General

Untitled Post

Von
Milena Rampoldi, ProMosaik. ProMosaik hat vor kurzem das Buch „World
with out Rape
“ veröffentlicht, das Gedichte von Frauen enthält, die durch
die Poesie ihre Vergewaltigung im Kindes-, Jugend- oder Erwachsenenalter
aufarbeiten. Die Gedichte sind ein Schrei in einer Welt, in der mitten im
Lockdown die sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen noch zunimmt.
Parallel zur Übersetzung des Buches in verschiedene Sprachen, u.a.
Deutsch
, führen wir Interviews mit Frauenorganisationen, die Opfer
sexualisierter Gewalt und so auch von Vergewaltigung betreuen. 
Ich
habe mich mit Katharina Hölbing von Frauen gegen Vergewaltigung in Innsbruck
gesprochen.

 

Wie
würden Sie Vergewaltigung definieren?

Wir, im
psychosozialen Bereich, sprechen von sexualisierter Gewalt. Sexualisierte
Gewalt hat viele Gesichter. Sie geht von aufdringlichen Blicken, verbaler
Belästigung über sexuelle Belästigung und Vergewaltigung bis hin zu Zwangsprostitution
und weiblicher Genitalverstümmelung.

Vergewaltigung
ist also eine Form der sexualisierten Gewaltausübung.

Im Strafrecht
gibt es natürlich eine klare gesetzliche Definition, was vor Gericht als Vergewaltigung
„zählt“.

Sexualisierte
Gewalt beginnt für uns da, wo Frauen und Mädchen auf ihren Körper reduziert und
gedemütigt werden. Sie stellt einen massiven Angriff auf die körperliche,
seelische und geistige Unversehrtheit eines Menschen dar.

Wie
wichtig kann Poesie für die Opfer sein, um Ihre Gewalterfahrung zu verarbeiten?

In unserer
Arbeit mit betroffenen Frauen verfügen wir über verschiedene Methoden, die wir
in den Beratungen anwenden. Eine davon ist das Niederschreiben der Gedanken,
Gefühle und Träume, die mit der sexualisierten Gewalterfahrung zusammenhängen. Manche
Frauen fassen auch die Bilder, die sie vor ihrem inneren Auge haben, in Worte:
in Form von literarischen Texten oder Gedichten.

Ebenso arbeiten
wir in der Beratung mit Märchen und Geschichten, die die Frauen in ihrem
Heilungsprozess begleiten können.

Viele
Frauen möchten auch über die Erfahrungen anderer Frauen lesen und beschäftigen
sich mit relevanten Büchern zum Thema sexualisierte Gewalt.

Das
geschriebene Wort ist also ein wichtiger Bestandteil der Aufarbeitung  für betroffene Frauen.




Welche
sind die Hauptprojekte und die Ansätze von Frauen gegen Vergewaltigung?

Der
Verein Frauen gegen Vergewaltigung ist eine Beratungsstelle für Frauen und
Mädchen ab 16 Jahre, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Wir bieten
psychosoziale Beratung und Prozessbegleitung an. Unser Angebot ist für die
Frauen kostenfrei, da wir eine geförderte anerkannte Opferschutzeinrichtung
sind.

Frauen
können zur Beratung kommen, ganz egal, wie lange die Gewalterfahrung zurück
liegt. Vielen Frauen ist es aus verständlichen Gründen erst möglich, viel
später zu kommen.

Die Inhalte
in der Beratung sind vertraulich und auf Wunsch können die Frauen auch anonym
zu uns kommen. Das Ziel ist, die Frauen zu stabilisieren, Ihnen „einen Boden
unter den Füßen“ zu geben.

Wir begleiten
die Frauen dabei, ihre Ressourcen und Selbstheilungskräfte (wieder) zu
entdecken.

Prozessbegleitung
ist ein (in Österreich) im Opferschutzgesetz verankertes Recht.

Wenn
sich betroffene Frauen zu einer Anzeige entscheiden, können sie bei uns Prozessbegleitung
in Anspruch nehmen. Das heißt, sie werden während des ganzen Prozesses psychosozial
begleitet, wir gehen zu den Terminen bei der Polizei und beim Gericht mit und organisieren
alles, was in Zusammenhang mit dem Prozess anfällt. Außerdem stellen wir den Frauen
eine Anwältin zur Seite, die sie vor Gericht juristisch vertritt.

Ein
dritter, wichtiger Teil unsere Arbeit, ist die Sensibilisierungsarbeit: indem
wir Workshops, Informationsveranstaltungen und Fortbildungen zum Thema
anbieten, wollen wir die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und es
somit langfristig enttabuisieren.

Welche
sind in Österreich die spezifischen Gewalterfahrungen von Frauen?

Wir denken
in Österreich ähneln Gewalterfahrungen von Frauen denen in anderen Ländern. Frauen
müssen oft körperliche, psychische und/oder sexualisierte Gewalt erleiden. Die meisten
betroffenen Frauen kennen den Täter und viele Gewaltübergriffe passieren im häuslichen
Bereich.

Wir sind
der Überzeugung, solange es noch hierarchische Unterschiede zwischen Männern
und Frauen gibt, solange es ein Machtgefälle in Beziehungen gibt und patriarchale
gesellschaftliche Strukturen, wird es auch (sexualisierte) Gewalt von Männern
an Frauen geben. Egal welcher Nationalität diese angehören.

 

Wie
wichtig ist die Schuldfrage bei den Opfern und wie überwindet man diese?

Viele
Opfer, die zu uns kommen, haben das Gefühl zu wenig vorsichtig gewesen zu sein,
sich zu wenig gewehrt zu haben, sich „falsch“ verhalten zu haben.

Es gibt
immer noch Mythen in der Gesellschaft, die den Frauen zumindest eine Teilschuld
an einem sexualisierten Gewaltübergriff zuschreiben: sie wären leichtsinnig
gewesen, sie hätten den Täter durch ihre Kleidung und ihr Verhalten provoziert,
sie hätten zu viel getrunken etc…

Es ist wichtig,
den Frauen zu sagen, dass sie niemals schuld an einem Übergriff sind, dass die
Verantwortung für die Tat ganz allein der Täter trägt. Und dass sie das Recht
haben zu jedem Zeitpunkt der Begegnung „Nein“ zu sagen und diesem „Nein“ folge
geleistet werden muss.

 

Wie
sehr belastet die Coronakrise Ihre Arbeit und das Leben der Opfer?

Es ist
zu beobachten, dass es in der Zeit der Isolation, also des „lock downs“ in Österreich,
am Weg der Gleichberechtigung „einen Schritt zurück“ gegeben hat. Meistens
haben Frauen die Verantwortung für die Arbeiten zu Hause und die Betreuung der Kinder
übernommen.

In
Beziehungen und Familien, in denen die Situation schon vor Corona existenziell und
emotional schwierig war, wurde sie jetzt noch verschärft. Durch das nahe
Zusammensein aller Familienmitglieder daheim wurde die Gefahr häuslicher Gewalt
verstärkt.

Für uns in der Beratungsstelle war
spürbar, dass sich für Menschen, die auch vor der Krise schon psychisch
belastet waren, die Situation verschlechtert hat. Wir versuchten die Frauen
weiterhin intensiv telefonisch und per mail zu
begleiten und ihnen auch in dieser
Situation Unterstützung zu geben.

Wir bedanken uns sehr für Ihr Interesse
an unserer Arbeit!