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MITTE-STUDIE Gespalten zwischen Rechtspopulismus und Hilfsbereitschaft

Von Corinna Buschow, MiGAZIN, 22. November 2016. Mehr als jeder Vierte
teilt Einstellungen der Neuen Rechten. Gleichzeitig steht mehr als die Hälfte
hinter der Entscheidung für die Aufnahme von Flüchtlingen. Eine neue Studie
beweist: Deutschlands Gesellschaft ist zunehmend gespalten.
Menschen © János Balázs @ flickr.com (CC 2.0),
bearb. MiG

Mehr als die Hälfte der Deutschen
(56 Prozent) sind für die Aufnahme von Flüchtlingen. Gleichzeitig findet ein
gutes Drittel (35), es werde mehr für sie getan als für bedürftige Deutsche. 38
Prozent wollen eine Obergrenze für Flüchtlinge, 21 Prozent lehnen sie strikt
ab. 40 Prozent sehen die Demokratie gefährdet, 50 Prozent den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Daten der neuen Mitte-Studieim Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung
zeigen auf den ersten Blick eine zerrissene Gesellschaft. „Gespaltene Mitte –
Feindselige Zustände“ ist das am Montag in Berlin veröffentlichte Buch
überschrieben. Die Studie belegt die vielfach bereits diskutierte Polarisierung
und auch Radikalisierung, resümiert der Konfliktforscher und Studienautor
Andreas Zick.
Seit 2006 veröffentlicht die SPD-nahe Stiftung die Studien, die
herausfinden sollen, wie weit rechtsextreme und rechtspopulistische
Einstellungen sowie gruppenbezogene Abwertungen etwa gegen Ausländer,
Arbeitslose und Behinderte verbreitet sind. Für die aktuelle Untersuchung
wurden zwischen Anfang Juni und August dieses Jahres 1.896 repräsentativ
ausgewählte Personen ab 16 Jahren befragt.
Anteil rechtsextremer stabil
Im Ergebnis zeigt sich in der aktuellen Erhebung gegenüber 2014, dass der
Anteil rechtsextremer – also eindeutig menschen- und demokratiefeindlicher –
Ansichten stabil bei rund 2,8 Prozent der Deutschen verankert ist. Im Osten
neigen fast doppelt so viele Menschen (5,9 Prozent) zu rechtsextremen Einstellungen.
Mit 20 Prozent stabil geblieben ist im Vergleich zu 2014 auch die Zustimmung zu
rechtspopulistischen Aussagen, die geprägt sind von Abgrenzung, einfachen
Antworten und Demokratiemisstrauen: 20 Prozent der Deutschen sympathisieren
laut Studie mit solchen Ansichten.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“
(Montagsausgabe) eine Studie des britischen Instituts YouGov: Sie macht eine
Zustimmung von 18 Prozent für rechtspopulistische Einstellungen in Deutschland
aus, womit die Bundesrepublik den Angaben zufolge weit weniger anfällig dafür
ist als andere europäische Länder. In Polen teilen demnach 78 Prozent
rechtspopulistische Einstellungen, in Frankreich 63 und in den Niederlanden 55
Prozent.
Demokratische gesinnte Mehrheit
Auf den zweiten Blick zeigt die Mitte-Studie denn auch eine demokratische
gesinnte Mehrheit, wie Mitautorin Beate Küpper erläutert. Nur 20 Prozent finden
die Aufnahme von Flüchtlingen nicht gut. Angesichts der Präsenz von „Pegida“
auch überraschend: Nur sieben Prozent würden „sehr“ oder „eher“ wahrscheinlich
an einer Demonstration gegen Zuwanderung teilnehmen, 71 Prozent schließen das
für sich aus. „Wir sollten der lauten Minderheit der Fremdenfeinde in den
gesellschaftlichen Debatten nicht so viel Raum geben“, sagte Küpper.
Sie widmete sich in der Studie erstmals dem Phänomen der sogenannten Neuen
Rechten, die Schnittmengen hat mit der „Identitären Bewegung“, aber auch mit
der AfD. Ihr Ergebnis: 28 Prozent der Deutschen teilen Auffassungen der neuen
Rechten. Zu deren Einstellungsmuster gehört der Studie zufolge die Angst vor
einer vermeintlichen Unterwanderung durch den Islam, die Annahme eines
„Meinungsdiktats“, die Forderung nach einer nationalen Rückbesinnung gegen die
EU, die Beschimpfung des „Establishments“ und die Aufforderung zum „Widerstand“
gegen die aktuelle Politik.
Rechtsextremismus bei AfD weit
verbreitet
Besonders verbreitet sind diese Einstellungen der Umfrage zufolge unter
AfD-Wählern. 84 Prozent von ihnen teilen „neurechte“ Einstellungen. Weit mehr
verbreitet als im Bevölkerungsdurchschnitt sind hier zudem auch rechtsextreme
Positionen oder Abwertungen bestimmter Gruppen, nicht nur von Ausländern,
sondern auch beispielsweise von Arbeitslosen.

Studien-Mitautor Andreas
Hövermann beobachtet dabei einen deutlichen Rechtsruck parallel zur Entwicklung
von der Anti-Euro- zur zuwanderungskritischen Partei. Die potenziellen Wähler
heute hätten extremere Einstellungen als 2014, sagte er. Werteten 2014 etwa
rund 57 Prozent von ihnen Asylsuchende ab, sind es aktuell 74 Prozent. Die
Ablehnung gegenüber Muslimen ist von 30 auf 43,5 Prozent gestiegen – im
Bevölkerungsdurchschnitt sind es 18 Prozent. (epd/mig)