General

MORDFALL LÜBCKE – Ausschuss untersucht Rolle des Verfassungsschutzes, gelöschte Akten und Verbindungen zum NSU

Von Jens
Bayer-Gimm
, Migazin, 1. Februar 2021. Der Lübcke-Prozess
hat sich nur auf die Tat der Angeklagten konzentriert. Ein Untersuchungsausschuss
soll auch das Umfeld der Täter und ein mögliches Versagen des
Verfassungsschutzes prüfen. Erneut stehen viele Fragen im Raum: Verbindungen
zum NSU und gelöschte Akten.

Der
Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Mordfall Walter Lübcke will
möglichen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden nachgehen.

 

Der Prozess gegen Stephan E. und Markus H. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt habe
sich nur auf die Aufklärung der Tat der Angeklagten konzentriert, sagte der
Mitinitiator und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, Hermann Schaus
(Linke), dem „Evangelischen Pressedienst“. Der im vergangenen Jahr
konstituierte Untersuchungsausschuss wolle hingegen das Umfeld der
rechtsradikalen Szene in Nordhessen und ein mögliches Versagen des
Verfassungsschutzes überprüfen.

Die Vertreter der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss
des Hessischen Landtags von 2014 bis 2018 seien schon 2015 auf Stephan E. und
Markus H. aufmerksam geworden, sagte Schaus. Sie hätten beide als besonders
gefährlich eingeschätzt. „Warum sind E. und H. uns schon damals als gefährlich
aufgefallen, dem Verfassungsschutz aber nicht?“, fragte er.

Verfassungsschutz löschte
Akten

Die Linken hätten deshalb im Juni 2015 den Antrag
gestellt, die Erstellerin eines Dossiers des Verfassungsschutzes über
nordhessische Neonazis zu befragen, was der Ausschuss auch im Juli beschlossen
habe. Als die Befragung im Dezember 2015 stattfand, habe die Autorin nur
lückenhaft berichten können. Die Personenakten von E. und H. seien „im System
nicht mehr verzeichnet“.

„Wir kämpften um jedes Blatt Papier“, sagte Schaus
über das Ringen des NSU-Untersuchungsausschusses mit den hessischen
Sicherheitsbehörden. Im Nachhinein sei auf beharrliche Fragen des Ausschusses
herausgekommen, dass der Verfassungsschutz die Akten von E. und H. genau im
Juni 2015 intern löschte und die beiden Rechtsradikalen als „abgekühlt“
einstufte. Das zeitliche Zusammenfallen mit dem Auskunftsbegehren des
Untersuchungsausschusses sei auffällig, sagte Schaus. Der neue
Lübcke-Untersuchungsausschuss wolle nun erfahren, ob der Verfassungsschutz die
Personenakten direkt vor oder nach dem Antrag des Ausschusses unzugänglich
machte und warum. Eine rechtliche Notwendigkeit dazu habe nicht bestanden.

Verfassungsschutz hält
Akten zurück

Außerdem stelle sich die Frage, warum der
Verfassungsschutz die Personenakten von E. und H. nicht schon von sich aus dem
NSU-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt hat. „Warum hat der
Verfassungsschutz den Ausschuss am ausgestreckten Arm verhungern lassen?“,
fragte Schaus. Die Linke gehe davon aus, dass die NSU-Mörder von Halit Yozgat
2006 in Kassel einen Unterstützerkreis von lokalen Rechtsradikalen hatten. Es
stelle sich die Frage, ob bei mehr Transparenz des Verfassungsschutzes der Mord
an Lübcke hätte verhindert werden können.

Erst der neue Lübcke-Untersuchungsausschuss erhält
nach den Worten von Schaus die Personenakten von E. und H. Sie gehörten zu einem
Berg von mehr als 2.000 Aktenordnern, die dem Ausschuss von Polizei, Justiz,
Verfassungsschutz und anderen Behörden überstellt würden. Jede Fraktion habe
eine Stelle eigens für die Untersuchung genehmigt bekommen, bei der Linken
seien zwei Mitarbeiter damit beauftragt. Der stellvertretende
Ausschussvorsitzende äußerte die Hoffnung, dass nach Ostern die ersten Zeugen
befragt werden können. Die Dauer des Untersuchungsausschusses endet spätestens
mit der Legislaturperiode im Januar 2024. (epd/mig)