General

Yong Kim: Als Weltbankpräsident wiedergewählt
Politik und Macht vor Leistung und Qualifikation

Von Fabian Urech, Infosperber,
02. Okt 2016.
Ein Relikt
des Kalten Kriegs: Bei der Wiederwahl des Weltbank-Präsidenten waren nicht
Qualifikation wichtig, sondern US-Interessen.
Red. Der Journalist Fabian Urech ist Policy Advisor für Entwicklungspolitik
bei der Hilfsorganisation Swissaid.
Seit Jahrzehnten fordert die Weltbank in Entwicklungsländern Transparenz,
gute Regierungsführung, Diversität und Chancengleichheit. Doch bei der
Besetzung des eigenen Chefpostens spielten diese hehren Grundsätze keine Rolle.
Am 27. September wurde der US-Amerikaner Jim Yong Kim als
Weltbank-Präsident für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren wiedergewählt. Er
setzt damit eine Tradition fort, die wie ein Relikt des Kalten Krieges wirkt.
Seit die weltgrösste Entwicklungsorganisation 1944 gegründet wurde, scheinen
zwei Qualifikationen unstrittige Voraussetzung zu sein für die Belegung des
einflussreichen Bank-Spitzenpostens: Alle zwölf bisherigen Weltbank-Präsidenten
besassen den amerikanischen Pass – und alle waren Männer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die USA rund drei Viertel des
Weltbank-Budgets stemmten, war die amerikanische Führung noch erklärbar.
Inzwischen aber ist die Bank längst zur global operierenden Organisation
geworden. Sie zählt 189 Mitgliedsstaaten, hat Büros in 120 Ländern und ein
60-Milliarden-Dollar-Budget, zu dem die USA weniger als 20 Prozent beisteuern.
Das amerikanische Abonnement auf die Weltbank-Spitze geriet seit den
90er-Jahren denn auch zunehmend in die Kritik, insbesondere in Entwicklungs-
und Schwellenländern. 2011 wurden schliesslich neue Regeln zur
leistungsbezogenen, offenen und transparenten Besetzung des Postens erlassen.
Tatsächlich kandidierten ein Jahr später nebst Kim auch eine Nigerianerin sowie
ein Kolumbianer fürs wichtigste Amt der Entwicklungsbranche – vorerst ohne
Erfolg.
Diese Entwicklung versprach jedoch einen spannenden Wahlkampf für 2017,
wenn Kims erste Amtszeit endet. Dies galt umso mehr, weil die bisherige
Leistung des Sohnes südkoreanischer Einwanderer höchst umstritten war und er
intern äusserst unbeliebt ist. Erst im August machte die Weltbank-Belegschaft
mit einer unüblichen Massnahme gegen die Wiederwahl ihres Chefs mobil. In einem
offenen Brief sprachen die Mitarbeitenden von einer «Führungskrise» und wiesen
auf die interne Unzufriedenheit, die mangelnde Transparenz bei der Besetzung
des Chefpostens und die Dominanz der USA hin. Ihr Chef würde nicht anhand der
üblichen Leistungskriterien gewählt, sondern in undurchsichtigen politischen Hinterzimmer-Deals
bestimmt. «Die Welt hat sich verändert, auch wir müssen uns ändern. Sonst
besteht das reale Risiko, auf internationaler Bühne ein Anachronismus zu
werden.»
Bewirkt hat diese Kritik freilich nichts. Bis zur offiziellen Frist Mitte
September hatten sich keine Gegenkandidaten gemeldet. Dabei sind sich viele
Experten einig, dass der Gesundheitsspezialist und ehemalige Universitätsrektor
bei einer offenen Ausschreibung kaum Chancen auf eine Wiederwahl hätte. «Sein
Leistungsausweis würde hierfür nicht ausreichen», meint etwa Paul Cadario, ein
langjähriger Kadermitarbeiter der Bank.
Dass Kim trotz interner Unzufriedenheit, fraglichem Leistungsausweis und
Führungsschwäche weitermachen darf, ist ein rein politischer Entscheid. Obwohl
die Weltbank in den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat, bleibt sie die
mächtigste Entwicklungsorganisation der Welt. Ihr Budget ist gleich gross wie
der gesamte Schweizer Bundeshaushalt – oder wie die 20 kleinsten
Volkswirtschaften Afrikas zusammen. In Entwicklungsländern ist die Bank noch
immer eine wichtige Investorin und eine einflussreiche Stimme. Die USA werden
ihren Führungsposten deshalb nicht kampflos aufgeben.
Politik und Macht vor Leistung und Qualifikation: Dieses Schema lässt sich
auch am Timing der Wiederwahl des Weltbank-Präsidenten erkennen. Obwohl Kims
Amtszeit erst Mitte 2017 endet, wollte der Exekutivrat die Personalie noch vor
der Weltbank-Jahrestagung Anfang Oktober 2016 regeln. Grund für das hastige
Vorgehen sind die Wahlen in den USA im November. Kim wurde von Obama berufen
(und ist sein regelmässiger Golfpartner); mit einer vorzeitigen Wiederwahl
können die Demokraten vermeiden, dass die Wahl in die Hände einer möglichen
Trump-Regierung fällt.
Dass sich die Europäer nicht gegen solche Machtspiele der USA auflehnen,
hat einen einfachen Grund: Während die USA traditionellerweise den
Weltbank-Spitzenposten belegen, stellen die Europäer der informellen Regelung
zufolge seit jeher den Chef oder die Chefin des Internationalen Währungsfonds.
Dass jedoch auch die gewichtigen Schwellenländer China, Indien oder
Brasilien keinen Gegenkandidaten stellen, hat mit einem gewissen Desinteresse
zu tun. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) haben
2014 – auch infolge ihres geringen Einflusses in der Weltbank – die «New
Development Bank» gegründet, China hat unlängst die «Asian Infrastructure Investment
Bank
» etabliert. Damit verfügen diese Länder nun über Institutionen,
mit denen sie Entwicklungsprogramme nach eigenen Regeln aufgleisen können.
Für die ärmsten Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern, deren Wohl an
sich im Zentrum der Entwicklungsbanken stünde, sind dies keine guten
Neuigkeiten. Die zunehmende Politisierung und Fragmentierung der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit dürfte ihnen kaum zugutekommen. Wenn
Entwicklungsbanken als geopolitische Vehikel missbraucht werden und die
kurzfristigen Machtinteressen der Geberstaaten über dem Wohl der
Empfängerländer stehen, werden Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit ad
absurdum geführt.