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Wie Saatgutpatente aus Bauern Kriminelle machen


Von Redaktion,
Infosperber
, 17. Januar 2017. Als Gegenleistung für Entwicklungshilfe
müssen Länder Saatgutpatente gesetzlich schützen. Ein Kuhandel, der den Ärmsten
schadet.
Tansanische
Gesetze bestimmen, dass Bauern nur noch lizenziertes Saatgut verwenden dürfen.
Damit zerstört die Agrarlobby die Lebensgrundlage der Kleinbauern. Bei
Verstössen drohen den Bauern hohe Strafen, scheibt das belgische Medium «Mondiaal Nieuws».

Bauern
in Tansania riskieren eine Gefängnisstrafe, wenn sie nicht-zertifiziertes
Saatgut verkaufen© grain.org

«Ich
nutze das Saatgut meiner Familie, weil meine Urgrossmutter es benutzte. Sie gab
es meiner Grossmutter, die gab es meiner Mutter und meine Mutter gab es mir»,
erzählt die Agrarökonomin Janet Maro.
Landwirtschaft
funktioniert heute wie iTunes
Die
Gründerin und Leiterin von «Sustanable Agriculture Tanzania»
(SAT) beschreibt damit, was man sich unter Landwirtschaft gemeinhin vorstellt:
Ein Bauer sät, erntet, verkauft den Ertrag und behält einige Samen zurück,
damit er im nächsten Jahr wieder aussäen kann.
Diese
Vorstellung ist mittlerweile reichlich antiquiert. Die moderne
Intensivlandwirtschaft funktioniert ähnlich wie iTunes: Saatgut, das ein Bauer
erwirbt, ist unter Umständen nicht gekauft, sondern nur lizenziert. Verwendet
er eine eingetragene Sorte, die er zum Beispiel von Monsanto oder Syngenta
gekauft hat, darf er sie im nächsten Jahr nicht wieder aussäen. Diese
Entwicklung macht die Bauern abhängig, bedroht die Sortenvielfalt und schadet
Böden und Gewässern – auch in der Schweiz. (Infosperber: «Die Saatgut-Konzerne diktieren
unseren Speisezettel
»).
Hohe
Geld- und Gefängnisstrafen
Für
Entwicklungsländer kann das desaströs sein. In Afrika herrscht noch vorwiegend
ein informeller Austausch von Saatgut. Das heisst, es wird vererbt, getauscht,
verkauft oder innerhalb der Familie weitergegeben. Lizenziert oder wenigstens
registriert ist dabei nichts.
«Für
die hiesigen Landwirte ist es schwer zu verstehen, dass man einen Samen
patentieren und besitzen kann», erklärt Janet Maro. Kleinbauern hätten zudem
niemals die Mittel, ihre eigenen Sorten schützen zu lassen.
Wenn
sie nicht-zertifiziertes Saatgut verkaufen, gelten die Bauern in Tansania
künftig als Kriminelle. Sie riskieren eine langjährige Gefängnisstrafe und eine
Geldstrafe von über 200’000 Euro. «In einem Land, in dem der Durchschnittslohn
noch immer unter zwei Dollar pro Tag liegt, ist das eine unvorstellbare Summe»,
verdeutlicht Maro.
Ersetze
Vertrauen durch Standardisierung
Die
Ansätze für diese verfahrene Situation klangen sinnvoll: Soll die weltweite
Produktion an Lebensmitteln den Bedarf der Menschheit weiterhin decken,
brauchen vor allem die armen und wenig entwickelten Länder Hilfe bei der
Modernisierung ihrer Agrarwirtschaft.
2012
wurde deshalb die «New Alliance For Food Security and Nutrition» (NAFSN)
von den G8 gegründet. Mit dem Ziel, Investitionen in die Landwirtschaft der
zehn Teilnehmerländer Benin, Burkina Faso, Äthiopien, Ghana, Elfenbeinküste,
Malawi, Mosambik, Nigeria, Senegal und Tansania zu fördern. Neben den –
mittlerweile – G7 beteiligen sich Investoren wie Yara, Monsanto, Cargill,
Syngenta und DuPont sowie die Weltbank und die Bill & Melinda Gates
Foundation.
Entwicklungshilfe,
die vor allem Investoren nützt
Inzwischen
ist dabei einiges schiefgelaufen. Durch Standardisierung sollte der Handel mit
Saatgut erleichtert und der Zugriff auf landwirtschaftliche Nutzflächen sollte
für Investoren einfacher werden. Als Gegenleistung für Entwicklungshilfe
verabschiedete Tansania neue Gesetze und trat mehreren internationalen
Vereinbarungen wie der UPOV-Konvention bei.
Das neue System beinhaltet vor allem einen starken Schutz intellektuellen
Eigentums. Den Konzernen geht es dabei zuerst um Investitionssicherheit.
«Ein
Unternehmen, das investieren will, will sicherstellen, dass seine Technologie
geschützt ist», sagte Kinyue M’Mbijjewe, Leiter von Syngenta Corporate Affairs
Afrika. Syngenta ist neben dem norwegischen Unternehmen Yara einer der beiden
grössten Partner der NAFSN. Den Einheimischen soll das nützen: «Als
Gegenleistung zu Rechten an intellektuellem Eigentum erhalten Landwirte
besseren Zugang zu landwirtschaftlicher Technologie», sagte M’Mbijjewe.
An
Kleinbauern in unfruchtbareren Regionen, das sagte er auch, sei Syngenta dabei
nicht besonders interessiert: «Unser Augenmerk richtet sich auf Kleinbauern,
die expandieren wollen. Wir arbeiten gerne mit NGOs, die eine kommerzielle
Herangehensweise haben. Bauern, die lediglich in einem unwirtlichen Klima
überleben wollen, lassen wir aus.» Alle Entwicklungsinitiativen der NAFSN
konzentrieren sich auf die fruchtbare südliche Hälfte von Tansania.
Die
Fehler der Intensivwirtschaft werden exportiert
Doch
den Kleinbauern schadet das Gesetz am meisten. Die grosse Mehrheit der
afrikanischen Bauern verwendet ihr eigenes Saatgut. Jetzt wird dieses
informelle System von Weitergabe, Tausch und Verkauf von Saatgut in Afrika
zerstört. Kleinbauern können sich teure Hochleistungssorten nicht leisten.
Selbst
wenn Bauern Subventionen bekämen, verschlechtere die Intensivlandwirtschaft
zudem Boden- und Wasserqualität und schade der Umwelt, argumentiert Janet Maro.
Sie spricht aus Erfahrung. Gerade für extreme Klimazonen sei kommerzielles
Saatgut ausserdem oft wenig geeignet, sagt auch Michael Farrel von der NGO «Tanzanian
Organic Agriculture Movement
» (TOAM). «Was in Utrecht funktioniert,
funktioniert in Sansibar nicht unbedingt», meint er.
Agrarökonomin
Janet Maro: «Für die hiesigen Landwirte ist es schwer zu verstehen, dass man
einen Samen patentieren kann» (Quelle: SAT)
Die
Leiterin des SAT versucht, einen anderen Weg zu gehen und schult vor allem
Kleinbauern in agrarökologischen Techniken, die auf teures Saatgut, Pestizide
und synthetische Düngemittel verzichten. Patentieren lassen sich die ökologischen
Methoden des SAT freilich nicht.
Syngenta
weiss von nichts
Bauern,
die ihr Saatgut weiter informell weitergeben wollten, sollten diese Möglichkeit
weiterhin haben, erklärte Syngenta. Diese Aussage widerspricht den neuen
Gesetzen, welche diese Möglichkeit nicht mehr vorsehen. Syngenta hat im
Führungsrat der NAFSN Einsitz und nimmt damit direkt an den Verhandlungen mit
den Nehmerländern teil. Der Konzern kennt deshalb die Bedingungen, welche die
Partnerländer erfüllen müssen, um Entwicklungshilfe der NAFSN zu erhalten.
Tansanische
Regierung übt Schadensbegrenzung
Es sei
nie Zweck des Gesetzes gewesen, kleine Betriebe zu bestrafen, sagt die
tansanische Regierung. Es sei nur um den Schutz ihrer Eigentumsrechte gegangen.
Was freilich nur zutrifft, wenn Bauern ihr eigenes Saatgut patentieren lassen.
Als Mittelweg bietet sie eine Art Registrierungssystem an, das zukünftig
ausgebaut werden soll: Das «Quality Declared Seed System» ist eine Art
Kompromiss.
Momentan
ist es einem Bauern erlaubt, registriertes Saatgut wenigstens in drei
umliegenden Dörfern zu verkaufen. Die Regierung will den erlaubten Bereich auf
den ganzen Distrikt ausdehnen. So können die Samen in etwa siebzig Dörfern
verkauft werden.
Kritik
an NAFSN
Die
Kritik an NAFSN wird immer lauter. Die einseitigen Vereinbarungen des Projekts
werden von mehreren NGOs und vom Europäischen Parlament
kritisiert
. Experten warnen derweil vor dem Fördern einer
Intensiv-Landwirtschaft, weil sie in Afrika für Boden, Wasser und Klima meist
schädlich sei.