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ISLAMGESETZ – Outside Grundgesetz

Von Murat Kayman, MiGAZIN,
4. April 2017.
Einige Unionspolitiker
fordern ein Islam-Gesetz für Deutschland – Vorbild: Österreich. Dabei wäre es –
übertragen auf die deutsche Rechtsordnung – ein einziger, massiver Verstoß
gegen unser Grundgesetz.
  

Das Grundgesetz vor dem
Bundeskanzleramt © Mehr Demokratie @ flickr.com (CC 2.0),
bearb. MiG
Österreicher waren in der deutschen Geschichte keine guten politischen
Ratgeber. Beim Islamgesetz ist das nicht anders. Vor zwei Jahren trat es in
Österreich in Kraft. Sein gesamter Inhalt wäre – übertragen auf die deutsche
Rechtsordnung – ein einziger, massiver Verstoß gegen unser Grundgesetz, gegen
die religiöse Neutralitätspflicht des Staates und eine mehrfache Verletzung
kollektiver und individueller Religionsfreiheit.
Das hat hiesige zentrale muslimische Verbandsvertreter vor zwei Jahren
nicht daran gehindert, ein ebensolches Islamgesetz auch für Deutschland zu
fordern. Schlechtes Vorbild mögen die österreichischen Verbandsvertreter
gewesen sein, die in einer Mischung aus Unwissenheit und Ignoranz das
Gesetzesvorhaben billigten, weil es vermeintlich die Rechte von Muslimen auch
für den Staat verbindlich festschreibe.
Zumindest in dieser Hinsicht scheint in der muslimischen Verbandslandschaft
mittlerweile Klarheit darüber zu herrschen, dass ein Islamgesetz nicht nur den
Rechten der in Deutschland lebenden Muslime nicht zuträglich ist, sondern auch
gegen unsere Verfassung verstößt: Sein damaliger Fürsprecher ist heute wieder
Sprecher des KRM und positioniert sich gegen ein Islamgesetz.
Dieser Zuwachs an Einsicht ist bei namhaften CDU-Politikern offenkundig ausgeblieben.
Julia Klöckner, niemand geringeres als die stellvertretende Parteivorsitzende
der CDU, ist davon überzeugt, ein Islamgesetz könne „die Rechte und Pflichten
der Muslime in Deutschland auf eine neue rechtliche Basis stellen“. Mit einem
solchen Gesetz sollen der rechtliche Status der Moscheevereine festgelegt und
ihre Finanzierung aus dem Ausland verboten werden. Klöckner fordert auch ein
Moschee-Register. Damit soll festgestellt werden, „wie viele Moscheen es in
unserem Land gibt, wo sie sind, wer Träger und wer Finanzier ist.“ Im Gegenzug
soll ein Anspruch auf muslimische Seelsorger in Gefängnissen, Krankenhäusern
und Pflegeheimen und das Recht auf islamische Bestattungen festgeschrieben
werden.
Beistand erhält diese Forderung vom Vorsitzenden der Jungen Union, Paul
Ziemiak, der überzeugt davon ist, dass Integration scheitern muss, wenn in
Moscheen kein Deutsch gesprochen wird. Er will „wissen, wo Moscheen sind und
was in ihnen passiert.“
Beide, Klöckner und Ziemiak, liegen mit diesen Positionen auf Linie des
CDU-Präsidiumsmitglieds Jens Spahn, der sich vom Islamgesetz auch einen
zentralen Ansprechpartner für die in Deutschland lebenden Muslime verspricht.
Wie kann es bei erfahrenen Politikern zu solchen gravierenden,
verfassungswidrigen Fehlleistungen kommen?
Die bisherige Basis für die Rechte und Pflichten von Muslimen in
Deutschland war und ist unsere für alle Bürger geltende Rechtsordnung.
Fundament dieser Rechtsordnung ist unser Grundgesetz. Welche „neue rechtliche
Basis“ möchte Julia Klöckner nun also normieren? Warum will sie Muslime per
Gesetz aus dem bisherigen Schutzbereich des Grundgesetzes herausdefinieren?
Solche Sondergesetze für religiöse Minderheiten stehen auf den dunkelsten
Seiten unserer deutschen Geschichte. Ist das Julia Klöckner und ihren
Parteikollegen nicht bekannt?
Die Rechte und Pflichten von Muslimen in Deutschland sind in unserer
Rechtsordnung bereits klar geregelt. Erinnert sei exemplarisch nur an folgende
Verfassungsinhalte:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs.
1 und 2 WRV:
„Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch
die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“
„Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung
zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.“
Ebenso ist es dem Staat unseres Grundgesetzes aus gewichtigen und
historischen Gründen verwehrt, darüber zu bestimmen, wer bei ihm Muslim ist,
wie diese sich zu organisieren und welche Ansprechpartner sie zu konstituieren
haben. Denn ein Moschee-Register macht ja nur dort Sinn, wo alle Muslime dazu
gezwungen werden, als Pflichtmitglieder darin eingetragen zu sein. Aber dem
steht unsere Verfassungsordnung entgegen:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs.
1 bis 3 WRV:
„Es besteht keine Staatskirche.“
„Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird
gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften […] unterliegt
keinen Beschränkungen.“
„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie
verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen
Gemeinde.“
Auch für die Regelung muslimischer Ansprüche auf Seelsorge bedarf es keines
Islamgesetzes. Unsere Verfassung regelt diesen Anspruch bereits
unmissverständlich:
Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV:
„Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in
Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht,
sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen,
wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“
Sichtbarkeit und Transparenz
Wer wie die CDU-Politiker wissen will, wo Moscheen sind und was in ihnen
passiert, braucht kein Islamgesetz. Er müsste lediglich auf populistische
Kampagnen verzichten, wenn wiedermal eine Moscheegemeinde endlich ihre
Industriebrache oder ihren Hinterhof verlassen will und sich um die Errichtung
einer neuen Moschee mit Minarett bemüht. Es ist ja nicht so, dass Muslime
unsichtbare, versteckte Gebetshäuser errichten wollen. Vielmehr sind es fast
immer Politiker des konservativen Spektrums, die sich an der Sichtbarkeit von
Moscheen im Stadtbild stören.
Moscheen sind offene Häuser. Sie stehen nicht nur zu Gebetszeiten allen
Interessierten offen. Selbst solchen Personen, die nicht unbedingt daran
interessiert sind zu wissen, was in Moscheen passiert, sondern eher nach
Bestätigung für ihre Vorurteile suchen und dabei auf kräftige Auflage hoffen.
Bei Moscheen handelt es sich nicht um rechtsfreie Räume. Die allermeisten
Moscheen sind eingetragene Vereine. Ihre Satzungen und die Protokolle ihrer
Mitgliederversammlungen sind in den Unterlagen der Registergerichte zu finden.
Handelt es sich um Ausländervereine, also solche Vereine, deren Mitglieder oder
Vorstände mehrheitlich nichtdeutsche Staatsbürger sind, sind diese Vereine auch
regelmäßig polizeilich gemeldet.
Überdies ist es nicht die Aufgabe von Religionsgemeinschaften, sich so zu
organisieren, dass sie einen zentralen Ansprechpartner für den Staat herausbilden.
Das mag praktisch sein, ist aber nicht obligatorisch. Und schon gar nicht kann
der Staat dies gesetzlich erzwingen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits
vor mehr als 10 Jahren festgestellt: „Die Angehörigen einer Konfession oder
mehrerer verwandter Bekenntnisse sind dem Staat gegenüber nicht
rechenschaftspflichtig, weshalb sie sich nicht in einer einzigen, sondern in
mehreren Religionsgemeinschaften organisieren.“ (BVerwGE 123, 49 (56 f.)) Die
Befürworter eines Islamgesetzes liegen also auch in diesem Detail vollständig
neben Recht und Grundgesetz.
Geld und Sprache
Ebenso rechtlich unhaltbar und gesellschaftlich abwegig ist die Forderung
nach Gesetzen zum Verbot von Auslandsfinanzierung und Zwang zur deutschen
Sprache in Moscheen. Die obigen Regelungen zum Selbstverwaltungsrecht von
Religionsgemeinschaften bilden hier den verfassungsrechtlichen Rahmen.
Allerdings ist diese Forderung auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher
Realitäten und politischer Aufrichtigkeit zurückzuweisen. Dabei soll gar nicht
in Abrede gestellt werden, dass die deutsche Sprache in Moscheen immer mehr an
Bedeutung gewinnt und stärker gefördert werden müsste. Aber das ist eine andere
gesellschaftliche Diskussion, die nicht im Lichte von gesetzlichen
Zwangsvorschiften geführt werden kann.
Oder wollen die Verfechter eines Islamgesetzes mit der Zwangseinführung der
deutschen Sprache in Moscheen gleichzeitig das Hebräische aus Synagogen
verbannen? Oder die serbische oder griechische Sprache aus orthodoxen Kirchen?
Oder den lateinischen Ritus aus römisch-katholischen Kirchen?
Oder will die CDU den beiden großen Kirchen in Deutschland zukünftig die
Förderung ihrer Auslandsgemeinden und -dienste gesetzlich verbieten? Denn das
müsste sie fordern, wenn sie hier tatsächlich dem Gleichbehandlungsgrundsatz
folgend nicht nur Muslimen sondern auch Christen in die wirtschaftliche und
sprachliche Selbstorganisation hineinreden will:
Die Evangelische Kirche in
Deutschland (EKD) führt in ihremHaushalt 2017 unter dem Titel „Handlungsbereich
Auslandsarbeit“ aus, dass der „Dienst an ev. Christen deutscher Sprache oder
Herkunft im Ausland […] konsequent mit dem Zeugnis und der Dienstgemeinschaft
der Kirchen im gleichen Ort verbunden“ ist. Sie will dabei erkennen und
entscheiden, „wo Gemeindearbeit umgestaltet, reduziert, aufgegeben oder neu
aufgebaut werden muss.“ Für diesen Aufgabenbereich hat die EKD in 2015 mehr als
7,8 Mio. € aufgewendet. Bis 2020 soll diese Haushaltsposition auf bis zu 9 Mio.
€ anwachsen.
Unter diesen Aufgabenbereich fällt das Handlungsfeld „Auslandsgemeinden /
Partnerkirchen“. In der Beschreibung des Handlungsfeldes heißt es: „Heute leben
etwa 1 ½ Millionen Deutsche auf Zeit oder auf Dauer im Ausland, die Mitglieder
von Mitgliedskirchen der EKD sind. Viele von ihnen erwarten eine evangelische
deutschsprachige pastorale Begleitung. Sie finden in den mit der EKD
verbundenen deutschsprachigen Gemeinden eine religiöse und kulturelle Heimat.
Dies wird unterstützt durch: Auswahl, Entsendung, Beauftragung, Qualifizierung
und Begleitung kompetenter Pfarrer/innen in derzeit etwa 130 Gemeinden […]
Förderung des deutschsprachigen kirchlichen Dienstes durch einheimische Kirchen
[…]“. Nur für dieses Handlungsfeld hat die EKD in 2015 mehr als 6 Mio. € aufgewendet.
Bis 2020 soll diese Haushaltsposition auf mehr als 7 Mio. € anwachsen.
Bei der katholischen Kirche sieht
es nicht anders aus. Unter der Überschrift „Auslandsgemeinden“ in der Handreichung
„Zahlen und Fakten“
 zu kirchlichen Statistiken, veröffentlicht
über die Internetpräsenz der Deutschen Bischofskonferenz, heißt es:
„Das Katholische Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz hat
die Aufgabe, Seelsorge für deutschsprachige Katholiken anzubieten, die aus den
unterschiedlichsten Gründen im Ausland leben, manchmal nur Wochen, manchmal auf
Dauer. Für viele spielt dabei die Möglichkeit, den eigenen Glauben im Ausland
in der Muttersprache leben zu können, eine wichtige Rolle. Das
Auslandssekretariat gibt es seit 1921. Ursprünglich nur für Auswanderer
gegründet, hat es inzwischen noch eine Reihe anderer Personen im Blick, wie zum
Beispiel Touristen oder die sogenannten ‚Expatriates‘, also Menschen, die
häufig mit ihren Familien von ihrer Firma ins Ausland geschickt werden.
Weltweit an circa 120 Orten in 57 Ländern ist das Katholische
Auslandssekretariat vertreten, darunter mit Gemeinden in Brüssel, Johannesburg,
Singapur. Das Katholische Auslandssekretariat entsendet rund 50 hauptamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Priester, Diakone, Pastoral­ und
Gemeindereferenten/­innen). Daneben gibt es circa 50 nebenamtliche Welt­ und
Ordenspriester sowie Ordensschwestern, die sich in den deutschsprachigen
Gemeinden engagieren.“
Jedes Jahr wird der Bericht zu den „Auslandsgemeinden“ mit dem Bild eines
Geistlichen illustriert, der die Bedeutung des deutschsprachigen religiösen
Angebots unterstreicht. Die Zitate geben anschaulich wieder, was die Motivation
für die intensive Förderung deutschsprachiger Auslandsgemeinden bedeutet:
Pfarrer Hans­Joachim Fogl, Auslandsseelsorger, Deutschsprachige katholische
Gemeinden Singapur, Kuala Lumpur, Ho Chi Minh Stadt: „Fremd und doch daheim
sein, ankommen und Vertrautes wiederfinden, den Glauben in der eigenen Sprache
feiern, Traditionen leben und auch den Kindern weitergeben können – dies ist
gerade für Menschen fern der Heimat etwas sehr Wertvolles. Vor allem in fremden
Kulturen und angesichts der Schnelllebigkeit unserer globalen Welt ist es gut
und wichtig, dass es unsere Gemeinden gibt.“
Martin Leitgöb CSsR, Auslandspfarrer, Deutschsprachige katholische Gemeinde
Prag, Tschechien: „Für Menschen, die im Ausland leben, stellt sich die Frage
nach Beheimatung in besonderer Weise. Die Möglichkeit, in der eigenen Sprache
Weggemeinschaft im Glauben zu erleben, kommt diesem Bedürfnis entgegen.“
Besonders anschaulich und erkennbar mit dem prägenden Einfluss seines
Einsatzortes fasst es Pfarrer Reinhold Sahner, Auslandspfarrer, Vereinigte
Arabische Emirate zusammen: „Entlang der Handelswege der Wirtschaftsnomaden
unserer Tage, sind wir wie die Karawansereien, die es möglich machen, Heimat im
Glauben lebendig zu erhalten.“
Das eigentliche Problem
Unser Problem liegt nicht „Inside Islam“. Die Radikalen finden ohnehin
keinen Platz in der Mitte der Muslime in Deutschland. Um die strafrechtlich
relevanten Fälle kümmern sich die Sicherheitsbehörden. Die Frage der
Gemeindesprache werden die Muslime angelehnt an die tatsächlichen Bedürfnisse
ihrer Mitglieder und Gottesdienstbesucher mit der Zeit selbst beantworten.
Dabei wird es sich sicher um eine mehrsprachige Antwort handeln, um in völlig
legitimer Weise auch „Heimat im Glauben lebendig zu erhalten“.
Dies wird umso mehr und umso dauerhafter der Fall sein, je mehr Politiker
mit einer verantwortungslosen Sprache der Ausgrenzung es versäumen, den
Muslimen ein Gefühl der authentischen Beheimatung in Deutschland zu vermitteln.
Unser Problem liegt nicht „Inside Islam“. Unser Problem sind all die
schrillen Stimmen, die sich geschichtsvergessen, im politischen Tagesgeschäft
opportunistisch, und immer wieder viel zu leichtfertig „Outside Grundgesetz“
begeben, um „besorgten Bürgern“ nach dem Mund zu reden.
Was uns aber über all die Unterschiede und auch die religiöse Vielfalt
hinweg verbindet, in Zukunft verbinden muss, ist die Geltung des gleichen
Rechts für alle, ist der uneingeschränkte Schutz des Grundgesetzes für alle
Bürger. Darum sollten wir uns alle Sorgen machen.