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Tut endlich was gegen Littering – nur was?

Daniela Gschweng / 24. Aug 2020
Der «Corona-Sommer» ist der Sommer des Litterings. Wirklich wirksame Gegenmassnahmen gibt es bisher keine.

Der Sommer 2020 ist gut sichtbar vor allem ein Sommer des Mülls. In Parks liegen Dosen, an Ufern Besteck, auf der Strasse Chipstüten. Naturschützer beschweren sich über Littering von Wildcampern, Autofahrer über Littering an Raststätten. Die Lokalmedien sind sich beim desolaten Zustand der Grünflächen einig. «Der unschöne Sommer der Basler Parkbesucher», titelt beispielsweise die «bz Basel», «Reisst euch zusammen», kommentierte die «Basler Zeitung».
Gutes Wetter, viele Menschen und etwas Alkohol sind schon fast eine Littering-Garantie. Zu fortgeschrittener Stunde wird ebenfalls mehr gemüllt. Die Corona-Pandemie verstärkt den Trend, man ist – und isst – lieber draussen als drinnen.
Wo Littering in den sozialen Medien thematisiert wird, gehen die Emotionen umgehend hoch. Verwünschungen, Unverständnis und Drohungen wechseln sich ab. Zwischendurch ruft gelegentlich jemand nach Toleranz. Wer sich spät in der Nacht betrunken auf den Heimweg mache, dem möge man es doch nachsehen, wenn er seinen Müll nicht entsorge, schreibt ein Nutzer auf Twitter. Nicht ohne darauf zu bestehen, wer das nicht einsehe, sei eben «nicht richtig jung» gewesen. Diese Ausrede haben Autofahrer, Pendler und Camper nicht.
Das Draussen-Menü wird reichhaltiger – der Müll auch
Früher, da sind sich scheinbar alle einig, war alles besser. Es gab weniger Müll an Ufern, Rastplätzen und Rasenflächen und weniger Ärger deswegen. Früher muss dabei länger her sein. Selbst in Woodstock wurde gelittert. Seit wenigstens zehn Jahren aber
wächst die Anzahl derer, die sich ausser Haus verpflegen. Der Anteil von Ein- bis Zwei-Personenhaushalten, in denen werktags nicht gekocht wird, soll nach Prognosen bis 2035 weiter zunehmen. Die Gastronomie insgesamt macht dabei etwas weniger Umsatz.
wird mehr draussen konsumiert. Laut Gastrosuisse wächst die Schnellverpflegungs-Gastronomie stetig und hatte 2018 einen Marktanteil von etwa 20 Prozent am gesamten Ausser-Haus-Konsum. Dazu kommen die Convenience-Abteilungen der Detailhändler, die längst zu Take-Away-Zonen geworden sind.
wächst die Auswahl an Take-Away-Gerichten. Viele Betriebe retteten sich damit auch über die coronabedingten Schliessungen und behielten den Vertriebskanal bei.
Schon 2003 bestand mehr als die Hälfte des Littering-Mülls in fünf ausgewählten Schweizer Städten aus Take-Away-Abfällen und Einweg-Getränkeverpackungen.
Insgesamt bestand schon 2003 die Hälfte des Littering-Mülls aus Take-Away-Gefässen und Einweggetränkeverpackungen (rot) (Uni BS, Litteringstudie Zwischenbericht 2004)
Seither sind Wegwerfverpackungen grösser und vielfältiger geworden. Ein Dutzend To-Go-Lunches verstopft einen öffentlichen Müllkübel im Nu. Und je grösser die Kübel werden, desto mehr illegal entsorgter Hausmüll kommt dazu.
Kurz gesagt: Wer vor zwanzig Jahren mit einigen leeren Bierdosen und einer leeren Zigarettenschachtel samt ausgedrückter Stummel zum öffentlichen Müllaufkommen beitrug, legt heute noch eine leere Chipstüte und eine To-Go-Verpackung drauf. Und wo einmal ein Müllhaufen ist, wird er schnell grösser.
Grössere Kübel? Helfen nicht.
Auf den Kampf gegen Littering können sich Parteien von rechts bis links einigen. Die einen sprechen dabei von fehlender Kinderstube, die anderen von wenig ausgeprägtem Umweltbewusstsein, ab und zu spricht einer von Ausländern. Das gewünschte Resultat ist das Gleiche.
Nur dass es sich trotz aller Massnahmen nicht einstellen will. Städte und Gemeinden weltweit gehen gegen Littering vor – meist mit einem ganzen Massnahmenbündel. Erfolge gibt es, sei es durch Dosenpfand, Müllskulpturen, Partyverbote, Plakate, öffentliche Aufräumaktionen, Bussgelder oder alles zusammen. Nur sind sie meist zeitlich oder räumlich begrenzt.
2019 hatten Passanten in Basel eine Woche lang ihren eigenen Müll vor Augen. Die Stadtreinigung machte drei stinkende Haufen daraus, statt ihn wegzuräumen. Die deutsche Stadt Münster versuchte das Gleiche und räumte ein Naherholungsgebiet statt frühmorgens erst nachmittags auf. Der Effekt war eindrucksvoll, nachhaltig war er nicht.
Die Müllfachleute sind mit ihrem Latein am Ende
Was man noch tun könnte? «Ich weiss es nicht» sagte der Geschäftsführer der Abfallbehörde in Freiburg (D), Michael Broglin, ganz offen in einem Interview mit der «Badischen Zeitung». Die Stadt ist stolz darauf, eine der saubersten und recyclingfreundlichsten Städte Deutschlands zu sein. Sie hat längst Unterflurcontainer mit grossem Fassungsvermögen, der Müll staple sich derzeit um die halbleeren Behälter herum, sagt Broglin. Dass grössere Kübel nicht helfen, stellte 2004 auch eine Studie der Universität Basel bei der Untersuchung in fünf Schweizer Städten fest. Der Weg zum nächsten Müllbehälter spielt ebenfalls keine Rolle.
Letztes Mittel Busse – erwischt werden aber nur wenige
In Freiburg soll als letztes Mittel demnächst gebüsst werden. So weit sind Schweizer Städte schon länger. Selbst eine ausgedrückte Zigarette auf öffentlichem Boden kann vielerorts empfindlich teuer werden. Beim Littering erwischt werden jedoch nur wenige. Auf Grillplätzen, Raststätten und spätnachts sind die Gemeinden ohnehin machtlos. Um all diese Orte bei warmem Wetter rund um die Uhr zu kontrollieren, bräuchte es entweder viel Personal oder eine ganze Menge Überwachungskameras, die dann auch keiner will. Sie finanzieren schon gar nicht. Die Kosten für die Müllentsorgung steigen ohnehin regelmässig.
Vorschriften bringen wenig
Der fast letzte noch nicht ausgereizte Punkt setzt beim Handel an. Dieser soll Pfandsysteme einführen, Mehrwegverpackungen oder umweltfreundlichere Lösungen. Also wieder Pommes und Wurst im Pappschälchen, Sushi in der Mehrwegdose und Gipfeli mit Serviette. Sogar McDonalds experimentiert mit alternativen Verpackungen, teilweise mit Erfolg. Einige Überlegungen sind allerdings hygienisch nicht tragbar oder so unpraktisch, dass sie kaum durchführbar sind – zum Beispiel die Rücknahme und Reinigung von Mehrwegverpackungen in einem kleinen Imbiss.
Bio-Verpackungen wegzuwerfen bleibt nebenbei Littering. Pappschachteln, Holzlöffel und Papiertüten sind vielleicht nachhaltiger, verstopfen Müllkübel aber genauso wie Plastik oder landen auf der Strasse. Und da wäre noch der Mensch: dem To-Go-Gedanken widerspricht es, die leere Verpackung dorthin zurückzubringen, wo sie herkommt. Eine weitere eigentlich sinnvolle Massnahme, die nur bedingt erfolgversprechend klingt.
Oder doch einfach nur Littering-Kultur?
Also doch an der Wurzel ansetzen? «Littering ist eine Art Gesellschaftskritik», sagt die Umweltpädagogin Barbara Schumacher. Dazu komme Gruppendruck. Als Pädagogin sensibilisiert Schumacher vor allem bei den Jüngsten. Mit Erfolg, wie sie sagt. Im urbanen Raum habe aber auch das Grenzen, weil dort zu viele Menschen unterwegs seien. Vorschriften, findet sie, brächten gar nichts.
Schumacher könnte recht haben. Eines der wenigen positiven Beispiele ist Japan, dessen Plastikverbrauch ist anhaltend hoch, die Strassen und Parks sind dennoch sauber. 1995 wurden viele öffentliche Mülleimer abmontiert. Nicht, weil die Behälter überliefen oder weil es zu wenig Müll gab, sondern weil bei einem Terroranschlag Giftgasbomben darin versteckt worden waren.
Im japanischen Hausmüll werden mindestens acht Müllsorten akribisch getrennt, unterwegs anfallenden Müll können auch Touristen fast nur in Supermärkten und auf Bahnhöfen entsorgen. Oder eben mit nach Hause nehmen, was ein Grossteil der Japanerinnen und Japaner auch tut. Reiseportale und -blogs sind voll von Tipps, wie Reisende in Japan ihren Müll loswerden können. Im Gehen zu essen ist in Japan allerdings unüblich, das Rauchen ausserhalb gekennzeichneter Flächen auch.