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Das elementare Menschrecht auf Leben – Coronavirus: Über die Konjunktur der Heuchelei

Von Christof Wackernagel, Untergrundblättle, 17.
April 2020. »Das Leben ist das höchste Gut« – erklang noch nie so einmütig aus
aller Munde, und noch nie klang es so hohl wie in diesen Tagen.
Die zeitlos weltumspannende Gültigkeit dieses
Wertes verbietet jede Frage, und umso mehr Fragen tun sich auf.


Die mögliche Bedrohungssituation, dass ein Arzt zwischen zwei
Menschenleben entscheiden muss, weil er nur ein Atemgerät hat[1],
möglicherweise andere Menschen praktisch zum Tode verurteilen muss, lässt
keinen Widerspruch zu – umso mehr Widersprüche tun sich auf. Gerade wenn sich
angesichts der Alternative Tod oder Leben die Frage nach der
Verhältnismässigkeit der Mittel verbietet, im Gegenteil, gerade wenn das Leben
alter Menschen so wichtig geworden ist, dass Notstandsgesetze erlassen werden,
wie man sie seit den Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland
nicht mehr kannte, gerade wenn das Bewusstsein für den »Wert des Lebens als
höchstes Gut« sich weltweit durchgesetzt hat und selbst in Ländern, deren
Infektionszahlen viel geringer sind, noch drastischere Einschränkungen des
öffentlichen Lebens als bei uns vollstreckt werden, fragt sich umso dringender,
wieso diese Handlungsweise allein für die Bedrohung durch Corona gilt.
Zehntausendfache von Menschen, vor allem Kinder, sterben
täglich unter grauenhaften Qualen an von infiziertem Trinkwasser verursachter
Diarrhöe oder Typhus. Eine weltweite Anstrengung, wie sie im Moment gerade
wegen Corona stattfindet, könnte den zwei Dritteln der Menschheit, etwa 5
Milliarden Menschen, den Zugang zu sauberem Trinkwasser bringen, den sie jetzt
nicht haben.[2] Ein solcher globaler Kraftakt wäre gesellschaftlich wie finanziell
nicht ansatzweise so aufwändig wie der gegenwärtig wegen Corona gestemmte.
Die deutsche Bundesregierung und alle im Bundestag vertretenen
Parteien, die in diesen Tagen vor »Millionen Toten« warnen, lehnten dies
ausdrücklich ab und verwiesen auf das UNO-Milleniumsziel im Jahre 2030, das
Trinkwasser für alle bis dahin plant. Wieviel Millionen Menschen bis dahin von
vergiftetem Wasser getötet sein werden, lässt sich nicht annähernd berechnen.
Obwohl ein von der internationalen Völkergemeinschaft ermöglichter Zugang zu
Trinkwasser für alle Menschen auf diesem Planeten, im Vergleich zu den
Coronamassnahmen ein Kinderspiel wäre, obwohl damit unvergleichlich viel mehr
Menschen, vor allem Kindern, das Leben gerettet werden könnte, ist der Gedanke
daran in einer Bevölkerung, die ihre Exkremente mit Trinkwasser wegspült, nicht
ansatzweise durchsetzbar und alle meinungsbildenden Medien in Deutschland
lehnen es auf Nachfrage ausdrücklich ab, den Gedanken auch nur zur Diskussion
zu stellen.
Damit ein Arzt möglicherweise kein Todesurteil über einen von
zweien seiner Patienten aussprechen muss, werden Notstandsgesetze erlassen. Es
wird aber nicht einmal daran gedacht, etwas zu unternehmen, geschweige denn
sich weltweit zusammen zu schliessen, wie es wegen Corona getan wird, damit
täglich zehntausende von Todesurteilen nicht weiter tatsächlich vollstreckt
werden – und zwar in der gleichen Weise, nämlich durch unterlassene
Hilfeleistung.
In afrikanischen Krankenhäusern werden Menschen nicht an
lebensrettende Geräte angeschlossen, weil sie sie nicht bezahlen können, selbst
wenn genügend vorhanden sind. Niemand dachte je daran, deshalb den Notstand
auszurufen. Keiner veröffentlicht sein Mitgefühl mit den Ärzten, die zusehen
müssen, wie ihnen anvertraute Kranke sterben.
Welcher Mensch ist wann und warum wert in den Genuss des
zeitlos weltweit gültigen Wertes »das Leben ist das höchste Gut« zu gelangen?
Wie definiert sich der Unterschied? Wie wird er begründet? Wie ist er vereinbar
mit den allgemeingültigen moralischen Massstäben in Politik und Gesellschaft?
Auf deutschen Autobahnen sterben jährlich 4000 Menschen. So
viele wie in einem veritablen Bürgerkrieg. Einer grossen Menge von Opfern
dieser täglichen Schlacht auf den Strassen wird der Kopf abgerissen, von den
überlebenden bleiben unzählige querschnittgelähmt. Etwa die Hälfte wird
unschuldig Opfer der Unfälle, weil die Verursacher unvernünftig und
verantwortungslos fuhren. »Unvernunft und Verantwortungslosigkeit der Menschen«
wird als Grund für das soziale Kontaktverbot zur Verhinderung von Corona
Infektionen angegeben, um weitere Opfer zu verhindern.
Die logische Folge der Übertragung dieses Denkens, dieser
Haltung zu den Opfern der Unvernunft und Verantwortungslosigkeit im Autoverkehr
hiesse, den privaten Autoverkehr zu verbieten; und da es sich nicht um eine
Infektion, sondern einen Dauerzustand handelt, ab sofort und bleibend.
Sind 4000 statistisch sichere Toten weniger wert als 4000
eventuell mögliche? Erfordern sie nicht eine noch höhere Anstrengung als jetzt,
wenn man doch weiss, dass man sie verhindern könnte? Was gibt es heutzutage für
andere Möglichkeiten des Verkehrs, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen?
Was ist mit den legalen Süchten nach Tabak und Alkohol, deren
weltweite Todesraten die von Corona erwarteten Millionen Toten weit
übersteigen? Warum wird Tabakwerbung nicht verboten, sondern mit Bildern
versehen, die abschrecken sollen, dies aber nicht tun, was wiederum die
Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit deutlich macht, mit der jetzt soziale
Distanzierung begründet wird? Warum wird nicht wenigstens die Werbung für
Alkohol und Tabak verboten?
Die »salt industry« mordet weltweit nach Angaben der WHO
Millionen Menschen durch Herz- oder Hirnschlag – warum werden ihr keine Grenzen
gesetzt, obwohl die von ihr produzierten Todeszahlen nachweisbar sind? Weil
niemand von einer Überwindung der Tabak-, Alkohol oder Salzsucht profitieren
würde ausser die dadurch Überlebenden?
Was ist dann von der Rede vom »Leben als höchstes Gut« zu
halten?
Ist es wirklich übertrieben, von einer »Diktatur des Profits«
zu sprechen?
Unzählige Kinder sterben an einfachen Krankheiten, weil ihr
Immunsystem dadurch geschwächt ist, dass ihren Müttern eingeredet wurde,
Milchpulver sei besser als Muttermilch. Die Corona−Kriterien auf Nestlé
angewandt, bedeuten eine Anklage gegen diese Firma wegen Völkermordes in Den
Haag.
Wären vielleicht noch weitere Folgerungen zu ziehen, wenn man
die aktuelle Sensibilität für das elementare Menschenrecht auf Leben ernst nimmt?
Gibt es etwa noch weitere Aspekte, unter denen dieser
hochgehaltene Anspruch zu scheppern anfängt?
Lauern im Verborgenen noch weitere Widersprüche, die
aufzuheben die Aufhebung altgewohnter Denkweisen benötigt? Oder ertränken
gerade Krokodilstränen nüchternes Denken:
»Das Leben ist das höchste Gut«:
der Zauberspruch zur totalitären Machtergreifung,
das Zauberwort, um denen, die nichts haben, noch den Rest aus
der Tasche zu stehlen,
die Zauberformel, um Milliardengewinne zu machen.
Fussnoten:
[1] was das Los entscheiden könnte bzw müsste
[2] Z. B.: https://www.softsecrets.com/de/nachrichten/international/das-trinkwasserjahr/