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Die USA fälschten Al-Qaida-Videos im Irak


Infosperber, 9. Okt 2016 – Ein Angestellter eines Subunternehmens enthüllt:
die USA produzierten falsche Terroristen-Videos im Namen der Demokratie. Martin
Wells, ehemaliger Angestellter der britischen Firma Bell Pottinger, fälschte
Al-Qaida-Videos. Dass vor und im Irakkrieg die Wahrheit nicht nur verbogen,
sondern seitens der USA teils unverfroren gelogen wurde, ist heute bekannt.
Infosperber fasste Anfang September zusammen, wie das Pentagon die Medien an der Nase
herumgeführt
 hat.
Anfang
Oktober enthüllte das «Bureau of Investigative Journalism» (TBIJ) zusammen mit der «Sunday Times»,
wie weit die Propaganda der USA ging: Im Auftrag des Pentagons und der
US-Sicherheitsdienste produzierte die britische PR-Firma Bell Pottinger Nachrichten
für arabischsprachige Sender sowie gefälschte Al-Qaida-Propaganda.

Auf
dem Weg ins Chaos
Das
TBIJ stützt sich dabei auf Aussagen eines ehemaligen Angestellten von Bell
Pottinger sowie auf eigene Recherchen. Martin Wells, freischaffender
Videoreporter und von 2006 bis 2008 im Einsatz bei Bell Pottinger, wurde von
dem PR-Unternehmen angestellt, um «Sachen aus dem mittleren Osten zu machen».
Wells
hatte nach eigenen Angaben keine Ahnung, worauf er sich einliess, als er 2006
über eine Agentur die Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt. Ein Gespräch,
erfuhr er dort, erübrige sich eigentlich, die US-Sicherheit hätte ihn längst
durchleuchtet.
48
Stunden nach dem 20-minütigen Gespräch flog Wells nach Bagdad. Sein Ziel,
erfuhr er, war «Camp Victory», eine Hochsicherheitseinrichtung des US-Militärs.
Er landete in einer Stadt im Chaos. Nach seiner Ankunft im Mai 2006 gab es in
der Stadt fünf Selbstmordanschläge – einschliesslich einer Autobombe in der
Nähe von «Camp Victory», bei denen 14 Personen ums Leben kamen.
«White
Ops» und «Grey Ops»
Wells
Aufgabe für die nächsten Monate lautete offiziell, das Programm «Förderung
demokratischer Wahlen» zu unterstützen – ein riesiges Projekt mit zeitweise bis
zu 300 britischen und irakischen Angestellten, das sich die USA im Jahr
durchschnittlich 100 Millionen Dollar kosten liessen, schreibt TBIJ.
Dem
Video-Editor wurde schnell klar, dass sich seine Aufgabe nicht darauf
beschränken würde, Nachrichten zu editieren. Er beschreibt mehrere Produkte,
die er für das Pentagon hergestellt habe: Fernsehwerbung beispielsweise, die
Al-Qaida in den Schmutz zog, oder Nachrichten, die den Eindruck erwecken
sollten, sie seien «vom Arabischen Fernsehen gemacht» worden und diesem zur
Verfügung gestellt wurden.
«Die
Agentur schickte Teams, die Bombenangriffe filmten und sie wie eine Nachricht
editierten», sagt Wells zu den News-Aktivitäten. «Der US-amerikanische Ursprung
sollte dabei verborgen bleiben». Ob die Sender je erfuhren, aus welcher Quelle
die Videos kamen, weiss er nicht. Ein anderer Subunternehmer, mit dem TBIJ
gesprochen hat, nennt das «graue» Medienarbeit. Dabei werde der Hersteller
nicht genannt. Im Gegensatz zur «weissen Medienarbeit, bei der bekannt ist, wer
sie hergestellt hat.
«Black
Ops»: falsche Terroristen-Videos
Zu
Wells Aufgaben gehörte es, Skripte für Seifenopern zu schreiben, in denen sich
ein Protagonist gegen den Terrorismus wendet, sowie gefälschte Al-Qaida
Propagandavideos herzustellen. «Schwarze» Medienarbeit («black ops») nannten
das die US-Militärs.
Der Videofachmann
erhielt detaillierte Instruktionen, wie diese Videos zu machen seien, wie lang
sie sein sollten, welches Encoding und welches File-Format sie haben müssten.
US-Soldaten nahmen die vorher codierten Video-CDs mit auf Patrouille und
liessen sie «im Chaos fallen, wenn sie Ziele stürmten», schreibt TBIJ. «Wenn
sie ein Haus durchsuchten, und sie wussten, sie werden dabei ohnehin Unordnung
hinterlassen, liessen sie einfach eine CD dort», präzisiert Wells.
Die
Anweisungen kamen von ganz oben
Der
Code dieser CDs verband den Computer beim Abspielen über den «Real Player» mit
Google Analytics und übermittelte die IP-Adresse des Computers oder Laptops.
Wenn jemand die CDs abspielte, wurde dessen Aufenthaltsort übermittelt. «Manche
[CDs] tauchten an interessanten Orten wieder auf», erinnert sich Wells, im Iran
zum Beispiel, in Syrien, sogar in den USA. Eine interessante Information für
die Geheimdienste.
Martin
Wells im Interview mit dem Bureau of investigative Journalism. (direkter Link)
Seine
Vorgesetzten hätten die Videos direkt zum Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte
im Irak, David Petraeus, übermittelt, gelegentlich sogar zum Weissen Haus,
sagte Wells.
Rückblickend
sieht der Videoreporter seine Rolle ambivalent. «Irgendwann fragte ich mich, ob
ich das Richtige tat», sagt er. Das Ziel von Bell Pottinger sei es gewesen, die
sinnlose Gewalt von Al-Qaida zu beleuchten. Niemand werde jemals wirklich
wissen, ob das Programm erfolgreich gewesen sei. «Wenn es damals aber nur ein
Menschenleben gerettet hat, war es eine gute Sache», sagt er.
Für
die rechtlich zweifelhaften Operationen Drittfirmen beauftragt
Gemäss
Nachforschungen des TBIJ waren zwischen 2006 und 2008 mehr als 40 Firmen damit
beauftragt, TV- und Radioinhalte zu platzieren und Umfragen durchzuführen.
Darunter auch solche aus den USA. Die britische Bell Pottinger hielt jedoch den
bei weitem grössten Auftrag. Nach Nachforschungen von TBIJ erhielt das
Unternehmen zwischen Mai 2007 und Dezember 2011 mehr als eine halbe Millarde
Dollar.
Den
US-Streitkräften fehlte es nicht nur an detailliertem Fachwissen über den
News-Betrieb, dazu kam auch der eigene rechtliche Status. Nach
US-amerikanischen Gesetzen ist der Einsatz von frei erfundener Propaganda
verboten. Das ist offensichtlich der Grund, warum die US-Regierung ausländische
Subunternehmer damit beauftragte. Bell Pottinger operierte dabei in einer
rechtlichen Grauzone.
So
lukrativ ist Demokratie
Der
Mitgründer und ehemalige Vorstand des Unternehmens, Lord Tim Bell, hat
bestätigt, dass Bell Pottinger an «verschiedenen verdeckten militärischen
Operationen» im Auftrag des Pentagon, der CIA und des nationalen
Sicherheitsrats der USA mitgewirkt hat.
Bell
ist einer der erfolgreichsten britischen PR-Leute. Ihm wird zugeschrieben,
Magret Thatchers «eisernes» Profil auf Hochglanz poliert und der konservativen
Partei dreimal zum Wahlsieg verholfen zu haben. Die von ihm mitgegründete
Agentur Bell Pottinger hat zahlreiche namhafte Kunden in ihrer Kartei, darunter
einige repressive Regimes und die Ehefrau von Baschar al Assad.