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Thomas Sitte von der Deutschen Palliativstiftung – Unsere Botschaften müssen eindeutig sein

von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Dr. Thomas Sitte von der Deutschen Palliativstiftung zum Thema der Palliativpflege und der absoluten Notwendigkeit der Ausdehnung dieses Angebots auf die Kranken weltweit. Palliativpflege ist ein Menschenrecht, das zu oft außer Acht gelassen wird.

Warum ist die
Informationsschrift für die globale Befürwortung der Palliativpflege:
Empfehlungen einer PAL-LIFE-Expertengruppe der Päpstlichen Akademie für
das Leben, Vatikanstadt innovativ?


Nun,
der Inhalt selber ist eigentlich gar nicht innovativ. Das, was wir Experten
hier mit der Päpstlichen Akademie abgestimmt haben und was vom Heiligen Stuhl
als, ich will einmal sagen: Forderung, veröffentlichen, ist nicht brandneu. Das
ist jahrzehnte bekanntes Wissen. Dennoch ist es aus meiner Sicht bahnbrechend.
Überlegen Sie einmal. Die Päpstliche Akademie für das Leben hat eine Handvoll
Experten eingeladen zu überlegen, was man tun sollte zur Verbreitung der
palliativen Möglichkeiten. Wir haben dann gemeinsam den Kreis auf ein Dutzend
Menschen aus der ganzen Welt erweitert, die jeder für sich völlig verschiedene
Lebens- und Berufserfahrungen besitzen und jeder für Experten auf den
verschiedensten Gebieten sind. Die Gruppe vereint ein sagenhaftes
Expertenwissen und konnte dann vollkommen ergebnisoffen der Akademie für das
Leben zuarbeiten.

Der
Heilige Stuhl sagt ganz klar, in der Versorgung Schwerkranker und Sterbender,
wie auch in der Sicht auf Krankheit und Tod gibt es enorme Probleme und
Defizite, die Lösungswege dazu sind längst bekannt und vieles davon könnte
schon lange, deswegen muss jetzt etwas getan werden. Und zwar nicht von
irgendwem, nach dem Motto “Ich bin nicht zuständig“, sondern jede
gesellschaftlich relevante Gruppe kann und muss einen Teil dazu beitragen.
Papst Franziskus fordert, niemals die Kranken alleine in ihrem Leid zu lassen.
Leider ist das quer durch alle Kulturen und Gesellschaften noch lange nicht so
weit doch das könnte heute schon Wirklichkeit sein!



Wie wichtig sind
interkulturelle und interreligiöse Aspekte in der Palliativversorgung?


Die
unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen ist enorm wichtig. Es
ist einer der Schlüssel zur Umsetzung. Niemals können wir etwas erreichen, wenn
wir missionarisch versuchen eigene Strukturen überzustülpen. Es muss immer auf
den Kontext passen. Der ist in Berlin anders als im Allgäu. Im Allgäu anders
als in Spanien. In Spanien anders als in Somalia oder Buenos Aires. Aber, ein
großes ABER, überall kann etwas getan werden, damit wir die Kranken im Leid
nicht alleine lassen und Ihnen viel besser beistehen als bisher. Unsere kleine
Expertengruppe ist ja bunt quer durch alle Nationen, Kulturen und Religionen
zusammengestellt. Eine solche Vielfalt in einer solch kleinen Gruppe habe ich
bislang kaum erleben dürfen.



Die Palliativversorgung
 allen zugänglich machen: warum ist das keine Utopie?

Weil
wir heute mit minimalem Aufwand überall schon ein enormes
Verbesserungspotenzial haben. Da können wahre Schätze an Möglichkeiten entdeckt
und gehoben werden. Es werden Unsummen investiert in Überversorgung und
Fehlversorgung von denen die Hinterbliebenen im Rückblick sagen, das war nicht
gut für meinen Angehörigen. Er hätte anders leichter, besser, schöner sterben können.
Es ist für uns kein Ziel mit Palliativversorgung Geld einzusparen. Aber es ist
eine wichtige Botschaft: eine bessere Palliativversorgung könnten sich (fast)
jeder leisten. Natürlich gibt es auf der Welt auch ganz andere Probleme. Wem
selber der Hungertod droht, wem die Kinder verhungern, der macht sich wohl
keine Gedanken über Demenz oder Durchblutungsstörungen im Alter, dessen sind
wir uns sehr wohl bewußt.



Wie wichtig ist
Vernetzung in der Palliativversorgung und warum?

Weil
niemand alles kann und wir mit einem eingespielten Netz eine unglaublich hohe
und kontinuierliche Sicherheit und Verlässlichkeit für den Patienten und seine
Angehörigen bieten können. Die sind doch schon genug belastet. Eine sehr gute
Palliativversorgung kann sich dann um alle medizinischen Fragen rund um die
Krankheit und das Lebensende kümmern. Doch das ist dann schon ein großer
Aufwand und unter prekären Bedingungen in sehr Armen Ländern unerreichbare
Utopie. Aber die Vernetzung brauchen sie auch ganz konkret um unter schwierigen
Bedingungen in armen Ländern an die dringend notwendigen und für uns
spottbilligen Morphintropfen zu kommen.



Wie wichtig ist es,
Studenten mit dem Thema vertraut zu machen und warum?

Bildung
ist DER Schlüssel zu jeder Entwicklung. Da können Kinder mit den Möglichkeiten
von Palliativversorgung vertraut werden. Da müssen Studenten gleich zu
Studienbeginn und dann immer wieder und in jedem Fach verständlich und
praxisrelevant hören und nachvollziehen können, dass überall ein bißchen auch
palliativ gedacht und oft auch behandelt werden kann. Und dass sehr oft später
palliativ behandelt werden muss! Das muss den Studierenden in Fleisch und Blut
über gehen. 

Stellen
Sie sich vor, die meisten Ärzte haben im Studium bislang überhaupt nichts zur Palliativversorgung
gelernt. Die meisten Ärzte haben keine ausreichend Übung im Umgang mit den
notwendigen Medikamenten, ihnen ist die geltende Rechtslage oft vollkommen
unklar. Oder schlimmer, sie wissen oft gar nichts dazu. Ärzte müssen in der
Ausbildung sehr viel lernen. Da will ich den Studierenden keinen Vorwurf für
die Wissenlücken machen. Die Inhalte müssen felsenfest in allen Lehrplänen
verankert werden, damit sie auch gelehrt werden!



Was bedeutet
Gesundheitsanalphabetismus und wie beugt man ihm vor?

Ähnlich
wie bei der letzten Frage. Wir müssen sehr, sehr niederschwellig aufklären. Vor
vierzig Jahren habe ich spanisch gelernt mit Hilfe eines Buch für Campesinos.
Es wurde und wird noch immer von der WHO herausgegeben, ist ein sehr vielen
Sprachen verfügungsbar und heißt „Donde mi hay Doctor“. Die Sprache ist sehr
einfach gehalten. Es gibt keine besonderen Fachausdrücke und Fremdwörter. Das
ganze wird illustriert von einfachen und sehr klaren Bleistiftzeichnungen. Ich
fand es phantastisch und es hat meinen Stil der Lehre stark beeinflusst. Unsere
Botschaften müssen eindeutig sein. Sie müssen sehr, sehr verständlich sein.
Und, vor allen Dingen, sie müssen für den Empfänger hochrelevant sein.

Damit kann man Gesundheitsanalphabetismus entscheidend verbessern. Ich
habe dann ja selber das Buch „Die Pflegetipps – Palliative Care“ geschrieben
und in vielen Auflagen verbessert, das wir nun auch schon in 21 Sprachen
vorliegen haben. Die Idee dazu kam mir letztlich durch „Donde no hay
Doctor”.