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Die Vergewaltigung schwarzer und einheimischer Frauen prägte das Genom der BrasilianerInnen

Von Maria Clara Rossini, deutsche Übersetzung von
Milena Rampoldi, Tlaxcala,
12.01.2021. Die ersten Ergebnisse des umfassendsten genetischen
Sequenzierungsprojekts, das jemals in Brasilien durchgeführt wurde, zeigen,
dass die Gene, die ausschließlich auf mütterlichem Wege vererbt werden, im
Allgemeinen schwarz und einheimisch sind, während die von den Vätern
übertragenen Gene faste alle von europäischen Kolonisatoren stammen.

(Weiße) Männer und eine schwarze Frau. Gemälde des holländischen Künstlers Christiaen Couwenbergh, 1632

Das Projekt DNA do Brasil verfolgt das Ziel
der Analyse des Genoms von 40.000 BrasilianerInnen. Es handelt sich hierbei um
die größte Untersuchung dieser Art, die jemals im Land durchgeführt wurde. Auf
dieser Grundlage wird die umfassendste genetische Datenbank entstehen, die für
unsere Bevölkerung verfügbar ist. Die Initiative wurde vor neun Monaten, im
Dezember 2019, angekündigt und liefert schon erste Ergebnisse. 

Die ForscherInnen haben schon die
Genomsequenzierung von 1.247 Brasilianern abgeschlossen. Die Freiwilligen
kommen aus allen Teilen des Landes und reichen von den Flussgemeinden im
Amazonasgebiet bis zu den Bewohnern der Stadt São Paulo. Eine der Zielsetzungen
des Forschungsprojektes ist medizinischer Natur: Denn die genetischen Daten
ermöglichen die Identifizierung von Gruppen, die anfälliger für bestimmte
Krankheiten sind, was dann in die Lage versetzt, Ressourcen und Bemühungen des
SUS (öffentliches Gesundheitswesen) klugerweise zu steuern.

Die genetische Kartierung liefert auch
Daten über die Abstammung der Freiwilligen. Allein in diesen 1.247 vorläufigen
Genomen konnten bereits genetische Varianten aus 54 Bevölkerungen weltweit beobachtet
werden. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Brasilien in genetischer Hinsicht
extrem vermischt ist- aber diese vermischte genetische Zusammensetzung erfolgt
nicht auf ausgewogene Art und Weise. 

Ungleiche Vererbung

Die Hälfte unserer Gene wird von der
Mutter vererbt, während die andere Hälfte vom Vater stammt. Im Allgemeinen
lässt sich nicht identifizieren, ob die Gene von der Mutter oder vom Vater
stammen. Es gibt aber auch Ausnahmen.

Das Y-Chromosom ist eine davon. Die
weiblichen Geschlechtschromosomen sind XX und die der Männer XY. Dies bedeutet,
dass die Mutter das X-Chromosom immer auf den Fötus überträgt. Und dann sind
die Spermatozoen des Vaters dafür verantwortlich, das Geschlecht des Babys zu
„bestimmen“, indem sie entweder das X- oder das Y-Chromosom übermitteln. 

Dies bedeutet, dass jedes in der
Bevölkerung vorgefundene Y-Chromosom immer vom Vater stammt, wodurch die männliche
Abstammungslinie der Männer im Land nachverfolgt werden kann. Dasselbe gilt für
die weibliche mitochondriale DNA. Es ist immer die Mutter, die die
Mitochondrien an ihr Kind weitergibt – Die Mitochondrien sind die
Zellkraftwerke, die über ihr eigenes genetisches Material verfügen -, sodass
die gesamte DNA in den Mitochondrien einer Bevölkerung notwendigerweise von den
Frauen vererbt wurde.

Kommen wir nun zu den Ergebnissen: 75% der
Y-Chromosomen in der Bevölkerung werden von europäischen Männern vererbt. 14,5%
stammen von Afrikanern und nur 0,5% von den Ureinwohnern. Die anderen 10%
stammen zur Hälfte aus Ost- und Südasien und zur anderen Hälfte aus anderen
Orten in Asien.

Bei der mitochondrialen DNA war es
umgekehrt: 36% dieser Gene stammen von afrikanischen und 34% von indigenen
Frauen. Nur 14% stammen von europäischen und  nur 16% von asiatischen
Frauen. 

Wenn man die weiblichen Prozentsätze
addiert, ergibt sich, dass 70% der Mütter, aus denen die brasilianische
Bevölkerung hervorgegangen ist, Afrikanerinnen und Ureinwohnerinnen sind,
während aber 75% der Väter Europäer sind. Der Grund hierfür ist auf die Jahre
der portugiesischen Kolonialisierung in Brasilien zurückzuführen. Die
Vergewaltigung versklavter schwarzer und indigener Frauen war der Standard.

Die gewalttätige Ausbeutung und
Massenvernichtung führten auch dazu, dass einheimische Männer kaum Nachkommen
hinterließen – sie machen nur 0,5% des Genoms in der Bevölkerung aus, während
einheimische Frauen 34% des Genoms darstellen. „Was geschah, war Folgendes: Die
Männer wurden getötet oder unterworfen und die Frauen vergewaltigt“, so Tábita
Hünemeier des Instituts für Biowissenschaften (IB), die sich mit der Genetik
der Bevölkerung beschäftigt und eine der KoordinatorInnen des Projekts ist.

Zahlen wie diese sind für die Genetik
nicht neu. „Sie gelten als Standard in Lateinamerika“, bestätigt Hünemeier.
Dasselbe gilt für die Bevölkerung von Ländern wie Kolumbien und Kuba, die
ebenfalls Opfer der iberischen Kolonialisierung waren. Andere in Brasilien durchgeführte
genetische Studien, die nur das Y-Chromosom und die mitochondriale DNA
untersuchen, zeigen diesen Trend seit den 2000er Jahren auf.

Das Genom der ersten Freiwilligen des
Projekts warf nicht nur das Licht auf historische Gräueltaten, sondern enthüllte
auch vier Millionen neue genetische Varianten, die bei den anderen
internationalen Genombanken nicht registriert sind. Eine andere genomische Kartierung, die
kürzlich durchgeführt wurde und nur ältere Brasilianer betraf, zeigte zwei
Millionen weitere unveröffentlichte Varianten.

Eine einheimische Frau wird markiert. Gemälde von Miguel Covarrubias