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Versuch einer Definition der interkulturellen Korandidaktik für den deutschen Sprachraum


Zur Definition der
interkulturellen Korandidaktik im deutschen Sprachraum sind meiner Ansicht nach
zwei Begriffe zu bestimmen: einerseits der Stellenwert von Bildung und
Erziehung in Koran und Sunna und andererseits der interkulturelle und
interreligiöse Dialog in der islamischen Gemeinschaft innerhalb der
multikulturellen und globalisierten Gesellschaft im Westen.
Die koranische Offenbarung
und die Überlieferungen des Propheten (sas) sind durchdrungen von der
Zentralität der Vernunft des Menschen und von seiner Pflicht und Verantwortung
vor Allah (swt), sich Wissen und Bildung anzueignen, da Allah (swt) als Erster den
Menschen lehrte und somit Allahs Pädagogik und demzufolge auch Seine imperative
Didaktik die menschliche begründet.
Bildung ist aber nicht nur
eine Pflicht, sondern auch ein Recht aller Musliminnen und Muslime. Wie der
Mensch als Individuum dazu verpflichtet und auch dazu berechtigt ist, sich
Wissen anzueignen, so ist die Ummah ihrerseits damit beauftragt, Mittel und
Möglichkeiten zu schaffen und bereitzustellen, damit dies gerecht und auf der
Grundlage der Chancengleichheit erfolgen kann. Denn der Mensch trägt als das
auserwählte Geschöpf Allahs (swt) Verantwortung für die kulturelle und
religiöse Entwicklung der Welt.
In Koran 35:28 heißt es: „Allein die Wissenden von Seinen Dienern
fürchten Allah“.
Die Würde des Menschen als Statthalter
Allahs (swt) auf Erden beruht auf Vernunft und Wissen. Iman und ‘aql hängen im
Islam sehr eng miteinander zusammen. Aus der Statthalterschaft des Menschen
lässt sich nämlich seine pädagogische Aufgabe als Einzelner und als Ummah ableiten.
Die Pflicht der Familie und
der Gesellschaft, Bildung für die Muslime und vor allem für die Musliminnen zu
gewährleisten, ist mit deren Verantwortung in der gesellschaftlichen Umsetzung
der Gerechtigkeit zu sehen, wie nach Koran 4: 135.
Erziehung und Sprache sind
in der Pädagogik Allahs (swt) eng miteinander verbunden. Allah (swt) lehrte die
ersten Menschen die Begriffe bzw. Namen aller Dinge und ordnete sie in diesem
Bereich den Engeln über.
In Koran 2:31 heißt es
hierzu:
„Und Er lehrte Adam aller Dinge Namen; dann
zeigte Er sie den Engeln und sprach: „Nennt mir die Namen dieser Dinge, wenn
ihr wahrhaft seid.““
Somit lebt der Mensch in
einer ihm von Allah (swt) dargebotenen bzw. untergeordneten Welt.
Zentral sind für mich in dieser
Beziehung vor allem diese beiden Koranverse:
„O ihr Menschen! Wir erschufen euch aus einem Mann und einer Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen,
damit ihr einander kennenlernt. kennen lernt. Doch der vor Allah am meisten
Geehrte von euch ist der Gottesfürchtigste unter euch. Allah ist fürwahr wissen
d, kundig“ (49:13)
„… Jedem von euch gaben Wir ein Gesetz und einen Weg. Wenn Allah
gewollt hätte, hätte Er
euch zu einer einzigen Gemeinde ge
macht…“  (5:48).
Diese beiden Koranverse
fundieren den sprachlichen, religiösen und ethnischen Pluralismus der
menschlichen Gesellschaft und die von Allah (swt) für den Menschen gewollte
Freiheit, sich seine besondere kulturelle und ethnische Identität aufzubauen.
Wie es in Koran 5:48 heißt, hätte Allah (swt) auch nur eine einzige
monolithische Gemeinschaft schaffen können, d.h. eine einzige Kultur für die
gesamte Menschheit, aber Er hat sich die multikulturelle Welt gewünscht, damit
die Transkulturalität des Menschen und seine kulturelle Freiheit den Wettbewerb
zwischen den Kulturen und das Voneinander-Lernen mit sich bringen.
Als Grundlage des
Kennenlernens zwischen den Kulturen, um voneinander zu lernen und im Guten
miteinander zu konkurrieren, gilt im Islam der Respekt vor dem Anderen, der
wiederum auf Selbstrespekt und auf der eigenen Würde als Geschöpf Allahs (swt)
aufbaut. Der erste Schritt hin zum Respekt der Anderen und ihrer Kultur ist die
Erkenntnis, dass ihnen gegenüber Toleranz zu üben ist. Toleranz ist in
diesem Zusammenhang für die Musliminnen und Muslime keine Option, sondern eine
Pflicht. Die von Allah (swt) gewollte Einheit des Menschengeschlechts in seiner
Vielseitigkeit erfordert Toleranz, Frieden, Dialog und Barmherzigkeit von
Seiten aller Dialogpartner.
Der Begriff der Toleranz
ist im Islam jedoch anders zu verstehen als in der westlichen, laizistischen
Vorstellung. Toleranz bedeutet im Islam keinesfalls die gleichgültige und
relativistische Tendenz, die von der Transzendenz der Wahrheit absieht und
alles als gleich und demzufolge auch als gleichgültig ansieht und einer
oberflächlichen Sichtweise verfällt.
Wenn nun der Begriff der
Toleranz in die Transzendenz Allahs (swt) und in das Konzept der
verantwortungsbewussten Freiheit des Muslims und der Muslimin eingebettet wird,
so gilt das Recht auf eine relativistische und gottesvereinende Toleranz im
Islam als eine Grenzüberschreitung und als Anmaßung und Verletzung des Rechtes
des Schöpfers.
Mahmoud Zakzouk schreibt in
Der Islam und die Fragen des Dialogs, S.
10, von der positiven Zielsetzung dieses barmherzigen und friedlichen Dialogs
im Islam:
„Gerade das nähere Kennenlernen einer anderen
Kultur kann uns auf die Wurzeln der eigenen Kultur aufmerksam machen und so zu
einem besseren Selbstverständnis führen“.
Daraus folgt auf didaktischer
Ebene, dass eine auf dem Koran basierte Pädagogik eine Hermeneutik des Korans erforderlich
macht und geradezu voraussetzt. Denn der Dialog zwischen dem Islam und dem
Westen ist im islamischen Kulturverständnis nicht nur ein Muss, sondern
auch eine Chance, um ohne
Vorurteile und starre ideologische Tendenzen aufeinander zuzugehen.
Ein wichtiger Grundsatz,
der zu Beginn des interkulturellen Dialogs immer vor Augen gehalten werden
sollte, ist die grundlegende Maxime des großen deutschen Theologen Hans Küng,
der diesbezüglich in Christentum und
Weltreligionen,
S. 22, so treffend betont:
„Nichts Wertvolles soll in den anderen Religionen verneint, aber auch nichts Wertloses unkritisch akzeptiert werden“.
Wichtig für den Islam ist
es jedoch auch, von der Gegenseite in seinem Wert und in seiner Würde anerkannt
zu werden, ansonsten verliert der Dialog in der islamischen Weltanschauung
jeglichen Sinn und Zweck. Was heutzutage des Öfteren geschieht und als Unwillen
der MuslimInnen zum Dialog mit dem Westen interpretiert wird, entspricht gerade
dem Gesetz von Allah (swt), Der die MuslimInnen dazu auffordert, nicht mit
Menschen ins Gespräch zu treten, die den Islam verpönen, diskriminieren und
dessen Gläubige ungerecht behandeln.
Jeglicher interkultureller
und interreligiöser Dialog soll von Seiten der MuslimInnen weise und ruhig
erfolgen, was aber nur möglich ist, wenn die Gegenseite auch dazu bereit ist,
im Dialog die Gemeinsamkeiten zu betonen und zu Beginn die dogmatischen
Verschiedenheiten auszuklammern (was aber nicht bedeutet, diese zu verdrängen),
um zu einer friedlichen Übereinkunft zu gelangen.
Zu den Grenzen des interkulturellen Dialogs heißt es im Koran 29:46:
„Und streitet nicht mit dem Volk der Schrift, es
sei denn auf beste Art und Weise, außer mit jenen von ihnen, die unrecht
handeln. Und sprecht: „Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wurde und
was zu euch herabgesandt wurde. Unser Gott und euer Gott ist ein und derselbe.
Und ihm sind wir ergeben“.
Somit basiert der Dialog
zwischen dem Islam und den anderen monotheistischen Religionen auf friedlicher
Kommunikation, Gerechtigkeit in der Einschätzung und Würdigung des Anderen und
Anerkennung und Glauben an denselben Gott. Thema einer verbalen
Auseinandersetzung zwischen Muslimen, Juden und Christen darf sich gemäß Koran
3:66 auch nur auf die Inhalte der Offenbarung beziehen und nicht auf
spekulative Themen, die nur Allah (swt) kennt:
„Streitet über das, worüber ihr Bescheid wisst!
Weshalb streitet ihr über das, wovon ihr nichts wisst? Allah weiß, ihr aber
wisst nicht“.
Wichtig sind in diesem
Zusammenhang die Fragen, die sich Adel Theodor Khoury in Mit Muslimen in
Frieden leben, Friedenspotentiale des Islam,
S. 66, stellt:
 „Wie viel Verschiedenheit kann eine
Gesellschaft vertragen und verkraften? Wie viel Gemeinsamkeit ist nötig, damit
zuerst ein Nebeneinander unterschiedlicher Systeme, Traditionen und
Mentalitäten möglich ist? Wie viel Gemeinsamkeit ist möglich und auch
erreichbar, damit aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird?“
Das meiner Meinung nach wichtigste
Vorurteil der westlichen Gesellschaften gegenüber dem Islam ist die Assoziation
oder gar die Gleichsetzung zwischen Gewalt und Islam, die teilweise auch auf
den negativen Einfluss vieler Medien zurückzuführen sind. Dabei werden im
Wesentlichen zwei Begriffe missverstanden:
a) die Grenzen, welche die
islamische Gesetzgebung der Gewaltausübung setzt; vgl. Koran 8:61: „Und wenn
sie sich dem Frieden zuneigen, dann neige (auch du) dich ihm zu (und lass vom
Kampf ab)! Und vertrau auf Allah! Er ist der, der (alles) hört und weiß“. Koran
2:190: „Und kämpft um Allahs willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen!
Aber begeht keine Übertretung (indem ihr den Kampf auf unrechtmäßige Weise
führt)! Allah liebt die nicht, die Übertretungen begehen“.
b) der inhaltliche Rahmen
des
ğihād.
Beispielsweise heißt es in einer
Überlieferung des Propheten (sas);
Ibn ‘Abbas berichtete: Ein
Mann kam zum Propheten und sagte: „Oh Prophet von Allah! Ich habe mich zum
Kampf verpflichtet, und meine Frau tritt gerade ihre Pilgerfahrt an.“ Der
Prophet von Allah antwortete ihm: „Geh zurück und mach die Pilgerfahrt mit
deiner Frau.“
Ğihād bezieht sich vordergründig
auf den moralischen Kampf des Menschen gegen die Quellen des Bösen, d. h. auf
sein konstantes Ringen auf individueller, gesellschaftlicher,
wissenschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ebene, um eine Veränderung
hin zum Guten zu erzielen. Daher kann
ğihād auch nicht als „heiliger Krieg“ übersetzt
werden, denn dies würde die weite Bedeutung des Begriffes völlig einengen und
verfälschen.
Demzufolge betont der Koran
die notwendige Einheit zwischen dem Frieden in seiner prozesshaften Dynamik und
der Gerechtigkeit, welche einerseits als sadaqa gilt, komplementär dazu
aber auch als Errungenschaft des Menschen durch den
ğihād seiner Seele, der den
Frieden des Herzens gewährleisten kann, definiert werden kann. Diese innere
Reform führt zu einer internationalen Dynamik in Richtung des Friedens im Sinne
der Gerechtigkeit und der Wahrheit, was aber nicht bedeutet, dass der auch
gewaltsame Widerstand gegen die Ausbeutung und Ungerechtigkeit im Islam keinen
Stellenwert einnimmt.
Dr. phil. Milena Rampoldi
ProMosaik e.V.