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Weisser Ring e.V.: Unser Gespräch mit Bianca Biwer zum Thema Loverboys

by Milena Rampoldi, von ProMosaik e.V. – Wie im Interview mit Bärbel Kannemann von NO Loverboys Berlin möchten wir mit diesem zweiten wichtigen Interview mit Bianca Biwer, der Verantwortlichen des Vereins Weißer Ring in Mainz (nähere Infos finden Sie hier: www.weisser-ring.de), erneut über das Thema der Loverboy-Opfer sprechen, das uns als Gesellschaft alle betrifft. Wir danken nochmal Herrn Tobias Langenbach vom Weißen Ring, der dieses Interview möglich gemacht hat. Stärke bedeutet, sich Hilfe zu holen. Denn ohne die Hilfe der Gesellschaft und der Familien haben diese Opfer keine Chance.

Milena Rampoldi: Was ist ein Loverboy und wer sind seine Opfer?
Bianca Biwer: Mit dem Begriff Loverboy werden Täter bezeichnet, die gezielt nach minderjährigen Mädchen suchen, um sie auszunutzen: Sie umgarnen sie, manipulieren sie, machen sie gefügig – und
zwingen sie dann zur Prostitution. Loverboys sind damit Zuhälter, die minderjährige Mädchen
auf den Strich schicken und hoffen, damit großes Geld zu machen. Sie heucheln Zuneigung,
sehen in ihren Opfern aber lediglich Objekte, an denen sie gut verdienen können. Oft bahnt sich
der Kontakt über das Internet an. Dann überhäuft ein Loverboy schon während der ersten
Treffen sein Opfer mit Geld, Geschenken und scheinbarer Aufmerksamkeit. Darüber hinaus
entfremdet er mit Alkohol, Flirts und Drogen das Mädchen nach und nach immer mehr von ihrer
Umgebung, entzieht ihr jegliche soziale Kontakte und macht sie regelrecht abhängig von ihm.
Oft finanziert er parallel dazu auch den Drogenkonsum des Mädchens und führt sein Opfer
auch auf dieser Ebene in die Abhängigkeit. Erpressung kann als Faktor bei einem Loverboy
ebenfalls eine Rolle spielen – etwa, wenn ein Täter ein Mädchen bei sexuellen Handlungen filmt
und später droht, das Material im Internet zu öffentlichen, falls seine Wünsche nicht erfüllt
werden.


MR: Wie helfen Sie den Opfern, um diesen Kreislauf des Missbrauchs und der
Manipulierung zu durchbrechen?
BB: Der WEISSE RING hilft den Opfern von Loverboys auf unterschiedlichste Weise: Unsere
ehrenamtlichen, professionell ausgebildeten Mitarbeiter in den bundesweit 420 Außenstellen
leisten menschlichen Beistand, hören zu und versuchen, gemeinsam mit den Opfern einen
Ausweg aus der schwierigen Situation zu finden. Sie begleiten aber auch bei Gängen zu
Behörden oder zu Gerichten. Darüber hinaus nehmen sie ihre Lotsenfunktion wahr und
vermitteln bei Bedarf an Organisationen, die dann konkret weiterhelfen können. Auch materielle
Hilfen werden im Einzelfall und nach Prüfung von unseren Mitarbeitern vermittelt, um Tatfolgen
zu überbrücken. Unsere Hilfeleistungen zielen genau darauf ab, Missbrauchs- und
Manipulierungskreisläufe zu durchbrechen und einen Weg zu finden, der es Opfern ermöglicht,
auszusteigen.
Der WEISSE RING setzt aber auch früher an und betreibt Präventionsarbeit. Wir wollen
Straftaten bestmöglich verhindern. Daher geben wir Mädchen unter anderem auf unserer
Internetseite Verhaltenstipps. Sie helfen dabei, das Risiko, Opfer eines Loversboys zu werden,
zu minimieren. Tue nicht, was du nicht willst, und höre auf dein Bauchgefühl – unter anderem
mit diesen Ratschlägen sensibilisieren wir für das Thema. Ein Mädchen soll misstrauisch
werden, wenn der neue Freund sie anlügt oder ihr soziale Kontakte verbietet. Sie soll die
Reißleine ziehen, wenn der neue Freund sie gar schlägt, vor ihr Drogen nimmt oder sie selbst
zum Drogenkonsum animiert. Alles, was merkwürdig oder komisch ist und gegen den eigenen Willen geschieht, sollte als Alarmsignal angesehen werden.

MR: Welche Hilfen brauchen Eltern und Familien der Kinder?
BB: Ist ein Mädchen zum Opfer eines Loverboys geworden, greifen die beschriebenen
Hilfsangebote des WEISSEN RINGS natürlich auch für Angehörige. Darüber hinaus spielen
Eltern und Familienangehörige aber auch bei der Präventionsarbeit des WEISSEN RINGS eine
große Rolle. Wir raten Eltern und Familienangehörigen, mit Kindern umfassend über Tricks und
Maschen von Loverboys zu reden, um ihnen von vornherein Wachsamkeit mit auf den Weg zu
geben. Diese Wachsamkeit sollten Eltern und Familienangehörige aber auch in ihr eigenes
Verhalten integrieren – natürlich, ohne bei dem neuen Freund, den die eigene Tochter mit nach
Hause bringt, gleich übertrieben misstrauisch zu werden. Es empfiehlt sich, das richtige Maß an
Neugier zu zeigen und den neuen Freund der Tochter einfach selbst kennenlernen zu wollen.
Auf diese Weise ist es möglich, sich ein eigenes Bild der Person zu machen.
Wichtig ist, mit zu bedenken, dass sich ein Loverboy oft emotionale Defizite und
Zuwendungsbedürfnisse seines Opfers zunutze macht. Der Täter sucht gezielt unsichere, leicht
beeinflussbare Mädchen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, beispielsweise
unter einer zerstrittenen Familie zu leiden haben. Fühlt sich ein Mädchen in der Familie nicht
geborgen und ist daher anfällig für scheinbare Zuwendungen und Zärtlichkeiten, spielt das dem
Loverboy in die Hände. Eltern und Familienangehörige sollten immer in der Lage sein, ihren
Kindern die nötige Geborgenheit und Zuwendung geben zu können. Wer von den Kindern als
Vertrauensperson wahrgenommen wird, schafft gute Voraussetzungen dafür, dass sie bei
Problemen und Notlagen von sich aus das Gespräch suchen.

MR: Wie gestaltet sich die Situation statistisch? Wie groß ist die Dunkelziffer?
BB: Offizielle Zahlen mit Bezug zum Phänomen der Loverboys werden vom WEISSEN RING nicht
exakt statistisch erfasst. Aber in der Tat ist die Dunkelziffer in diesem Bereich hoch. Denn viele
Mädchen, die zum Opfer eines Loverboys geworden sind, können oder wollen nicht über
begangenes Unrecht reden oder es gar zur Anzeige bringen. Oft hindern sie Angst und Scham
daran, sich Freunden, Familienangehörigen, der Polizei oder Opferhilfeorganisationen
anzuvertrauen. Zumal der Loverboy selbst ja alles daran setzt, sich durch sein Verhalten als
einzige Bezugsperson des Opfers zu etablieren. Im schlimmsten Fall wird die Notsituation für
das Opfer immer ernster – ohne, dass sie von Eltern oder Familienangehörigen überhaupt
wahrgenommen wird. Mittlerweile gibt es in Deutschland verschiedene Vereine und Initiativen,
die Aufklärungsarbeit leisten und Heran- und Erwachsene genau darüber informieren, wie
Loverboys vorgehen, wie Opfer gefügig gemacht werden und welche Anlaufstellen im Ernstfall
Hilfe anbieten.