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Robert Koch und die Verbrechen der Kolonialmedizin

von Werner Rügemer, Nachdenkseiten, 5.1.2021.  Nicht nur das Robert Koch-Institut, sondern auch andere führende Einrichtungen der medizinischen und epidemiologischem Forschung wie die Johns Hopkins University und die Berliner Charité arbeiten ihre Verbrechen aus der Vergangenheit nicht selbst auf. Erkenntnisse kommen von anderer Seite. 


„Zu Kolonialzeiten war es üblich, dass Forscher skrupellos mit Afrikanern experimentierten, allen voran die Deutschen. Auch Robert Koch zwang kranke Menschen in Konzentrationslagern und testete an ihnen neue Gegenmittel. Die Gräueltaten der kolonialen Tropenmedizin wirken bis heute.“ So beginnt die Sendung „Robert Koch und die Verbrechen von Ärzten in Afrika“ am 26.12.2020, Autorin: Julia Amberger.[1]

Koch ging sofort mit Beginn der Kolonialkriege des Deutschen Kaiserreiches 1883 als 39jähriger Arzt nach Afrika. Seine Experimente fanden im Rahmen der militärisch-wirtschaftlichen Eroberung von Kolonien d.h. der Ausbeutung von Menschen und Bodenschätzen statt. Er stand auch im Austausch mit britischen Kolonialärzten, die schon mehr Erfahrung hatten. Mit ihnen ging er bis in die wichtigste Kolonie Englands, nach Indien. Im Auftrag der Reichsregierung experimentierte er mit Eingeborenen in Südafrika und Deutsch-Ostafrika. Dort sollte u.a. die Schlafkrankheit bekämpft werden, damit den deutschen Unternehmern möglichst wenig Arbeitskräfte wegstarben.

Tödliche Experimente in Konzentrationslagern: Keine Aufarbeitung durch das RKI

„Als Medikament testete er das arsenhaltige Mittel Atoxyl. Dass es in hoher Dosierung giftig ist, war bekannt. Trotzdem erhöhte er die Dosis schrittweise… und nahm Schmerzen, Erblindung und den Tod tausender Menschen billigend in Kauf“, heißt es in der Sendung. Weiter: „Um pro Tag rund 1.000 Patienten zu untersuchen, isolierte er vermeintlich Kranke in sogenannten Konzentrationslagern: Es fehlte an allem… Wie viele Menschen allein wegen dieser Zustände starben, weiß niemand.“[2]

„Die Kolonialmedizin sollte nicht Menschen in Not helfen. Sie diente dem ökonomischen Aufschwung der Kolonie – und neuen Erkenntnissen für die deutsche Wissenschaft und die Pharmaindustrie.“ Nach dem Kaiserreich und dem verlorenen 1. Weltkrieg nahmen die Alliierten Deutschland die Kolonien ab. Aber die Tradition wurde fortgeführt: „So haben die deutschen Ärzte an Afrikanern erprobt, was sie später an Juden, Homosexuellen und politischen Gegnern perfektionierten.“

Diese Geschichte ihres Namensgebers wurde und wird nicht vom Robert Koch-Institut (RKI) aktiv und öffentlich aufgearbeitet, auch nicht etwa von der staatlich subventionierten Medizingeschichte.

Auch Johns Hopkins University: Keine Aufarbeitung medizinischer Verbrechen

Ähnlich ist es bei der führenden medizinischen und Pandemie-Forschungseinrichtung des kapitalistischen Westens, der privaten Elite-Universität Johns Hopkins University in Baltimore/USA. Dort werden zahlreiche spezialisierte Institute seit dem 1. Weltkrieg vom Staat zusammen mit reichen Unternehmens-Stiftungen finanziert, so gegenwärtig z.B. durch die Stiftungen der Multimillardäre Michael Bloomberg, Stavros Niarchos (Unterstützer des Militärputsches in Griechenland 1967) und William Gates. Das Global Health Security Institute der Universität hat bekanntlich im vielgenutzten Global Health Security Index von 2019 unter allen 193 UNO-Mitgliedsstaaten die Gesundheitssysteme der USA und Großbritanniens als die auf Pandemien „am besten vorbereiteten“ ausgezeichnet – daran orientierten sich nicht nur die US- und die britische Regierung unter Donald Trump und Boris Johnson, sondern auch die Regierungen in der EU.[3]

Mediziner der Johns Hopkins University waren nach dem 2. Weltkrieg von 1946 bis 1953 an tödlichen Experimenten beteiligt: Sie infizierten in Guatemala 1.500 Gefangene, Prostituierte, einfache Soldaten und Kinder aus kirchlichen Heimen ohne deren Wissen mit Geschlechtskrankheiten. Ziel: Die Geschlechtskrankheiten der weltweit in neuen Kriegen eingesetzten US-Boys auf möglichst niedrigem Stand halten und deren Kampffähigkeit erhalten. Auch diese Verbrechen wurden nicht durch die Universität selbst aufgearbeitet, sondern werden bis heute beschwiegen.

Erst 2010 stieß die Historikerin Susan Reverby, ohne danach zu suchen, zufällig auf Unterlagen. Die darauf begründete Entschädigungsklage hunderter Betroffener und Nachkommen gegen die Universität, die finanzierende Rockefeller-Stiftung und den Pharmakonzern Bristol Myers Squibb steht in Washington immer noch zur Entscheidung an. Keiner der Angeklagten bestreitet die Fakten, sie weisen aber alle Schuld von sich und haben sich nicht entschuldigt.

Das Robert Koch-Institut arbeitet eng mit der Johns Hopkins Unversity zusammen und hat sich zu den Verbrechen des Kooperations-Partners nie geäußert.

Charité: Aufarbeitung der Verbrechen nicht durch die Charité selbst

Die führende Virologie- und Pandemie-Institution in Deutschland ist, neben dem exekutierenden Robert Koch-Institut, die Charité. Sie ist unter staatlichem Dach zugleich das größte durchprivatisierte Krankenhaus in Deutschland – etwa durch die Auslagerung zahlreicher Tätigkeiten in die Billigtochterfirma Charité Facility Managment GmbH.[4] Die Charité betreibt Forschung und pflegt weltweite Beziehungen – besonders intensiv mit der Johns Hopkins University.

Die Charité betreibt seit 2013 das Projekt „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“. Die Fördermittel kommen u.a. von der Springer-Stiftung. (Der jährliche Axel Springer Award wurde 2020 an den Corona-Leugner und Impfgegner Elon Musk vergeben, Preisredner war ausgerechnet der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn: Er zitierte einige Äußerungen von Musk und empfahl etwas, das er anderen prinzipiell verweigert: Man müsse „im Dialog“ bleiben. Da freute sich die maskenlos im Festsaal der Berliner Springer-Hochhauses versammelte Prominenz aus dem Springer-Konzern und deutschen Unternehmen.)[5]

Beim Aufarbeitungsprojekt „GeDenkOrt.Charité“ wird pflichtgemäß daran erinnert, dass die Krankenhaus-Leitung in der NS-Zeit jüdische Mitarbeiter entlassen hat. So sagte bei der Eröffnung der Vorstandsvorsitzender der Charité, Prof. Dr. Karl Max Einhäupl: „’Nicht-arische’ und politisch missliebige Kolleginnen und Kollegen wurden geächtet, entlassen und vertrieben.“

Hingerichtete Frauen aus Plötzensee: „Ein wertvoller Werkstoff“

Erst 2019 wurde ein besonderes medizinisches Verbrechen thematisiert: Die Verwertung der Leichen von hingerichteten Widerstandskämpfern des NS-Regimes in der Anatomie der Charité: Aber die Aufarbeitung wurde sofort und wird bis heute auf einen ganz kleinen Bereich eingegrenzt.

Von 1933 bis 1945 wurden vor allem im Berliner Gefängnis Plötzensee mehr als 2.800 Widerstandskämpfer und politisch Diskriminierte hingerichtet. Sie wurden mehrheitlich zur wissenschaftlichen Verwertung, zu Forschungs- und Lehrzwecken an das Anatomische Institut der Charité geliefert.

Die Verwertung geschah nicht zwangsweise, sondern nach den präzisen Wünschen der Charité, etwa dass die Hinrichtungen nicht später als abends um 20 Uhr stattfinden sollten: Die nächtlichen Luftangriffe sollten nicht die „Bearbeitung der Leichen zu Forschungszwecken“ behindern. Und die „beteiligten Ärzte“ sollten noch rechtzeitig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln „nach Hause kommen können“.

Eng begrenzte Aufarbeitung

Am 9. Mai 2018 veranstaltete die Charité das Symposium „Die Berliner Anatomie im Nationalsozialismus“. Die beiden Fachvorträge von Prof. Andreas Winkelmann und Prof. Johannes Tuchel beschränkten sich allerdings auf den Charité-Anatomen Prof. Hermann Stieve, der allerdings nur etwa 300 Leichen aus Plötzensee verwertete.

Stieve hatte sich darauf spezialisiert, das Verhalten des weiblichen Eierstocks unter Schockzuständen – beispielsweise einer Hinrichtung – zu untersuchen. „Durch die Hinrichtungen erhält das Anatomische und anatomisch-biologische Institut einen wertvollen Werkstoff, wie ihn kein anderes Institut der Welt besitzt“, schwärmte Stieve. Auch nach dem Krieg publizierte er dazu in der Zeitschrift „Das deutsche Gesundheitswesen“.

Einer der 300 Leichname für Stieve war die am 16.12.1943 durch das Fallbeil hingerichete Elfriede Remarque. Die Schwester des weltberühmten Schriftstellers und Marlene-Dietrich-Liebhabers Erich Maria Remarque, der in die USA geflüchtet war, war in Deutschland geblieben. „Knapp 30 Minuten nach der Hinrichtung wurde sie in die Charité überführt, wo ihr Leichnam von einem dreiköpfigen Ärzteteam, zwei Studenten, einer Schwester und zwei Krankenpflegern im hell erleuchteten Sektionsraum des Anatomischen Instituts schon erwartet wurde.“[6]

Warum, Herr Professor Drosten?

Die Aufarbeitung durch die Charité beschränkt sich auf den „Fall Stieve“.[7] Was mit den anderen 2.000 Leichen Hingerichteter aus Plötzensee in der Charité passierte, durch wen sie als „wertvoller Wertstoff“ verwertet wurden – bleibt unerforscht.

Warum, Herr Professor Drosten, zweigen Sie nicht ein paar hunderttausend Dollar aus der großzügigen Spende der Bill and Melinda Gates-Foundation an die Charité nicht für diese Forschung ab, wenigstens jetzt, ein Dreivierteljahrhundert später?

Titelbild: ralphmeiling/shutterstock.com


[«1deutschlandfunk.de/menschenexperimente-robert-koch-und-die-verbrechen-von.740.de.html?dram:article_id=489445

[«2] Der Begriff „Konzentrationslager“ war, ausgehend von Südafrika, in der Kolonialpraxis v.a. der Briten damals üblich.

[«3] Werner Rügemer: „Die USA haben das sicherste Gesundheitssystsem der Welt“ – Die Johns Hopkins University und das globale Pandemien-Management, nachdenkseiten.de 1.4.2020

[«4] Werner Rügemer/Elmar Wigand: Die Fertigmacher. ArbeitsUnrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung, Köln, 3. Auflage 2017, S. , S. 211ff.

[«5] Werner Rügemer: Corona-Leugner unter sich: Ohne Maske feiern mit Elon Musk, nachdenkseiten.de 7.12.2020

[«6] Heinrich Thies: Die verlorene Schwester. Elfriede und Erich Maria Remarque. Eine Doppelbiografie. Zu Klampen Verlag, Springe 2020, S. 293ff.

[«7] Johannes Tuchel: Hinrichtungen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee 1933 – 1945 und der Anatom Hermann Stieve, herausgegeben von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 2019. Die Broschüre erwähnt im Titel nicht die Charité, ist nicht in einem Verlag erschienen und kann von der Gedenkstätte gegen eine Schutzgebühr bezogen werden.