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Vermittlung ästhetischen Empfindens im Koranunterricht


Da ich den Zugang zum Islam
zu Beginn als Konvertitin sehr stark auf der ästhetischen Ebene erfahren habe, habe
ich immer schon für eine ästhetische Gestaltung des Koranunterrichts, sei es
visuell als auch akustisch, plädiert. Ich bin dafür, dass der Grundsatz „Allah
ist schön und liebt die Schönheit“ gelebt und gelehrt werden soll.

Für das korandidaktische
Verständnis des ästhetischen Lernens sind für mich sowohl der Begriff der
Ästhetik an sich, als auch u.a. seine Erweiterungsformen ästhetische Erziehung,
ästhetische Bildung, ästhetisches Lernen, ästhetische Erfahrung und ästhetische
Wirklichkeit relevant.
Ausgehen möchte ich an
dieser Stelle von der folgenden Definition der Ästhetik im Wörterbuch der
philosophischen Begriffe
von Rudolf Eisler:
„Ästhetik heißt die
Wissenschaft vom Ästhetischen, von dem, was unmittelbar und beziehungslos, um
seiner selbst willen (uninteressiert), in der anschaulichen Erfassung, gefällt;
ästhetisch (schön) ist, was den Willen zum Schauen, zur lebendigen,
anschaulichen, dem Ich angemessenen, einheitlichen Zusammenfassung einer
Mannigfaltigkeit von Inhalten befriedigt, was die Seele zur wohlgeordneten
Anwendung aller ihrer Grundfunktionen anregt. Das (dem Objekt und dem Ich)
angemessene Verhältnis von Form und Inhalt verschafft den ästhetischen Genuss.
Die Ästhetik gibt Aufschluss über das Wesen des Ästhetischen (des Schönen,
usw.), sie analysiert es, forscht nach den Bedingungen ästhetischen Genießens
und Schaffens sowie nach der Bedeutung des Ästhetischen, der Kunst in
biologischer, psychologischer, rein künstlerischer, kulturell-sozialer und
allgemein philosophischer Hinsicht“.
Die Ziele der ästhetischen
Erziehung im Rahmen des Koranunterrichts sind meiner Meinung nach folgende:
a) Die pädagogische
Herstellung eines Gleichgewichts zwischen kognitiver und affektiver Wahrnehmung
und dessen Umsetzung in der Korandidaktik;
b) Die mögliche ästhetische
Wahrnehmung des Korans in einem erkennenden, urteilenden, handelnden und
verantwortlichen Sinne.
Meiner Meinung nach soll
der Koranunterricht den Kindern eine umfassende Wahrnehmung der Schöpfung und
des Schöpfers vermitteln. Somit drückt sich die ästhetische Erziehung im
Koranunterricht für mich grundsätzlich innerhalb von drei fachübergreifenden
Richtungen aus:
a) Musikpädagogik:
Die Rezitation des Korans
und die Wahrnehmung der Töne und Klänge, in denen sich das Koranarabische
ausdrückt, überschneiden sich vielfach mit den ästhetischen Grundsätzen, die
auch in der Musikpädagogik und demzufolge im Musikunterricht vermittelt werden.
In diesem Zusammenhang ist eine Vernetzung zwischen Schule (MusiklehrerInnen)
und Korankurs (KoranlehrerInnen) sehr wohl möglich und durchaus positiv.
b) Sprachpädagogik:
Der Bezug zwischen Sprache
und Klang soll den Kindern durch die aktive Koranrezitation und das Hören der
Koranrezitationen im Unterricht und zu Hause beim Wiederholen vermittelt
werden. Die Sprache als Vermittlerin ästhetischer Werte soll auch beim Erlernen
der arabischen Schrift im Vordergrund stehen. Kinder sollen lernen, dass Allah
(swt) schön ist und die Schönheit liebt und Schönheit ein wesentlicher
Bestandteil der Schöpfung ist. So werden sie auch nachempfinden, wie wichtig
der Beitrag jedes Einzelnen von uns an der Gestaltung einer schöneren Welt ist.
c) Kunstpädagogik:
Hier geht es um die
Beziehung zwischen Koran und Kunst anhand der Kalligraphie.
Vor allem wäre es
interessant, den Kindern historische Koranexemplare in Form einer
Powerpoint-Präsentation zu zeigen oder einen Dokumentarfilm vorzuführen, in dem
gezeigt wird, wie der Kalligraph bzw. die Kalligraphin konkret arbeitet. In
diesem Zusammenhang können auch Rezitationsarten und kalligraphische Formen aus
verschiedenen islamischen Ländern einfließen und interkulturell erläutert
werden.
So können die Kinder auch
die geschichtliche und geographische Entwicklung der ästhetischen Formen des
Korans aktiv nachverfolgen.
Durch die ästhetische
Erziehung müssen im Rahmen des Koranunterrichts zahlreiche gezielte Rezeptions-
und auch vielfältige Produktionsprozesse ermöglicht werden, da die Kinder ihr
Wissen vor allem durch aktives Lernen und Experimentieren festigen können.
Zu diesen
Produktionsprozessen gehören für mich persönlich in einem Koran-Grundkurs unter
anderem folgende:
a) Akustische Operationen
(dazu gehört vorwiegend das aufmerksame Hören der Koran-rezitationen des
Lehrers/der Lehrerin, anderer SchülerInnen oder bedeutender Koranrezitatoren
aus verschiedenen islamischen Ländern);
b) Optisch-kinetische
Operationen (Gestik): Um auch den Prozess des Hörens aktiver und dynamischer zu
gestalten und die Kinder zu motivieren, bewusst zuhören zu lernen, kann eine
Begleitung durch eine sogenannten Gestik der Wellen bedeutend sein. Die Hoch-
und Tiefpunkte der Rezitation werden mit Hilfe dieser Technik durch
wellenförmige Armbewegungen dargestellt.
Der Koranunterricht kann
somit zu ästhetischem Handeln motivieren und dieses planmäßig fördern. Im
ästhetischen Bereich sehe ich auch zahlreiche Möglichkeiten einer Vernetzung
mit anderen Bereichen und fachübergreifender Lernprozesse in der Schule der
Kinder. 
Schönheit gilt für mich im
Islam als eine religiöse Pflicht.
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.