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Migration: Grossbritannien will Ärmelkanal unpassierbar machen

Tobias Tscherrig / 25. Aug 2020
Grossbritannien verschärft die Kontrollen im Ärmelkanal: Um ihn unpassierbar zu machen, würden über 30 Millionen Euro fällig.

Am 9. August beauftragte die britische Regierung einen ehemaligen Angehörigen der Royal Navy, die Überfahrt von Migrantinnen und Migranten über den Ärmelkanal zu verunmöglichen. Die Mission von Dan O’Mahoney, der in der Vergangenheit im Irak und im Kosovo gedient hat, wurde vom Innenministerium klar umrissen: Auf der Grundlage eines neu geschaffenen Postens trägt er die Hauptverantwortung dafür, «den Kanal für Überfahrten mit kleinen Booten unpassierbar zu machen». So soll der Ärmelkanal zu einem Gebiet werden, in das sich Migrantinnen und Migranten nicht mehr wagen.
Um Migrantinnen und Migranten aufzuhalten, soll O’Mahoney eng mit Frankreich zusammenarbeiten, die bereits begonnene Arbeit intensivieren, eine Stärkung der Aktionen in Frankreich prüfen und strengere Massnahmen und Aktionen einführen, «um Schiffe auf See abzufangen und an ihren Ausgangsort zurückzubringen».
Weiter forderte die britische Regierung Frankreich auf, die Kontrollen auf der französischen Seite des Ärmelkanals zu verschärfen. Wie die Zeitung «Sunday Telegraph» enthüllt, fordert Paris dafür rund 33 Millionen Euro.
Britische Regierung verschärft den Ton
Mehrere hundert Menschen, darunter Kinder und Schwangere, haben in der letzten Woche den Ärmelkanal überquert. In kleinen Booten überwanden sie die 33 Kilometer zwischen der französischen und der britischen Küste. Wie britische Medien berichten, trafen am 6. August 200 Menschen an der Südküste Englands ein, am nächsten Tag seien es 130 gewesen. In drei Tagen hätten so insgesamt knapp 500 Menschen den Ärmelkanal überquert. Gemäss Zahlen von «BBC» haben seit Anfang des Jahres etwa 4000 Migrantinnen und Migranten den Ärmelkanal überquert und britischen Boden erreicht. Das sind so viele wie in keinem Jahr zuvor. Unter anderem liegt das auch an den guten Wetterbedingungen, die zurzeit vorherrschen. Zu anderen Jahreszeiten herrscht über der Passage meist Nebel. Allerdings bleiben die starken Strömungen trotzdem gefährlich. Dazu kommt, dass der Ärmelkanal als eine der meistbefahrenen Schifffahrtstrecken der Welt gilt.
Die britische Innenministerin Priti Patel (Conservative Party) nannte diese Zahlen «erschreckend». Man arbeite daran, die «Verbrecher, die diese Übergänge erleichtern, zu verhaften und vor Gericht zu bringen.» Premierminister Boris Johnson (Conservative Party) nannte die Kanalüberquerungen «dumm, gefährlich und kriminell». Auch er versuchte, den Kampf gegen die illegalen Grenzübertritte als Dienst an der Menschlichkeit darzustellen: «Es besteht kein Zweifel, dass wir Zeugen der Aktivitäten grausamer und krimineller Banden sind, die das Leben dieser Menschen riskieren, indem sie sie über den Ärmelkanal und damit über ein sehr gefährliches Gewässer bringen. Und das in potenziell für den Seeverkehr ungeeigneten Booten.»
Frankreich soll handeln
Um dagegen vorzugehen, nimmt die britische Regierung unter Johnson in erster Linie Paris in die Pflicht. Es seien die Franzosen, welche verhindern müssten, dass illegale Migranten überhaupt erst ins Wasser gelangen, so der Tenor. Schon länger wünscht sich Johnson, dass die Regierung Frankreichs ihre Massnahmen am Ärmelkanal verstärkt. Die bisherigen Bemühungen von Frankreich seien zu passiv, weswegen die Verstärkung der Massnahmen in Frankreich Priorität haben sollen. Patel hatte Frankreich bereits Mitte Juli während einer Parlamentskommission beschuldigt, Boote nicht abzufangen.
Im «Daily Telegraph» wurde der britische Einwanderungsminister Chris Philp konkreter: «Die Franzosen müssen verhindern, dass diese illegalen Einwanderer in ein Boot steigen, und wir müssen diejenigen, die dies tun, abfangen und sie zurück (nach Frankreich) schicken.»
Aufrüstung auf beiden Seiten
Gemäss «Sunday Telegraph» fordert die französische Regierung von der britischen Regierung für die Kanalkontrollen aber 33,2 Millionen Euro. Zusätzlich versicherte das französische Aussenministerium, dass «die französischen Behörden vollständig mobilisiert sind, um diese Ausreisen zu verhindern.» Man habe zusätzliches Personal eingesetzt, um den aktuellen Zustrom von Migranten zu bewältigen, sagte das Ministerium.
Zwischen Januar und Juli 2020 habe sich die Zahl der verhinderten Überfahrten und die Zahl der festgenommenen Migrantinnen und Migranten im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr mehr als verfünffacht. Ausserdem seien auf französischer Seite des Ärmelkanals viermal so viele Boote und Ausrüstungsgegenstände entdeckt worden.
Die Frage der Überfahrten von Migrantinnen und Migranten steht seit langem auf der Tagesordnung der Gespräche zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich. In jüngster Zeit haben die beiden Mächte Strategien für ein gemeinsames Vorgehen entwickelt: Einen Plan zur Bekämpfung illegaler Überfahrten auf See, der derzeit fertiggestellt wird und darauf abzielt, die Kontrollmittel an den Küsten und vor den wichtigsten Grenzübergängen zu verstärken, sowie eine «französisch-britische Spezialeinheit mit Sitz in Coquelles. Wie die Regierung in London zudem bekannt gab, will sie das Militär stärker einbinden.
Überfahrt kostet zwischen 2000 und 3000 Euro
Während Jahren nutzten Migrantinnen und Migranten den Eurotunnel zwischen Calais und Folkstone, um ins Vereinigte Königreich zu gelangen. Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wurden aber die Kontrollen in Calais verschärft. Dazu kommen die Reisebeschränkungen, die aufgrund der Corona-Krise installiert wurden. So nutzen Schlepper nun wieder vermehrt den gefährlichen Weg über den Ärmelkanal, um Migrantinnen und Migranten von Frankreich ins Vereinigte Königreich zu bringen. Eine Überfahrt kostet gemäss einem Reporter von «Euronews» zwischen 2000 und 3000 Euro.
Trotz der Bemühungen und der Aufrüstung auf beiden Seiten des Ärmelkanals ist der Ansturm auf die Überfahrten gross: In den Ortschaften rund um Calais harren offenbar noch Hunderte Menschen aus, die auf ihre Überfahrt warten.