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Schluss mit politischer Korrektheit, aber richtig


Jürgmeier / 25. Mai 2017 – Satiriker
nimmt Politikerin beim Wort. Die findet das nicht lustig. Das Gericht weist
ihre Klage ab. Eine schadenfreudige Satire.

© ARD

Alice Weidel, Alexander Gauland,
Christian Ehring in «extra 3

Liebe Frau Weidel [*]
Entschuldigen Sie die etwas
vertrauliche Anrede, aber wer hierzulande Steuern bezahlt,
ohne unseren Angestellten in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen sowie in
öffentlichen WC-Anlagen den Arbeitsplatz wegzunehmen, wird bei uns als lieber
und willkommener Gast behandelt. Im Gegensatz zu jenen, die aus irgendwelchen
Nöten unsere Grenzen unsicher machen. So will es der Brauch. Ihnen als
«Teilzeitmigrantin» – wie die Medien in Ihrem eigenen Land Sie wegen Ihrer
offiziellen Anmeldung im schweizerischen Biel genüsslich tituliert haben –
müssen wir ja nicht wie der deutsche Steuerzahler dem von Ihnen auf Facebook
beklagten «Millionenheer von ungebildeten Migranten aus dem Nahen Osten und
Afrika eine Rundumsorglos-Vollversorgung finanzieren» (zitiert aus «Schwarzbuch
AfD», CORRECTIV). Sie sind ja deutsch und gebildet. Ihren
«Lebensmittelpunkt» haben Sie in Deutschland. Weil sie da gemäss der «Persönlichen Erklärung der
Spitzenkandidatin Alice Weidel
» vom 1. Mai 2017 «ehrenamtlich und
aus voller Überzeugung Politik für die AfD in Deutschland» machen, «ohne einen
Cent dafür zu erhalten». In der Schweiz haben Sie nur einen «Zweitwohnsitz».
Gar nicht nett
Es ist, wie das Schiessen,
Bestandteil unserer nationalen Genetik, dass wir uns für Gäste interessieren,
deshalb habe ich verfolgt, wie in Ihrem Heimatland mit Ihnen umgesprungen
worden ist, nachdem Sie am 23. April, zusammen mit Alexander Gauland, zum
Vorzeigepaar der AfD im bevorstehenden Bundestagswahlkampf gekürt worden sind.
Wenn sie meine schwachen Spuren in der «Lügenpresse» wahrnähme, würde mich Ihre
Partei vermutlich als «Gutmensch» einstufen, was ja nicht wirklich eine
Beleidigung ist. In der Schweiz sagte die von Ihnen bewunderte SVP denen schon
vor vielen Jahren «Linke und Nette». Deshalb finde ich es gar nicht nett, dass
Sie in einer deutschen Satire-Sendung als «Nazischlampe» diffamiert worden
sind. Wo es doch gar keine Nazis mehr gibt. Es ist purer Sexismus, eine Frau
als Schlampe zu bezeichnen, nur weil sie sexuelle Neigungen hat und diese auch
auslebt. Das machen sonst nur Moslems, deren Kultur Sie als «archaisch»
qualifizieren.
Ihre Partnerin, so ist in Ihrer
«Persönlichen Erklärung zum Thema ‹Schweiz›» aufFacebook nachzulesen,
lebt in der Schweiz. «Unsere Kinder leben bei ihrer Mutter, so dass ich mich
wie jedes berufstätige Elternteil selbstverständlich darum bemühe, die wenige
freie Zeit bei meiner Familie zu verbringen, wenn meine Familie nicht bei mir
in Deutschland ist.» Toll, so eine multisexuelle Familie. Aber den Geschlechter-
und Familienvorstellungen der AfD entsprechen diese durchgegenderten, nationale
Grenzen und heteronormative Schranken überschreitenden Familienverhältnisse
nicht wirklich. Da glauben sie immer noch an den Storch, äxgüsi, an die Storch.
Beatrix von Storch, stellvertretende Vorsitzende der AfD und Mitglied des
Europaparlamentes, weiss noch genau, wie das mit den Männern und den Frauen
ist. Und sagt es auch öffentlich. Zum Beispiel im Club des Schweizer
Fernsehens
 zu «60 Jahre EU». Ausgerechnet im verhassten Brüssel. Wo
sie – wenn sie nicht gerade Rettungsschirme spannen oder Grenzen öffnen – über
«Genderquoten, Gender Queer Trans BI» palavern, über diese «Kopfgeburten von
Problemen, die der normale Mensch nicht hat». Sagt es am 9. Mai 2017: «Der Mann
auf der Strasse weiss, dass er ein Mann ist, und überlegt nicht, ob er 48
andere Geschlechter am nächsten Tag einnehmen könnte, weil das alles sozial
konstruiert ist, das sind so absurde Kopfgeburten, … das ist ein
Dekadenzproblem.» Vielleicht müssen Sie mal mit Ihrer Kollegin reden.
Lieber Ziegenficker als
Nazischlampe
Wie gesagt, ich finde es nicht
recht, was der Satiriker Christian Ehring über Sie gesagt hat, ein Verstoss
gegen die guten Sitten, gegen das, was Ihre Parteifreunde gerne als Political
Correctness verhöhnen und Sarah Schaschek in der Zeit vom
18.5. schlicht «Respekt» nennt. Aber fordern nicht gerade Ihre Leute
regelmässig, man müsse wieder sagen dürfen, was ist, reden wie einem oder einer
der Schnabel gewachsen sei. Und haben nicht Sie am 23. April Ihren Parteitagskolleginnen und –kollegen
zugerufen
: «Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der
Geschichte»? Als hätten Sie ein Messer zwischen den Zähnen. Jedes Wort betont,
Stich um Stich ins empfindsame Herz der Gutmenschen. Und haben Sie damit dem
Satiriker von extra 3 (NDR) nicht
– wie jene verheirateten Politiker von der christlich-fundamentalistischen
Truppe, die sich in einem Puff oder mit einem heimlichen Geliebten am
Oktoberfest erwischen lassen – eine Steilvorlage der Extraklasse geliefert, die
er verwandeln musste? «Jawoll», spottete der am 27.4., «Schluss mit der
politischen Korrektheit! Lasst uns alle unkorrekt sein, da hat die
Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!» Sie haben
umgehend geklagt, als hätten Sie nicht mit den satirisch gewachsenen Schnäbeln
gerechnet. Was hat Sie eigentlich mehr beleidigt – der Nazi oder die Schlampe?
Das Landgericht Hamburg hat Ihre
Klage «in allen Punkten» abgewiesen (Spiegel online,
17.5.) und verfügt, Sie hätten «die in Rede stehende Bezeichnung in ihrem
Kontext hinzunehmen». Durch die «klar erkennbare und der Satire gerade
wesenseigene Übertreibung» seien Sie in Ihren Persönlichkeitsrechten nicht so
schwer verletzt worden, «dass die Meinungsfreiheit zurücktreten müsse».
AfD-Sprecher Christian Lüth ist empört, das Urteil zeige, «wie weit man in
Deutschland unter dem Deckmantel der Satire gehen kann …» (Zeit online,
17.5.). Da würde er am liebsten in die Türkei auswandern. «Satire, so
fragwürdig sie auch sein mag, zur Strafverfolgung freizugeben, ist ein Anschlag
auf die Freiheit, die Europa auszeichnet» (Spiegel online,
1.5.2017). So wurde Angela Merkel für ihren «Kniefall vor Erdogan» kritisiert,
als sie damals entschied, «ein Strafverfahren gegen Böhmermann zuzulassen».
Ausgerechnet von Jörg Meuthen, der einen Hälfte der Doppelspitze Ihrer Partei.
«Er ist der Mann der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt.» Hatte Jan
Böhmermann damals, nach trickreicher Einleitung, in seinem Neo Magazin
Royale
 geschmäht. «Am liebsten mag er Ziegen ficken und Minderheiten
unterdrücken.»
Ihr Pressesprecher begründet die
satirische Differenzierung der AfD: «Damals ging es um eine ausländische Macht,
die sich in Deutschland einmischt. Jetzt sind es zwei deutsche Staatsbürger,
die sich streiten … Die Grenzen von Satire verlaufen dort, wo es sich nur noch
um zusammenhanglose, verletzende Beleidigungen handelt» (Spiegel online,
5.5.). Das heisst, wenn Sie (bereits) deutsche Kanzlerin wären und ich als kleiner
Eidgenosse würde Sie auf Satire 51 als «Ziegenleckerin»
karikieren, würden Sie – der politisch korrekten Logik Ihres Pressesprechers
folgend – nicht klagen? Weil Sie sich, im Gegensatz zu Erdogan, nicht in
ausländische Angelegenheiten einmischen würden? Und weil die «Ziegenleckerin»
im Gegensatz zur «Nazischlampe» keine zusammenhanglose, verletzende Beleidigung
ist?
Ist Höcke Musiklehrer?
Bei aller Schadenfreude – ich
habe meine Zweifel, dass Sie sich mit dem ominösen Müllhaufen der Geschichte
(Was würde man da nicht alles finden?) unbedacht die eigene Grube gegraben
haben. Sie als studierte Betriebs- und Volkswirtschafterin können noch Zwei und
Zwei zusammenzählen. Im Gegensatz zu Ihrem Parteikollegen Björn Höcke, derAnfang Jahr in
der «Hauptstadt der Mutbürger», Dresden, eine «erinnerungspolitische Wende um
180 Grad» eingefordert hat. Und am Rande Ihres Parteitags von Ihrem
Co(-Spitzenkandidaten) Gauland mit der Formel entschuldigt worden ist: «Höcke
ist kein Mathematiklehrer». Sie wollen den ja aus der Partei ausschliessen.
Aber Gauland verteidigt den bösen Buben listig: «Er wusste nicht, was 180 Grad
heisst … Darum hat er ja auch gesagt, er habe ein wichtiges Thema vergeigt»
(Bericht vom Parteitag der AfD,ARD, 24.4.). Ist
Höcke Musiklehrer? Und hat das mit der 180-Grad-Wende deshalb nicht richtig
begriffen? Hätte er sonst eine 45-Grad-Wende verlangt?
Sie aber gehören nicht zu diesen
«ungebildeten Migranten» aus dem (Nahen) Osten. Sie beherrschen das Grosse
Einmaleins. War vielleicht alles ganz anders? Haben Sie der deutschen Satire
die Falle gestellt, in die Christian Ehring wie ein Pawlowscher Hund getrampelt
ist? So dass Sie sich als Mitglied der von der deutschen Elite verschmähtesten
Partei hinterher in die Schlagzeilen klagen konnten und am Ende den Beweis in
die Hand bekommen haben, dass es eine «Alternative für Deutschland» braucht,
die dafür sorgt, dass deutsche Gerichte künftig wieder deutsches Recht
sprechen, das heisst die Freiheit, «Ziegenficker» zu sagen, schützen und
deutsche Bürger vor der Verleumdung als «Nazischlampe» bewahren. Schon weil
Letzteres in einem Land, in dem immer mal wieder Asylheime brennen, «eine
sicherheitsrelevante Komponente für Frau Weidel» habe. So Christian Lüth.
Oder haben Sie mit Ihrer
Forderung, die politische Korrektheit auf den viel zitierten Müllhaufen zu
befördern, noch viel weiter gedacht? Ging es Ihnen gar nicht um diese
Petitessen wie das Recht auf den eigenen Schnabel, das heisst die Freiheit,
sagen zu dürfen, dass Araber zu sexueller Gewalt neigen, Albaner Kriminelle
sind und die Bayern den Fussball in den Genen haben? Oder die Freiheit, zu
fragen, ob das mit Auschwitz wirklich so war, wie diese jüdischen Historiker
behaupten, und ob die Neger nicht doch besser Sklaven geblieben wären statt
amerikanische Präsidenten zu werden?
Menschenrechte auf den
historischen Scheiterhaufen?
Ging es Ihnen um viel
Grundsätzlicheres? Darum, dass politische Korrektheit längst Verfassungen
infiltriert hat? Zum Beispiel auch «die heilige Schrift der Eidgenossenschaft»,
wie Florian Keller in der Wochenzeitung vom
9. Februar 2017 schreibt, um dann Artikel 8, Absatz 2 unserer Bundesverfassung
zu zitieren: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der
Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen
Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen
Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen
Behinderung.» Dieser Satz, so Keller, «beschreibt nichts anderes als die
ethische Maxime von Political Correctness. Er bezeichnet den gesellschaftlichen
Idealzustand, den anzustreben dieses Land sich in seiner Verfassung
verpflichtet.» Und verlangt dann kühn: «Wir brauchen nicht weniger Political
Correctness, sondern mehr davon.»
Ähnliches wird auch in Ihren
Grundgesetzen stehen. Zielten Sie mit Ihrem Diktum «Die politische Korrektheit
gehört auf den Müllhaufen der Geschichte» auf solche politisch korrekten
Verfassungsartikel? Wollen Sie diese und natürlich die Menschenrechte gleich
mit auf dem historischen Scheiterhaufen brennen sehen? So wie die SVP mit ihrer
Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» die europäische
Menschenrechtskonvention aushebeln möchte? Wenn auch nur es bizzeli.
Geht es Ihnen in letzter
Konsequenz darum? Das wird man ja noch fragen dürfen. Oder?
Freundliche Grüsse
Der Nette aus dem Süden
[*] Alice Weidel ist Betriebs-
und Volkswirtschafterin, Mitglied des Bundesvorstands der AfD und, zusammen mit
Alexander Gauland, Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2017.