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Said Rezek – Integration ist keine Einbahnstraße

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview
mit dem Autor und Blogger Said Rezek. Mit ihm habe ich vor allem über Themen wie Islamfeindlichkeit,
Islam und Bildung, Bildung und Integration gesprochen. Möchte mich sehr
herzlichst bei Herrn Rezek für seine Zeit und seine wichtigen Impulse bedanken.

Said Rezek, Quelle: MiGAZIN
Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptthesen der
Islamisierer und sogenannten Islamkritiker, wenn es um Islam und Bildung und
Islam und Integration geht?
Said Rezek: Im Prinzip geht es fast immer darum,
soziale Probleme von denen Muslime betroffen sind auf den Islam zurückzuführen.
Sei es Arbeitslosigkeit, Kriminalität oder Bildungsdefizite. Laut der
Islamisierung sozialer Probleme handelt es sich bei der Religionszugehörigkeit,
um die zentrale Ursache für die genannten Phänomene. Andere Erklärungen werden
entweder überhaupt nicht- oder nicht angemessen berücksichtigt.
Welche sind die wichtigsten Schlussfolgerungen, zu
denen Sie in Ihren Recherchen gelangt sind?
Im Besonderen widerlege ich Sarrazins These,
von den vermeintlich vererbten Bildungsdefiziten der Muslime. Diese Behauptung
stellt er in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ auf. Gemessen an
den Bildungsabschlüssen liegen Muslime zwar durchschnittlich hinter Nichtmuslimen,
aber die zentrale Ursache ist nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die
Sozialschichtzugehörigkeit.
Die Gastarbeiter der ersten Generation, waren
mehrheitlich Muslime und gehörten tendenziell bildungsfernen Schichten an.
Dennoch ist ein generationsübergreifender Bildungsaufstieg auf Seiten der
Muslime erkennbar. Das stimmt positiv. Der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg
und Sozialschichtzugehörigkeit betrifft im übrigen Muslime und Nichtmuslime,
sowie Personen mit- und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen.

Wie schafft man Bildungschancen für Musliminnen und
Muslime im Westen, ohne sie zu assimilieren?
Bildung ist vor allem ein Indikator für Integration
und nicht für Assimilation.  Von Bildung
hängt im Wesentlichen der Lebensweg jedes Einzelnen, unabhängig von seiner
Herkunft und Religionszugehörigkeit ab. Gerade in einer hochentwickelten
modernen Wissensgesellschaft oder wie Angela Merkel einst sagte, in einer
Bildungsrepublik. Bildung ist demnach ein erstrebenswertes Ziel für Muslime und
Nichtmuslime.
Vor dem Hintergrund sollte es ein vornehmliches Ziel
der Politik sein, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, um der
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland näher zu kommen.  

Warum spricht man immer nur von Integration anstatt
von Zusammenleben?
Integration und Zusammenleben ist kein Widerspruch,
sondern geht vielmehr miteinander einher. Dennoch ist der Integrationsbegriff
sehr umstritten und geradezu ein Kampfbegriff. Das hängt vor allem damit
zusammen, dass nahezu jeder etwas anderes darunter versteht. Wenn wir zehn
Passanten auf der Straße fragen was Integration eigentlich bedeutet, erhalten
wir wahrscheinlich elf unterschiedliche Antworten.
Laut Esser ist mit Integration das Erlernen der
Sprache, die Kenntnis über die Kultur der Mehrheitsgesellschaft,
Bildungserwerb, Partizipation auf dem Arbeitsmarkt, sowie die Mitwirkung in
Vereinen und Organisationen gemeint. Wer diese Indikatoren erfüllt, schafft
seinerseits die besten Voraussetzungen für ein Zusammenleben. Es ist jedoch
keine Einbahnstraße. Auch auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft muss der Wille
für ein Miteinander gegeben sein.
Die Alltagsislamophobie – wie geht man damit um?
Der größte Fehler besteht aus meiner Sicht darin, sich
von der Gesellschaft abzuwenden oder Vorurteilen mit Vorurteilen zu begegnen. Nach
dem Motto, „die deutschen“ sind dieses und jenes. Es ist vernünftig mit
Verständnis auf Vorurteile zu reagieren. Auch wenn das nicht immer leicht fällt.
Das sage ich auch aus eigener Erfahrung. Es hilft, wenn man sich vor Augen
führt, woher die Vorurteile resultieren. Oft es ist Unwissenheit über den Islam,
unzulässige Verallgemeinerungen und keine Begegnungen zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen. Umso wichtiger sind Kontakte, weil dadurch Negativeinstellungen
abgebaut werden, wie diverse Studien belegen.
Muslimische Frauen sind für mich das Symbol der
Unterdrückung durch falsche Islaminterpretationen und gleichzeitig durch
islamfeindliche Haltungen. Wie sehen Sie die Lage der Frau als muslimischer
Mann der im Westen lebt?
Das ist eine heikle Frage. Gerade für einen
muslimischen Mann, dem ja in weiten Teilen der Bevölkerung nachgesagt wird, er
stehe für die Unterdrückung der Frauen. In einer der größten repräsentativen
Studien zur religiösen Vielfalt in Europa, gaben bereits 2010,  ca. 80% der Befragten in Deutschland an, mit
dem Islam, die „Unterdrückung der Frau“ zu assoziieren.
Für viele Nichtmuslime ist bereits das Tragen eines
Kopftuchs ein Beleg für diese Unterdrückung. Selbst wenn muslimische Frauen
selbstbewusst bekunden, sie tragen die Bedeckung  freiwillig, beharren einige Nichtmuslime auf
den vermeintlichen Zwang. Das kommt einer Entmündigung muslimischer Frauen
gleich.
Andererseits gibt es real existierende Probleme in
Bezug auf das Geschlechterverhältnis unter Muslimen, die man nicht
wegdiskutieren kann. Dabei sollte jedoch zwischen dem Islamverständnis, der
Tradition und der Kultur in muslimisch geprägten Ländern differenziert werden.
Es gibt nach wie vor Traditionen aus vorislamischer Zeit, die alles andere als
islamisch sind. Dazu zählt bspw. die abscheuliche Praxis der Beschneidung der
Frau. Oder nehmen wir das Tragen einer Burka. Die überwiegende Mehrheit der
islamischen Gelehrten weltweit, betrachtet diese Art der Kleidung als nicht
bindend, wohingegen einige wenige Gelehrte dafür plädieren.
Um für solche Themen unter Muslimen zu sensibilisieren
und aufzuklären ist wiederum der Bildungsgrad entscheidend. Und da wären wir
wieder beim Beginn unseres Interviews.
Malala Yousafzai, eine pakistanischstämmige Muslima
hat sich hierfür wie keine zweite eingesetzt und  ist die mit Abstand jüngste Preisträgerin in
der Geschichte des Nobelpreises.
Was haben Sie mit Ihren Artikeln und Schriften schon
erreicht und was möchten Sie bewegen?
Gerade jetzt, wo wir im sogenannten postfaktischen
Zeitalter leben, sollten sich Sozialwissenschaftler nicht in den Elfenbeinturm
zurückziehen, sondern ihre Erkenntnisse mit einer möglichst breiten
Öffentlichkeit teilen. Das mache ich bspw. in dem ich auf Facebook blogge, auf
unterschiedlichen Portalen meine Beiträge veröffentliche und zu den Themen
Integration und Medien im weitesten Sinne referiere. Dadurch hoffe ich einen
kleinen Beitrag zur Meinungsbildung- und vor allem für ein besseres Miteinander
in einer pluralistischen Gesellschaft zu leisten. Gelegentlich schreiben mir
einige Leser und bedanken sich für meinen Input. Das macht mir natürlich
Hoffnung, dass meine Worte bei dem einen oder anderen eine gewisse Wirkung
entfalten.