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Nina Degele / Gabriele Winker: Intersektionalität – Über die Verflechtung von Herrschaftsverhältnissen

Von Peps Perdu, Untergrundblättle, 11. Januar 2021. Intersektionalität
ist das Zauberwort, um die Verflechtung von Ungleichheiten zu erfassen. Die
Grundlage dessen und eigene wissenschaftliche Modelle stellen die
TheoretikerInnen Nina Degele und Gabriele Winker vor. „Wir können Geschlecht
nicht in Isolation von anderen Ungleichheiten betrachten, noch können wir
allein die Verflechtung von Ungleichheiten untersuchen und die historische und
kontextuelle Spezifität ignorieren, welche die Mechanismen, die Ungleichheit
durch verschiedene kategoriale Trennungen produzieren, ignorieren.“ (Risman
2004, S. 443)


Herrschaftsverhältnisse und Ungleichheiten reloaded

Intersektionalität und die damit einhergehenden Diskurse sind Grund für
einen Paradigmenwechsel in den Geschlechterstudien und führen so auch
disziplinübergreifend zu neuen Herangehensweisen. Der Begriff wurde von der
US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt, um die Diskriminierung
von women of color zu erfassen, welche aufgrund ihrer Ethnizität und ihres
Geschlechts besonders starken Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt
waren.

Crenshaw benutzt dabei die Metapher einer Strassenkreuzung (englisch:
intersection), um diese doppelte Diskriminierung darzustellen.
Intersektionalität beziehungsweise intersektionale Ansätze werden dazu
verwendet, Ungleichheitsdimensionen und ihre Überschneidungen darzulegen und zu
analysieren. Mittlerweile finden solche Ansätze auch über die gender studies
hinaus in den Sozialwissenschaften oder den Kulturwissenschaften Anklang.
Hierbei setzt sich die Erkenntnis durch, dass Ungleichheiten und
Unterdrückungsmechanismen, welche sich aufgrund von Strukturkategorien und
Formen der Differenzsetzung ergeben, nicht isoliert voneinander betrachtet
werden können, sondern diese aufeinander wirken und sich so ändern
beziehungsweise verstärken und abschwächen können.

Um diese oft kompliziert wirkende theoretische Strömung zu verstehen, bieten
Gabriele Winker und Nina Degele mit ihrem Band „Intersektionalität. Zur Analyse
sozialer Ungleichheiten“ eine verständliche und klar strukturierte Einführung
für all jene, die sich zum ersten Mal mit der Thematik auseinandersetzen.
Aufgrund ihrer eigenen Forschungen anhand der Mehrebenenanalyse lassen sich
jedoch auch praktische Anwendungsbereiche der Intersektionalitätsforschung
nachvollziehen.

Das Buch ist in sechs Kapitel untergliedert, wobei gerade die ersten beiden für
diejenigen interessant sind, die sich eher einführend mit dem Thema
auseinandersetzen wollen. In der Einleitung umreissen Degele und Winkler die
Aktualität intersektionaler Analysen sowie die Verbindungen der Kategorien und
Ebenen. Sie gehen darauf ein, warum gerade die Betrachtung der Wechselwirkung
von ungleichheitsgenerierenden Herrschaftsverhältnissen wichtig ist und nicht
eine einfache Addierung der Diskriminierungsaspekte.

In anderen Worten: women of color können als Frauen diskriminiert werden und
als people of color, aber es kommt zu spezifischen Diskriminierungen unabhängig
des Umstandes, dass sie women of color sind. Eindimensionale Modelle, welche
nur einen Bezug auf das Klassenverhältnis oder aber das Herrschaftsverhältnis
Patriarchat wiedergeben, haben mittlerweile ausgedient (S. 12), da sie in ihrem
Fokus auf nur eine Kategorie eine verkürzte Analyse bieten. Bei der Frage nach
der Anzahl der zu betrachtenden Kategorien gehen sie sowohl auf schon
bestehende Konzepte ein, markieren aber auch hier offene Fragen und Probleme,
welche mit den verschiedenen Theorien einhergehen.

Eine Erweiterung von race, class, gender

Degele und Winker positionieren sich klar in der Ansicht darüber, dass sich
die verschiedenen Kategorien durch die sie forcierenden unterschiedlichen
Herrschaftsverhältnisse abtrennen lassen und so als Strukturkategorien gefasst
werden. Bei ihrer Mehrebenenanalyse setzen sie Kapitalismus „vor die Klammer“,
da sich ihrer Ansicht nach jedes andere Herrschaftsverhältnis in den Zwang der
Lohnarbeit und die kapitalistische Verwertungslogik integrieren lässt und dort
deutlich wird (vgl. S. 37). Neben Klasse (Kapitalismus), Geschlecht
(Patriarchat) und „Rasse“ führen sie eine vierte zu betrachtende Kategorie in
ihre Analyse ein, nämlich den Körper als Kulturprodukt, welcher die Chancen auf
dem Arbeitsmarkt steigert.

Hier zeigt sich die Stärke ihrer Kategorienauswahl, da sich auch
Differenzkategorien wie Alter, sexuelle Orientierung oder aber ability (
„behindert“ vs. „normal“) integrieren lassen. Durch die analytische Verengung
der Kategorien auf ihr Verhältnis zur Arbeit bleiben allerdings andere
Ausprägungen heteronormativer oder rassistischer Ausprägungen unreflektiert,
wie beispielsweise rassistische Polizeigewalt oder sexualisierter Gewalt. So
scheint – auch wenn es das Ziel der Intersektionalität ist, genau dies nicht zu
tun – diese „Klammer“ zur Wiederholung der Haupt- und
Nebenwiderspruchsproblematik zu führen.

Und auf welchen Ebenen spüren sie Diskriminierung?

Neben der klaren Erläuterung der Kategorienauswahl und der historischen
Herleitung dieser ist eine weitere Darstellung des Buches die Darstellung der
verschiedenen gesellschaftlich relevanten Ebenen, auf welchen ihr
Intersektionalitätsmodell aufbaut. Sie berücksichtigen „sowohl
gesellschaftliche Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen
(Makro- und Mesoebene) sowie Prozesse der Identitätsbildung (Mikroebene) als
auch kulturelle Symbole (Repräsentationsebene)“ (S. 18).

Gegenüber anderen Theoretiker_innen wie Knapp und Klinger gelingt es ihnen so,
alle drei Ebenen miteinander zu verbinden und die erwähnten Kategorien nur
deduktiv auf der Strukturebene zu setzen, um so auf den anderen beiden Ebenen
Spielraum für eigene Interpretationen zu lassen. Jedoch führt die Auswahl der
Kategorien auf Strukturebene zu begrifflichen Problemen, denn auch wenn sich
nach Degele und Winker generierte Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen
wie Antiziganismus und Antisemitismus unter dem Begriff des Rassismus subsumieren
lassen, so ergibt sich doch die Frage, inwieweit dadurch nicht auch die
spezifisch und unterschiedlich wirkenden Diskriminierungen nicht mehr
wahrgenommen werden können.

Zudem wird zwar in Bezug auf die Kategorie „Rasse“ von einem
Herrschaftsverhältnis ausgegangen, welches mit dieser Kategorie verbunden ist;
allerdings wird hierbei verfehlt, dieses zu benennen oder – wie es in Bezug auf
Klasse und Geschlecht geschieht – in einen historischen Kontext einzubetten.
Ein möglicher Grund dafür könnte darin begründet liegen, dass auch hier die
Forschung in Bezug auf soziale Ungleichheit durch „Rasse“, Ethnizität,
Weltanschauung, Religion oder Nationalität noch Unklarheiten aufweist.

Gerade im vierten Kapitel zeigt sich eine weitere Stärke vom Degele und Winkler:
Sind theoretisch-empirische Modelle oft sehr trocken und schwierig
nachzuvollziehen, vereinfachen die Auszüge einzelner Interviews und die
bildliche Darstellung des Modells und des Untersuchungsverlauf in Form von
Diagrammen das Verständnis der intersektionalen Mehrebenenanalyse enorm.

Zusammenfassend lässt sich zweierlei festhalten: Einerseits kann man –
vergleicht man das vorliegende Werk mit anderen Büchern, welche sich mit dieser
Thematik auseinandersetzen – Degele und Winker für ihre verständliche Sprache
und die Sinnhaftigkeit ihrer Argumentation danken. Andererseits lässt dieses
Buch hoffen, dass es in den nächsten Jahren zu weit mehr Betrachtungsweisen
intersektionaler Ansätze kommt, denn „Intersektionalität hat sich in seiner
kurzen Geschichte zu einem Konzept entwickelt, das über ein Strömungen
übergreifendes Potenzial verfügt und Perspektiven für konstruktive
Weiterentwicklungen und Anwendungen bietet.“ (S. 14)

Nina Degele /
Gabriele Winke: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009. 166 Seiten ca. 19.00 SFr., ISBN
978-3-8376-1149-6

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