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MOSCHEEREPORT – Was nicht fremd ist, wird fremd gemacht (Teil I)


Von Fabian Köhler, MiGAZIN,
6. April 2017. Monatelang recherchierte Constantin Schreiber in deutschen
Moscheen. Herausgekommen ist eine Mischung aus Safari-Expedition,
Klischeesammlung und mehreren Übersetzungsfehlern. Von Fabian Köhler

Szene aus dem TV-Bericht
“Was predigen Imame in Deutschland?” © NDR
Bei Constantin Schreiber dachte man lange, endlich jemanden gefunden zu
haben, der im endlosen Gelaber aus Islam-, Migranten- und
Flüchtlingsberichterstattung, einen Hauch von Ahnung hat. Er hatte im Nahen
Osten gearbeitet. Er spricht Arabisch.
Wenn sich dieser Schreiber nun
daranmacht, den Nicht-Muslimen in diesem Land zu erklären, was in der Moschee
um die Ecke passiert, kann daran erst einmal nichts verkehrt sein, dachte ich.
Besser er, als die meisten anderen. Und auch, als
der erste Teil seines Moscheereports auf Sendung ging
 und meine
Bubble vor Kritik fast explodierte, war ich mir sicher, dass es so schlimm
nicht sein kann. Kurz hatte ich sogar ein bisschen Mitleid angesichts all der
Kritik, die auf ihn einprasselte. Bis ich den Moscheereport sah und alles noch
viel schlimmer kam.
Aber von vorn: Am Montag, dem 27.
März, strahlte die ARD den ersten Teil von Constantin Schreibers „Moscheereport
aus. „Wer predigt dort, wer geht dort hin, was wird dort gepredigt und welche
Rolle spielen Moscheen bei der Integration von Muslimen in die deutsche
Gesellschaft?“, wollte der frisch ernannte Tagesschau-Moderator wissen und
besuchte 13 der rund 2.500 deutschen Moscheen. Fremd sei diese Welt, erklärt er
zu Anfang. Doch anstatt diese Welt, dem Zuschauer näher zu bringen, tut er in
den folgenden 15 Minuten alles, damit sie auch fremd bleibt. Das beginnt schon
mit dem ersten Satz der Reportage: „Es ist eine Schwelle, die nur wenige
Deutsche überschreiten“, macht er die Fronten klar: Hier die Deutschen, dort
die Muslime. Es ist ein Duktus, den Constantin Schreiber für den Rest der
Reportage nicht wieder verlassen wird.
Was nicht fremd ist, wird fremd
gemacht
Schreibers erste Station ist die Hamburger Al-Nour-Moschee. Die Moschee
nahe des Hamburger Hauptbahnhofs böte viel Material, um die Frage zu
beantworten, was Moscheen zur Integration beitragen. Politiker priesen die
Moschee immer wieder als Bollwerk gegen Salafismus. Als sich im Herbst 2015
Hamburgs Behörden mit der Menge neu ankommender Flüchtlinge überfordert
zeigten, bot die Moschee jede Nacht hunderten Flüchtlinge Obdach und
Verpflegung. Wie viele andere Moscheen bietet sie nicht nur Gebete, die
Al-Nour-Moschee ist eine Mischung aus Sozialamt, Eheberatung und Jugenclub.
Auch aufgrund ihrer erfolgreichen Integrationsarbeit hat sich die die
Mitgliederzahl in den letzten Jahren mehr als versiebenfacht.
Von all dem erfährt der Zuschauer des Moscheereports allerdings nichts.
Auch um den Inhalt der Predigt von Imam Samir El-Rajab geht es kaum. Zwar zeigt
die ARD Ausschnitte aus einer Freitagspredigt inklusive deutschem Untertitel,
doch eine Auseinandersetzung mit dem Gesagten findet kaum statt. Ein möglicher
Grund: Die Predigt ist schlicht zu unspektakulär. El-Rajab erzählt allgemein
von Gerechtigkeit im Umgang miteinander.
Für die meisten Außenstehenden dürfte die Predigt schlimmstenfalls
langweilig sein. Problematische Inhalte schafft auch Constantin Schreiber nicht
auszumachen. Nur als der perfekt Deutsch sprechende Pressesprecher der Moschee
Abdallah Benhamou Teile der Predigt übersetzt, bemängelt Schreiber „brüchiges
Deutsch“. Was nicht fremd ist, wird fremd gemacht.
Statt mit Gläubigen zu sprechen,
übernimmt eine Ethnologin die Einordnung
Mit der Attitüde eines Orientreisenden, der zum ersten Mal seinen Fuß in
eine fremde und gefährliche Welt setzt, macht Schreiber weiter. Wie die Predigt
bei den Gläubigen ankam, will er wissen. Aber anstatt die Moscheebesucher, bei
denen er gerade erst mit seinem Kamera-Team zu Gast war, selbst zu befragen,
überlässt er die Antwort der im Studio zugeschalteten Ethnologin Susanne
Schröter.
Der Rest des Gesprächs dreht sich
um lediglich zwei Fragen: Warum beten Männer und Frauen getrennt? Und warum
spricht der Imam nicht besser Deutsch? Sicherlich wichtige Fragen, aber reichen
sie aus, um die Bedeutung der Moschee für die über 2.000 Gläubigen zu bewerten?
Die Antworten übernimmt Schreiber gleich selbst. Als der ebenfalls im Studio
Anwesende Vorstandschef der Moschee, Daniel Abdin, darauf verweist, dass man
für einen eigenen Frauenbereich schlicht keinen Platz habe, beeilt sich
Schreiber zu entgegnen, dass „doch häufig genügend Platz da ist“.
Ironischerweise hatte Schreiber selbst erst kurz zuvor im Interview mit dem
Berliner Tagesspiegel darauf hingewiesen, dass alle von ihm
besuchten Moscheen völlig überfüllt gewesen seien.
Noch realitätsferner ist der Rat der Ethnologin Susanne Schröter: Man solle
doch einfach größere Moscheen bauen. Hier hätte ein gut vorbereiteter Moderator
darauf hinweisen können, dass es in Deutschland nahezu unmöglich ist, größere
Moscheen zu bauen; oder darauf, dass sich die Verantwortlichen der
Al-Nour-Moschee seit mindestens acht Jahren um ein größeres Gebäude bemühen.
Auch in die ehemalige Kirche im Hamburger Stadtteil Horn, in die die Moschee
demnächst umziehen wird, passt nur ein Bruchteil der über 2.000 Gläubigen.
Ob sie es zugeben oder sich
verstellen, demokratiefeindlich sind Muslime auf jeden Fall
Auch der nächsten Station nähert sich Schreiber mit einer Mischung aus
gespielter kindlicher Naivität und der Abenteuerlust einer Safari-Expedition:
„Berlin Neukölln. Die Gegend gilt als Problembezirk“, erklärt Schreiber, um dem
Zuschauer sofort im nächsten Satz die passende Erklärung anzubieten: „70
Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund.“ Mehrmals erfährt der
Zuschauer, dass die Dar-As-Salam-Moschee vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Dass dies in der Berliner Politik als nicht unumstritten gilt, die Moschee
immer wieder für ihre Jugendarbeit gelobt wurde, der Imam der Moschee für
seinen Einsatz gegen Extremismus im Jahr 2015 den Verdienstorden des Landes
Berlin erhielt, erfährt der Zuschauer hingegen nicht.
Stattdessen nimmt ein Großteil des weiteren Beitrags die Rede des Imams
Abdelfattah Mourou ein. Der tunesische Gastprediger fordert seine Zuhörer auf,
den Dialog mit Nicht-Muslimen zu suchen. Er erzählt, dass Gläubige in
Deutschland mehr Religionsfreiheit genössen als in seiner Heimat. „Was wollt
ihr denn mehr?“, ruft er ins Mikro. Die leidenschaftliche arabische
Vortragsweise mag für jemanden, der deutsche Kirchenpredigten gewohnt ist,
aggressiv wirken. Aber inhaltlich ist die Rede ein leidenschaftliches Plädoyer
für Integration in Deutschland. Schreibers Kommentar hingegen: „Das klingt
alles sehr liberal … Ich frage mich, ob das anders ist, wenn keine TV-Kamera
dabei ist.“ Es ist eine Logik, nach der die Muslime nur verlieren können:
Entweder sie geben es zu oder sie verstellen sich, demokratiefeindlich sind sie
in jedem Fall.
Ein Freiburger Islamkritiker wird
zum Tunesien-Experten
Erneut geht es im folgenden Studiogespräch nicht um die praktische
Integrationsarbeit der Moschee, die weit mehr als 45 Minuten Freitagspredigt
umfasst. Vielleicht weil sich in der Predigt kaum Anlass für Kritik finden
lässt, widmet sich Schreiber der persönlichen Glaubwürdigkeit des Gastimams.
Mehrmals erfährt der Zuschauer, dass Mourou „Gründungsmitglied der
islamistischen El-Nahda“-Partei ist. Dass die Partei die erste demokratische
Regierung in der Geschichte Tunesiens stellte und von vielen Experten als
einziges demokratisches Ergebnis des arabischen Frühlings gesehen wird, erfährt
der Zuschauer nicht.
Stattdessen überlässt es Schreiber dem Freiburger Islamwissenschaftler
Abdel-Hakim Ourghi, der bisher eher durch seine islamkritischen Thesen als
durch seine Tunesien-Expertise aufgefallen ist, Mourous Glaubwürdigkeit zu
bewerten. Dessen verschwörerisches Urteil: „Wir haben es hier mit einem
Gelehrten zu tun, der sagt nicht, was er denkt. Der sagt, das was die Zuhörer
hören möchten.“
Bezeichnend für die Qualität der Auseinandersetzung ist auch, dass die
einzige Stelle der Predigt, die Schreiber im anschließenden Studiogespräch
Anlass für ausgiebige Kritik gibt, sich später als Falschübersetzung entpuppt.
Aus „150.000 Türken“, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, macht
Schreiber „150.000 Soldaten“. Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum die
ARD den Beitrag mittlerweile aus ihrer Mediathek entfernte.