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Platons Musen – ProMosaik im Gespräch mit Harald Haarmann

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit
Harald Haarmann. Thema sein neues Werk mit dem Titel Platons Musen, das voll
und ganz auf das Thema der Weiblichkeit im Denken Platons fokussiert und damit
wiederum beweist, wie aktuell Themen rund um die Philosophie des Altertums, vor
allem auch mit Bezugnahme auf Alteuropa und seine Kultur der Gleichberechtigung
und des Zusammenlebens auf Augenhöhe sein können.

Was
bedeutet für Sie die These, dass Platon die Philosophie nicht als Selbstzweck
sah?

Für Platon war die
Beschäftigung mit philosophischen Fragen kein Selbstzweck, im Sinn von “l’art
pour l’art” (Kunst um der Kunst willen), sondern für ihn hat die Philosophie
die Funktion einer Anleitung für die Lebensgestaltung, und das Tun und Handeln
eines Menschen hat sich laut Platon am Gemeinwohl zu orientieren. Das heißt, es
geht darum, dass die Philosophie ein Rahmenwerk für ein sinnvolles und
verantwortliches Leben bereit stellt. Die Verantwortlichkeit drückt sich in
Form von Rechtschaffenheit aus, und dies ist die Maxime für das Verhalten und
Handeln der Menschen in der Gemeinschaft, also im Kreis der Familie, in der
Dorfgemeinschaft, als Stadtbewohner und in der Rolle als Staatsbürger. Platon
erkennt durchaus die Bedeutung des Individuums mit seinen Aspirationen und
Intentionen als Einzelperson, als Maxime für das Handeln des Einzelnen gilt
aber nach Platon immer, dass dies im Einklang mit den Interessen des
Gemeinwohls steht.

Wenn Platon bei
seinen Betrachtungen den Blick auf die Interessen des Gemeinwohls richtet, ist
dies eine lebensnahe Orientierung, von der wir alle, eben auch wir Menschen in
der digitalen Moderne, profitieren können. Das macht Platons Ideenwelt zeitlos
bedeutend und deshalb so attraktiv. Platon gelingt es aufzuzeigen, was
erforderlich ist, um dem Leben einen Sinn zu geben. Als der Betrieb in der von
Platon 387 v. Chr. gegründeten Akademie aufgenommen wurde, hatten dort Frauen
ebenso wie Männern Zugang, und den Bürgern von Athen war die Gelegenheit
gegeben, an bestimmten Tagen – wenn die Akademie “Haus der offenen Tür” war –
die Debatten zu verfolgen. 

Für Platon kommt
dem Blick auf das organische Ganze menschlicher Existenz in ihrer kommunalen
und allgemein-gesellschaftlichen Einbindung ein Stellenwert von höchster
Priorität zu. Platons philosophisches Gesamtwerk ist allumfassend und setzt
sich mit praktisch allen großen Fragen auseinander, die nach ihm in der
Philosophiegeschichte erörtert worden sind. Aus gutem Grund hat der
Platon-Kenner Harald Seubert für eine seiner Monographien den treffenden Titel Platon
– Anfang, Mitte und Ziel der Philosophie
(2017) gewählt.

Warum
diese Analyse der weiblichen Intellektualität in Verbindung mit Platon? Welchen
Beitrag leisten Sie damit zur Platonforschung?

Diese Analyse der
weiblichen Intellektualität ist die Antwort auf haltlose und klischeehafte
Behauptungen, wonach Platon angeblich zum Kreis der “patriarchalischen
Schriftsteller” gehört. “Forscher”, die solche Behauptungen aufstellen,
entlarven sich damit selbst, denn sie haben ganz offensichtlich die Werke
Platons nicht gelesen. Wenn von Aristoteles gesagt wird, er sei ein
patriarchalischer Schriftsteller, dann trifft das zu, aber dessen Einstellung
gegenüber Frauen unterscheidet sich von der Einstellung seines Mentors Platon
wie die Nacht vom Tag. Platon betrachtet Frauen und Männer als gleichwertig im
Hinblick auf ihre Fähigkeiten, und das betrifft intellektuelle Leistungen
ebenso wie das Organisationstalent zur Haushaltsführung und die Qualifikation
für Staatsämter.

Ich bin der
Thematik über die Einstellung zu Frauen in der Ideenwelt Platons auf zwei
unterschiedlichen Schienen nachgegangen. Da ist zunächst die Standortbestimmung
dieses Philosophen in Sachen Gleichberechtigung – also “was denkt Platon über
Frauen?” -, und wie das in seinen Dialogen zum Ausdruck kommt (H. Haarmann, Plato
on women – Revolutionary ideas for gender equality in an ideal society
,
Amherst, NY, 2016). Eng damit verknüpft, dabei aber unterschiedlich
ausgerichtet, ist die Einflussnahme von Frauen auf das Denken und Wirken
Platons, und dies ist das Hauptthema der jüngsten  Studie (H. Haarmann, Platons Musen –
Philosophie im Licht weiblicher Intellektualität
, Hildesheim, 2020). Wenn
man versteht, dass Platon ein Vertreter der Gleichberechtigung der Frauen war,
wird leicht verständlich, wie es sein kann, dass Frauen mit hohem
Bildungsniveau die Denkweisen dieses Philosophen beeinflusst haben.

Es ist keine
Übertreibung, wenn als Fazit dieser jüngsten Studie (mit Rückendeckung durch
die frühere Analyse) herauskommt: Platons Gesamtwerk wäre ohne die Einwirkung
und den Beitrag intellektueller Frauen Stückwerk geblieben und hätte nicht die
Zielsetzung einer Gesamtschau menschlicher Existenz im Sinn eines organischen
Ganzen erreicht. Erst wenn diese Zusammenhänge ausgeleuchtet worden sind, ist
eine Gesamtwertung von Platons Leistung möglich.

Was
bedeutet für Sie weibliche Intellektualität und welche Stärken hat sie?

Im Licht der
Gleichberechtigung der Geschlechter ist die Unterscheidung “weiblicher”
Intellektualität von “männlicher” Intellektualität unerheblich. Vielmehr geht
es um die Domänen und die Ausdrucksformen, wie sich Intellektualität
manifestiert. Allerdings ist die Hervorhebung weiblicher Intellektualität – mit
Signalgebung eben als “weiblich” – in einer Diskussion über die intellektuelle
Leistungsfähigkeit der Frau von Belang.

Intellektualität
bezieht sich auf die breit ausgefächerte Palette intellektueller
Betätigungsfelder, von der Wissensbildung und Wissensanwendung für
organisatorische Aktionsbereiche über die vielfältigen Führungsaufgaben im
öffentlichen Leben bis hin zum Erkenntnisgewinn im wissenschaftlichen Bereich
und zum kreativen Schaffen im Kunstbetrieb. Die Gleichrangigkeit von Vertretern
beiderlei Geschlechts beinhaltet das Postulat einer Kooperationsbereitschaft
von Frauen und Männern und ihr Zusammenwirken.

Wenn es um
Erkenntnisgewinn in Bereichen wie Philosophie oder Kulturgeschichte geht, sehe
ich bestimmte Stärken der weiblichen Intellektualität, also Vorteile, die eher
von Frauen eingebracht werden. Sei es verfeinerter Spürsinn und Intuition. Wenn
diese mobilisiert werden, ermöglicht dies eine ganzheitliche Perspektive, die
der männlichen Intellektualität zwar nicht versperrt ist, die aber von Männern
eher nur mit mehr intellektuellem Aufwand zu erreichen ist.

Ein Paradebeispiel
für weibliche Intellektualität auf der hohen Ebene einer ganzheitlichen
Perspektive bietet die philosophische Leistung von Platons Mutter, der
Philosophin Periktione. Der Vorteil einer ganzheitlichen Perspektive wird
deutlich in ihrem Traktat Über die Harmonie der Frau(en) (s. Appendix II
in H. Haarmanns Platons Musen, S. 191 ff.). Bei oberflächlicher
Betrachtung könnte man den Eindruck bekommen, dass Periktiones Botschaft auf
Unterwürfigkeit oder auf Anpassung der Frauen abzielt und einer Kapitulation
vor dem patriarchalischen Herrschaftsanspruch chauvinistischer Männer
gleichkommt. Keineswegs, Periktiones Botschaft ist viel feinsinniger. Es geht
bei der “Harmonie” um eine Harmonisierung der Geschlechterrollen für die Zwecke
des Zusammenlebens in der Familie, und dies unter Berücksichtigung der realen
Gegebenheiten, die in der griechischen Gesellschaft der Antike fest etabliert
waren und nicht zu umgehen waren. Periktiones Harmoniebotschaft ist also der
Maxime des Gemeinwohls im Sinn einer Balance im Familienverband verpflichtet.
Die Botschaft ist Ausdruck von Einsicht und Verständnis in die realen
Lebensbedingungen, wobei von der Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit der
Frau keine Abstriche gemacht werden. Die kluge, verständnisvolle Frau passt
sich diesen Gegebenheiten an. Sie ist im Vorteil gegenüber den Männern, denn
sie versteht, warum sie so handelt wie sie handelt, während die Männer eher
unreflektiert den tradierten Verhaltensmustern folgen.

Die Alternative zu
Periktiones Harmoniebestrebungen wäre ein radikales Aufbegehren gewesen, mit
einer Mentalität wie bei den Emanzen, die während der Französischen Revolution
von 1789 auf die Barrikaden gestiegen sind, zu den Waffen gegriffen und mit den
Männern die Bastille erstürmt haben. Damals ist das Bild der kämpferischen
Marianne entstanden, die zum französischen Freiheitsidol erkoren wurde. Doch
Marianne und die anderen Freiheitskämpferinnen konnten die Gleichstellung der
Frauen nicht erreichen, denn in der Nationalversammlung hatten die Männer das
Sagen. Die Frauen waren zwar durch einige weibliche Mitglieder in der
Versammlung vertreten, ihre Interessen als Staatsbürgerinnen blieben aber
unbeachtet.

Eine der
Revolutionärinnen allerdings hatte den Mut, gegen die Dominanz der Männer
aufzubegehren. Dies war Olympe de Gouges, die im Jahre 1791 das Pendant der
Rechte des Bürgers für die Bürgerin einforderte, mit ihrer Déclaration des
droits de la femme et de la citoyenne
(“Erklärung der Rechte der Frau und
der Bürgerin”); (Joan W. Scott, Only paradoxes to offer. French feminists
and the rights of men
, Cambridge, 1996: 20 ff.). Das war zuviel für die
Männer in der Nationalversammlung. Sie spannen eine Intrige gegen Olympe und
sie wurde als “Verräterin an der Sache der Revolution” verurteilt. Ihr Leben
endete 1793 unter der Guillotine. Die Gleichstellung der Frauen Frankreichs als
Staatsbürgerinnen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht.

Periktione
entwickelt mit ihrem Traktat über Harmonie das Modell eines Freiraums für die
Frauen in der zeitgenössischen Gesellschaft der griechischen Antike, die von
Männern dominiert war. Ihr Sohn Platon geht einen Schritt weiter: gestützt auf
das Fundament der Harmonielehre seiner Mutter zeigt er die Konturen für das
Modell einer Gleichstellung der Frauen in einer idealen Gesellschaft auf.

Wie viel Alteuropa
steckt wirklich in Platon und wie kann man diese Spuren aufdecken?

Die Erinnerung an
das Kulturerbe Alteuropas mit seiner egalitären Gesellschaftsordnung und der
Prominenz von Frauen war in vielerlei Kontexten lebendig. Die oberste Position
der Priesterschaft im Kult der Göttin Athene mit ihren vorgriechischen
Ursprüngen war einer Frau vorbehalten. Die oberste Position der Priesterschaft
an den berühmten Orakelstätten – Delphi und Dodona – wurde jeweils von einer
Frau bekleidet. An der Pilgerstätte von Delphi war dies die Pythia, die
Orakelpriesterin.

Den Griechen war
bekannt, dass es in Olympia früher einmal einen Frauenrat gegeben hatte. Dessen
wichtige Aufgabe war es, Streitigkeiten zwischen miteinander rivalisierenden
Städten zu schlichten. In diesen Rat wurden nur solche Frauen aufgenommen, die
bei der Bevölkerung höchste Autorität genossen. Die Aufgaben des Frauenrats
standen im Rahmen der Verehrung der Göttin Hera, der früheren Schirmherrin der
heiligen Stätte, bevor diese Zeus zugesprochen wurde.

Die Frauen in
diesem Gremium wie auch in der Schlüsselposition einer Oberpriesterin waren hochgebildet
und kompetent, ihrerseits Männern Lehren zu erteilen. Dies ist von
Themistokleia bekannt, der Orakelpriesterin von Delphi, der sich Pythagoras für
seine Weiterbildung anvertraute. Diese Frauen waren sich nicht nur der
Bedeutung ihres Amtes bewusst, sie waren auch vertraut mit den Leistungen von
Frauen in der Kooperationsgesellschaft der vorgriechischen Ära. Über ihre
eigene Erziehung wurden sie mit dem traditionsorientierten Gewohnheitsrecht
vertraut, das seit undenklichen Zeiten von einer Generation zu nächsten
transferiert worden war. Das Gewohnheitsrecht (griech. hosia) stand
unter dem Patronat einer vorgriechischen Göttin, von Themis.

Zum
Gewohnheitsrecht mit seinen vorgriechischen Elementen gab es das Pendant des öffentlichen
Rechts, und das war griechisch-patriarchalisch ausgelegt. Obwohl Frauen das
Bürgerrecht besaßen, blieb ihnen das Wahlrecht und das Recht auf Ämter in der
staatlichen Organisation verwehrt. Sie waren also Stummbürgerinnen, keine
Stimmbürgerinnen. Doch auch in dem Strang der patriarchalischen Rechtstradition
gab es eine Nische mit wichtiger nodaler Funktion, und das war das Mutterrecht,
ein Nachklang der Prominenz der Frauen in der Gesellschaft Alteuropas.

Ein Anrecht auf
Staatsbürgerschaft im Athener Staat hatten nur die Nachkommen gebürtiger
Athenerinnen. Es war unerheblich, ob eine Nichtathenerin reich und
einflussreich war oder ob der Mann, selbst wenn er Nichtgrieche war, Einfluss
auf das politische und wirtschaftliche Leben in Athen nahm. Es gab den Fall
eines reichen Athener Kaufmanns, der sich eine thrakische Prinzessin zur Frau
nahm. Deren Kinder bekamen aber nicht wegen des Standes der Mutter oder wegen
des Einflusses des Vaters das Athener Bürgerrecht. Folge dieser Priorität, die
dem Mutterrecht eingeräumt wurde, war, dass Ausländer, die die Vorteile des
Athener Stadtlebens anstrebten, sich bemühten, in angestammte griechische
Familien einzuheiraten, um über die Mutter ihren Nachkommen die Athener
Staatsbürgerschaft zu sichern.

Diotima, die
Seherin von Mantinea, war ebenfalls gebildet in einer Weise, dass sie es mit
den Philosophen ihrer Zeit aufnehmen konnte. Mit Bewunderung stellt Platon
Diotima in seinem Dialog Symposion seinem Protagonisten gegenüber.
Diotima treibt Sokrates mit fundamentalen Fragen in die Enge, so dass Sokrates
am Ende zugeben muss, dass er eigentlich recht wenig weiß. Übrigens, Sokrates
hat nie gesagt “Ich weiß, dass ich nichts weiß”. Das ist eine Verdrehung in der
lateinischen Adaption des griechischen Originaltextes im Symposion durch
den römischen Orator Cicero. In Wirklichkeit meinte Sokrates, dass das, was er
mit Sicherheit wüsste, wenig ist im Vergleich zu all dem, was man erst
nachweisen muss.

Der Eindruck, den
Diotima bei Sokrates hinterlässt, kommt einem Erdrutsch gleich. Sokrates
entschließt sich, die philosophische Diskussion auf die Dialogform, also auf
das Frage-und-Antwort-Spiel, umzustellen. Dies wird von Platon in seinem Dialog
so dargestellt, als ob er selbst diese Innovation von seinem Mentor angenommen
hätte. Tatsache ist, dass die Neuorientierung an der Dialogform über Platons
Werk in der Philosophiegeschichte den Durchbruch gegenüber der analytischen
Argumentation der vorsokratischen Philosophie bewirkt.

Nachklänge des weit
verzweigten Handels in den Gemeinschaften Alteuropas findet man auch im
Handelswesen der griechischen Antike. Beispielsweise lag der Zwischenhandel in
der Hafenstadt Piräus, wo die Getreidelieferungen von den Kolonien am Schwarzen
Meer angelandet wurden, in der Verantwortung von Frauen. Diese Händlerinnen,
die das Getreide über ihren Zwischenhandel weiter an die Kaufleute von Athen
vergaben, wurden kapelis genannt, und dies ist ein Lehnwort aus der
Sprache der Alteuropäer. Die Frauen von Athen schlossen sich in
Genossenschaften zusammen. Zu Hause webten sie Textilien, die sie dann auf den
öffentlichen Märkten verkauften. Es wird immer wieder behauptet, die
griechischen Frauen der Antike wären ausschließlich ans häusliche Milieu
gebunden gewesen und hätten keine Rolle im öffentlichen Leben gespielt. Es
trifft zu, dass ihnen eine Betätigung im politischen Leben verwehrt blieb, aber
das Bild vom “Heimchen am Herd” ist ein Klischee, das es zu entsorgen gilt.

Als Kleisthenes im
Jahre 507 v. Chr. eine demokratische Gesellschaftsordnung für den Athener Staat
einführte, war dies keine absolute Neuorientierung in der Weltgeschichte,
obwohl das in allen konventionellen Handbüchern über die griechische Antike zu
lesen steht. Vielmehr konnte Kleisthenes auf das Modell der kommunalen Verwaltung
in den Dorfgemeinschaften zurückgreifen. Das soziale Netzwerk in den Kommunen
war nicht hierarchisch strukturiert. Entscheidungen wurden in Dorfräten
getroffen, und deren Mitglieder waren gewählte Vertreter. In den
Dorfgemeinschaften hatte sich das egalitäre Prinzip kommunaler Administration
aus alteuropäischer Zeit erhalten.

Wollte man sagen,
dass Kleisthenes dieses Prinzip adaptiert und auf die Ebene staatlicher
Organisation übertragen hätte, wäre das zu kurz gegriffen. Denn tatsächlich
blieb die Anwendung des egalitären Prinzips defizitär, weil die Frauen von
politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen blieben. Dass das egalitäre
Prinzip – als Nachhall des Kulturerbes Alteuropas – bei der Wahl von
Mitgliedern in den Ratsgremien Vertreter beiderlei Geschlechts betraf, wird
verdeutlicht durch das dokumentierte Beispiel des Frauenrats von Olympia.
Allerdings bleibt der Anteil der Frauen als Mitglieder in den Bürgerräten der
lokalen Dorfgemeinschaften, auf die sich Kleisthenes stützte, unbestimmt, denn
darüber sind keine Angaben in den antiken Quellen auszumachen.

In einigen Gegenden
Griechenlands war auch das Prinzip kommunalen Landbesitzes erhalten geblieben,
so in der Gemeinde von Thorikos südöstlich von Athen. Thorikos ist eine
Gründung aus alteuropäischer Zeit. Dort gab es reiche Silberminen, die zu allen
Zeiten im kommunalen Besitz verblieben und nie in Privatbesitz übergingen. Der
Gemeinderat vergab Lizenzen für den Abbau von Silber an auswärtige Unternehmer,
und die hatten dann – zusätzlich zu ihrer Lizenz – Anteile ihres Gewinns an die
Gemeinde abzuführen. Die Gemeinde von Thorikos wurde so wohlhabend, dass sich
die Bewohner den Bau eines eigenen Theaters leisten konnten, und das
konkurrierte mit dem Dionysos-Theater in Athen.

Die genannten
Beispiele sind lediglich einige ausgewählte Kontexte, wo sich in der
zeitgenössischen Gesellschaft Platons die Nachklänge der Zivilisation
Alteuropas bemerkbar machen. Platon war ein wacher Beobachter seiner Umwelt,
und die Erziehung durch seine Mutter, die nach dem frühen Tod von Platons Vater
die Rolle als dessen Alleinerzieherin wahrnahm, sensibilisierte ihren Sohn für
die vorgriechischen Stränge.

Wie
wichtig sind solche Studien für die Genderforschung heute?

Die feministische
Forschung hat bislang den intellektuellen Frauen im Umkreis Platons lediglich
Nischenplätze eingeräumt, und eine kritische Würdigung der Gesamtwirkung der
Inspirationen auf Platons Ideenwelt, die von Frauen ausgingen, ließ lange auf
sich warten. Ich hoffe, dass es mir mit dieser neuen Studie (Platons Musen)
gelungen ist, Platons Blick auf das organische Ganze gerecht zu werden und die
Wirkung weiblicher Inspiration eben darauf auszuleuchten. Für die moderne
Genderforschung eröffnet sich damit ein weiter Horizont.

In Platons Ideenwelt
gehen wichtige Konzepte des Kulturerbes aus Alteuropa (die Gleichstellung der
Frau in einer auf Kooperation ausgerichteten egalitären Gesellschaftsform) eine
Fusion ein mit den Gegebenheiten der zeitgenössischen (männerorientierten)
griechischen Gesellschaft. Platons philosophischem Werk kommt die Funktion
eines Stellwerks zu, mit Weichenstellungen für eine allgemeine Wertschätzung
fundamentaler Werte des Gemeinwohls aus der alteuropäischen Ära, die
idealisiert und für die Zukunft gesichert werden. Alteuropäische Traditionen
haben auf Platon eingewirkt, und er selbst hat mit seinem Gesamtwerk nicht nur
den Kanon der europäischen Geistesgeschichte entscheidend geprägt, sondern er
hat darüber hinaus allgemeine Vorgaben für die gesellschaftliche Entwicklung
der westlichen Zivilisation gemacht.

Fazit: man muss
sich nur bemühen genau hinzuschauen, dann erschließt sich dem modernen
Betrachter die zeitlose Bedeutung von Platons Philosophie.

Welchen
Bezug sehen Sie zwischen Frau, Kunst und Frieden?

In meiner
Einschätzung besitzen Frauen ein besonderes Gespür für
Kooperationsmöglichkeiten, untereinander wie auch mit V

ertretern des
anderen Geschlechts. Auch Männer sind prinzipiell kooperationsfähig, obwohl die
Bereitschaft bei vielen eher verdeckt bleibt und nicht unbedingt latent
abrufbar ist. Dies mag ursächlich mit einem Phänomen zusammenhängen, das ein
typischer Marker der westlichen Zivilisation ist, das Streben nach Ruhm und
öffentlicher Anerkennung. Dieses Streben ist im Kern egozentrisch und steht einer
auf Kooperation ausgerichteten Bereitschaft entgegen, blockiert sie geradezu.
Die Geschichte des Strebens nach Ruhm ist eng mit der Geschichte des
Heldenkults verwoben, der durch vielfältige konkurrenzorientierte Aspekte,
durch eine Bereitschaft zu Konfrontation und Rivalität charakterisiert ist.

Die Ursprünge des
Heldenkults sind in der Kriegerkaste der prähistorischen Nomadengesellschaft
Eurasiens mit ihrer Sozialhierarchie zu suchen. Der Heldenkult hat sich mit den
Migrationen der Indoeuropäer über Europa ausgebreitet, die großen
Zivilisationen der Antike, die griechische und die römische, geprägt und durch
die Einflussnahme europäischer Kolonialmächte weltweit verbreitet. Wir leben
mit dem euro-amerikanischen Kanon des historisch tradierten Heldenkults. Welche
Konsequenzen der Heldenkult für die Ausbildung von Mentalitätsmustern gehabt
hat und welche Einschränkungen sich dadurch für die Friedensbildung ergeben,
dies wird derzeit in einem Kooperationsprojekt näher erforscht.

Kooperationsbereitschaft
ist der Schlüssel für Ausgleich und friedliches Zusammenleben, sei es in der
Familie, in der Arbeitswelt, in der Politik, in der gesellschaftlichen
Öffentlichkeit wie auch in den Kontakten zwischen Einzelstaaten. Wenn Frauen
eine natürliche Bereitschaft zur Kooperation besitzen und diese Bereitschaft
ihrem Verhalten und Handeln eher zugrunde legen, dann besitzen sie Vorteile
gegenüber Männern, die sich eher konfliktbereit dem Streben nach Ruhm hingeben.
Vielleicht sind Frauen deshalb auch in besonderem Maße befähigt als Schlichter
und Friedensvermittler.

In meiner Familie
wird mir die besondere Befähigung einer Schlichterin vorgelebt. Meine Frau,
Pirkko-Liisa Haarmann, pensionierte ehemalige Richterin am Obersten Finnischen
Gerichtshof, hat während ihrer Amtsperiode zusätzlich vielerlei
Schiedsgerichtsverfahren in der Verantwortung als vorsitzende Richterin
durchgeführt. Dabei handelte es sich nicht allein um Streitfälle zwischen
Kontrahenten in Finnland, sondern darunter waren auch Streitsachen, in die
internationale Konsortien und Interessengruppen verstrickt waren. Wohlbegründet
sind Pirkko-Liisa Haarmann zwei verschiedene Verdienstorden des finnischen
Staats verliehen worden.

Wenn Frauen ihr
Gespür für Kooperation und Friedensvermittlung in ihr kreatives Schaffen
einbringen, dann entstehen Werke wie die von LaBGC, der in Spanien lebenden
Künstlerin und Publizistin, und werden zu Friedensbotschaften in
Zusammenarbeit, wie zum Beispiel LaBGC & Harald Haarmann Miteinander
Neu-Denken. Europa im Gestern | Alteuropa im Heute
, Berlin: Lit Verlag
2019. 

Hier finden Sie das Interview zum Werk Miteinander Neu-Denken.

https://promosaik.blogspot.com/2020/04/miteinander-neu-denken-ein-interview.html