeinsam mit dem Koranlehrer/der
Koranlehrerin Erziehungs- und Bildungsziele ausarbeiten. Hier erfolgt auch ein
didaktischer Austausch zwischen den Eltern, die aus verschiedenen
Herkunftsländern stammen und wahrscheinlich auch als Kinder die Koranschule
besucht haben und darüber berichten können.
Im positiven Sinne
entwickelt sich meiner Meinung nach im Laufe der ersten Monate schon ein Klima
des Dialogs, des Hinhörens und der Kooperation zwischen den LehrerInnen und dem
Elternhaus.
Dieselben Grundsätze, die
im Bereich der Elternarbeit Anwendung finden, lassen sich dann auf das gesamte
Netzwerk übertragen. Die Beziehung zwischen Lehrern/Lehrerinnen und Eltern ist
wie eine Werkstatt für die Gestaltung der gemeinschaftlichen und
gesellschaftlichen Beziehungen.
Somit wird in dieser
Vernetzungsarbeit Folgendes klar: Es geht nicht nur um die pädagogische Förderung
und Integration der muslimischen Kinder, sondern auch und vor allem um eine
entsprechende Gesamtausrichtung des schulischen Unterrichts und der
außerschulischen Erziehung, durch die Kinder aus verschiedenen Kulturen und
Religionen dazu befähigt werden, einander mit Verständnis und Offenheit zu
begegnen. Diese Offenheit und Dialogbereitschaft  sollten sich somit nicht nur im Korankurs oder
in der Schule verwirklichen, sondern auch in den weiteren Kreisen der
muslimischen Gemeinde und in der gesamten deutschen Gesellschaft.
Dr. phil. Milena Rampoldi 
Redaktion von ProMosaik e.V.