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Friede auf Erden – mit mehr Frauen in der Politik

Von Jürg
Müller-Muralt, Infosperber, 25. Dezember 2016. Es läuft einiges schief in der
Welt – schon immer. Hätten wir mit massiv mehr Frauen in der Politik eine
friedlichere Welt?
© Wikimedia Commons/Casa Rosada/CC BY 2.5
Gruppenbild fast ohne Damen: Staats- und Regierungschefs am G20-Gipfel 2016
«Zum
Schutz der Jugend und der Schwachen: Frauenwahlrecht Ja»: Mit diesem Slogan
wurde um 1920 in der Schweiz bei kantonalen Volksabstimmungen für das Frauenstimmrecht
geworben. Das Plakat zeigt eine Frau, die schützend ihren Arm über ein Kind
hält und gleichzeitig einen Wahlzettel in die Urne wirft. Die Botschaft ist
klar: Die Frau bleibt ihrer Mutterrolle treu, selbst wenn sie sich politisch
betätigt. Und noch etwas: Man sollte den Frauen das Stimmrecht geben, weil sie
sich um die Jugend und die Schwachen kümmern, weil sie also gewissermassen das
emotionale Management der Familie – und darüber hinaus der ganzen Nation –
sicherstellen. «Diese Argumente sollten Ende der 1960er Jahre wiederkehren und
konservative Männer zum Frauenstimmrecht bekehren, weil sie angesichts der
zunehmend schroffen Konflikthaftigkeit der Gesellschaft auf weibliche Harmonie
setzten, um sich im aus den Fugen geratenen ‘Schweizerhaus’ wieder wohlfühlen
zu können», wie der Historiker Jakob Tanner schreibt («Geschichte der Schweiz
im 20. Jahrhundert», 2015).
Ausgeblendet
wurde mit diesen Argumenten, dass die weibliche Hälfte der Gesellschaft nicht
aus irgendwelchen inhaltlichen Erwägungen oder vermeintlich
biologisch-psychologischen Prädispositionen die politische Gleichberechtigung
verdient, sondern schlicht und einfach deshalb, weil allen Menschen die Grund-
und Menschenrechte zustehen. Frauen müssen also nicht «besser» politisieren als
Männer, um sich und ihre jeweilige politische Haltung zu legitimieren. Sie sind
aufgrund ihres Menschseins legitimiert.
Knapp
20 Frauen lenken Staaten
Dass
Frauen aber tatsächlich häufig mit anderen Sensibilitäten politisieren und
nicht selten andere Schwerpunkte setzen als ihre männlichen Kollegen, ist
längst dokumentiert. Wäre also die Welt friedlicher, wenn deutlich mehr Frauen
ganz oben an den politischen Schalthebeln sässen, an der Staats- und
Regierungsspitze, oder als Aussenministerinnen etwa? Empirisch kann man die
Frage nicht beantworten, weil Frauen in diesen Funktionen nach wie vor
hoffnungslos in der Minderheit sind. Gemäss einer Statistik von UN Women,
dem Organ der Vereinten Nationen für Geschlechtergleichheit (United Nations
Entity für Gender Equality and the Empowerment of Women) vom September 2016
sind bloss zehn Frauen Staatschefinnen und neun Regierungschefinnen. Lediglich
17 Prozent der Regierungsmitglieder weltweit sind Frauen. Die meisten von ihnen
stehen zudem an der Spitze von sozialpolitischen Ministerien wie Familie,
Erziehung und Bildung.
Bessere
Resultate dank Frauen
UN
Women verfügt zwar noch über keine globalen Zahlen zur Vertretung von Frauen in
lokalen Regierungen. Beispiele zeigen jedoch, dass von Frauen geführte Behörden
andere Resultate zeitigen als jene von Männern. Frauendominierte
Lokalverwaltungen in Indien haben 62 Prozent mehr Trinkwasserprojekte
aufgegleist als von Männern geführte. Ähnliches lässt sich auch für Norwegen
nachweisen: Mehr Frauen in den entscheidenden lokalen Gremien heisst mehr
Kinderbetreuungsstätten. UN Women kommt jedenfalls zum Schluss: Es ist evident,
dass weibliche Führung die politischen Entscheidungsprozesse verbessert. Frauen
bewiesen immer wieder, dass sie viel leichter über Parteigrenzen hinweg
zusammenarbeiten könnten.
Zu
ähnlichen Schlüssen kommen Studien, auf welche die amerikanische Zeitschrift «The Atlantic» während
des US-Präsidentschaft-Wahlkampfs aufmerksam machte. Und die deutsche Ausgabe
der «Huffington Post» schreibt euphorisch: «Die Forschung ist eindeutig: Frauen
in Machtpositionen verändern, wie Politik gemacht wird. Und sie machen in
Teilen sogar besser und bessere Politik. Wir haben die spannendsten
Studien zusammengetragen».
Auch
Frauen ziehen in den Krieg
«The
Atlantic» zitiert dann aber wiederum auch Studien, welche eher zu gegenteiligen
Schlüssen kommen. Eine vergleichende Studie zur Politik regierender Fürstinnen,
Königinnen und Könige in Europa zwischen 1480 und 1913 zeige, dass
Herrscherinnen etwas häufiger offensive Kriege führten als ihre männlichen
Kollegen. Dieser Befund lässt sich allerdings wegen der völlig
unterschiedlichen politischen Strukturen schlecht auf andere Zeiten übertragen:
Die politische Macht lag damals in den Händen adliger Familien und Dynastien,
und regierende Fürstinnen waren Teil dieser Dynastien. Aber auch in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts haben demokratisch gewählte Regierungschefinnen
Kriege geführt: Indira Gandhi (Indien), Golda Meir (Israel), Margaret Thatcher
(Grossbritannien), Chandrika Kumaratunga (Sri Lanka).
Das
brachliegende Potenzial
Angesichts
dieser unterschiedlichen Befunde ist für die Politologie-Professorin Farida
Jalalzai klar: Es gibt ausser Spekulationen keine Antwort auf die Frage, ob die
Welt wirklich anders aussähe, wenn deutlich mehr Frauen ganz oben das Sagen
hätten. Jalalzai hat sich intensiv mit Frauen in politischen Führungsfunktionen
beschäftigt und erklärte gegenüber «Atlantic», es habe bisher schlicht zu wenig
Staats- und Regierungschefinnen gegeben, um belastbare Aussagen machen zu
können.
«The
Atlantic» listet weitere Untersuchungen auf, die andere Ansätze wählen. So sei
der beste Indikator für die Friedfertigkeit eines Staates die Art und Weise,
wie er die Frauen behandle. Eine andere Studie zeigt, dass Friedensschlüsse
meist nur dann nachhaltig seien, wenn Frauen stark einbezogen würden, vor allem
auch bei Entscheiden. Ganz einfach deshalb, weil Frauen viel stärker auf Dialog
und auf Einbezug aller setzten. Frauen hätten einen ganzheitlichen, umfassenden
Friedensbegriff; langfristige gesellschaftliche Bedürfnisse seien ihnen
wichtiger als kurzfristige, eng gefasste sicherheitspolitische Aspekte.
Man
mag nun einwenden, dass bei diesen Studien einiges pauschalisierend daherkommt,
vieles auch nicht ganz neu ist und Frauen wohl nicht einfach die «bessere
Hälfte» der Menschheit verkörpern. Doch erinnern viele dieser Untersuchungen
daran, dass mit der massiven Untervertretung der Frauen in praktisch allen
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor ein
enormes Potenzial brachliegt, das nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein
ungenutztes qualitatives Reservoir darstellt.