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Bärbel M. Drechsler: Kinderliteratur für den interkulturellen und interreligiösen Dialog


von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit der Kinderbuchautorin Bärbel M. Drechsler über verschiedene Themen, u.a. auch rund um den interreligiösen Dialog und die Bedeutung von Geschichten für den Aufbau einer besseren Welt. Möchte mich herzlichst bei Bärbel für ihre ausführlichen und herausfordernden Antworten bedanken.
Warum ist Kinderliteratur so
wichtig?
Die erste Prägung findet im Kindesalter statt, vom ersten Tag der Geburt
an. Wie der junge Mensch wird, das liegt an jedem von uns, den Eltern, den
Lehrern, das, was ihn umgibt, Von großer Bedeutung ist die  Sprachbildung. Dazu
gehört die Literatur, Musik, Kunst. 
Gerade das Vorlesen oder das Singen von Liedern, das einfache Malen,
das sind alles wichtige Dinge, die die Seele, den Charakter mitformen.
Sie identifizieren sich mit den
handelnden Personen, sie trösten mit, leiden mit, ermutigen den Schwachen. Sie
lernen von ihnen, dass Hilfe geben und annehmen, dass kameradschaftliches
Miteinander, ohne auf das Äußere zu achten, ungemein wichtig ist. Sie lernen
fremde Welten kennen, sie zu respektieren und darauf neugierig zu sein. Sie
sind noch offen für alle Richtungen, denn sie können auch eine handelnde Person
in einer Geschichte, die andere drangsaliert, als Vorbild nehmen. 
Es kommt darauf an, wie die Geschichte erzählt und  welcher Charakterzug
hervorgehoben wird. 
Wie kann man Kinder zur interkulturellen und interreligiösen Kommunikation
erziehen?
Kommunikation ist eine grundlegende Notwendigkeit des Austausches von
Informationen, umfasst alle Fähigkeiten sich mitzuteilen und die Mitteilung
auch zu verstehen. Selbst wenn das Kind noch nicht sprechen kann, so hat es
dennoch die Fähigkeiten, durch Gesten, durch Nachplappern oder auch nur durch
aufmerksames Zuhören sich mitzuteilen.  Es ahmt Verhalten nach: etwas
wegnehmen oder miteinander teilen.
Im Mittelpunkt soll immer die
Gemeinsamkeit stehen, wenn möglich in einem Kindergarten, später Schule,
zumindest die Familie: gemeinsam spielen, essen, in der Schule lernen, also in
Kontakt mit anderen stehen. 
Dabei lernen sie Gleichheit
(oder Ungleichheit), Anerkennung, Akzeptanz eines anderen Aussehens, Akzeptanz,
dass andere Kinder andere Speisen bevorzugen, andere Feste feiern. Wichtig
ist dabei, dass sie diese anderen Feste, Bräuche auch  kennenlernen, sonst
kann man sie nicht akzeptieren. Ein gemeinsames, für einige ein unbekanntes
 Spiel kann zum Zusammenhalt, zum Respekt des anderen Kindes oder des
Andersseins führen. 
Ich habe ein Buch: “Der
kleine Hassan” geschrieben. in einer Geschichte wird dem  muslimischen Jungen das Wort ‘Sadaqa’ erklärt.
Eine gute Tat ist Sadaqa. Es kann eine Hilfe bei den Hausaufgaben sein, seine
Bonbons teilen, auch ein freundliches Lächeln oder Grüßen kann Sadaqa
sein. 
Liest man diese Geschichte in einer Kita vor, in denen Kinder
unterschiedlicher  Hautfarbe oder
Religion sind, könnte ein kleiner Christ vielleicht sagen: „Meine Mama sagt
auch immer, ich soll meine Bonbons mit anderen Kindern teilen.“  Sie lernen voneinander, steigen in ihrer
Achtung: Guck man an, der macht es auch so wie ich! Oder : Das finde ich prima,
so möchte ich auch sein. 

Erzählen Sie
von Ihren Büchern.
Meine Bücher richten sich teils an Kinder der ersten Schuljahre und
an ältere Kinder bzw. an Jugendliche. Diese sind abenteuerlich  und oft phantastisch geschrieben oder
berichten aus der islamischen Geschichte. Ich halte es für sehr wichtig, den
Kindern die islamische Geschichte nahe zu bringen. Ich habe festgestellt, dass
selbst Erwachsene ihre eigene Geschichte, die Geschichte des Islams kaum
kennen. Sie können daher auch kaum ihren Kindern davon berichten. Auch wenn ich
islamisches Wissen weitergeben will, die darzustellenden Kinder stehen im
Mittelpunkt, sonst ist es für Kinder uninteressant. Außerdem gibt es darüber
wohl sehr wenig Literatur für Kinder. Diese Lücke will ich mit meinen Büchern
schließen.  Aber es ist sehr schwer,
Verlage zu finden, die sie auch ohne Bezahlung vonseiten des Autors drucken. Es
warten noch eine Reihe von Manuskripten auf ihren Druck.
Das Buch “ Das
Tagebuch aus Granada“ erzählt von der Zeit vor 500 Jahren, nachdem in
Andalusien die christlichen Könige die letzte Bastion der Muslime erobert
hatten. Bisher habe ich über die 
Geschehnisse dieser Zeit keine weitere Literatur gefunden, die sich
speziell an Kinder richtet.
Genauso berichte ich in meinem Buch „Unter den Hörnern von Hattin“
über den Kampf von Saladin gegen das christliche Heer, dem später genannten
Kreuzritterheer. Das ist Geschichte in abenteuerlicher Form.

Für die kleineren Kinder versuche ich ihren
islamischen Alltag nahe zu bringen. Viele junge Eltern können nicht richtig
erklären, warum sie kein Weihnachten feiern, oder was das Besondere der Hadsch ist.
Wer war Muhammad, wo ist Gott?

Hassan hat einen Freund. Peter ist kein Muslim. Aber beide lernen
voneinander, helfen sich gegenseitig, sind eben dicke Freunde. Zur Zeit wird
die Fortsetzung durch einen weiteren islamischen Verlag vorbereitet.
Ich habe eine
Propheten-Reihe begonnen. Leider ist nur die Geschichte von Yusuf gedruckt
worden. Andere warten darauf. Der Verlag hat pleite gemacht. Ein Mädchen und
sein Großvater sind hier die Hauptpersonen. Ich versuche die Berichte  über die jeweiligen Propheten aus dem Koran
und dem Alten Testament und  was die
Wissenschaft darüber aussagt zu verbinden.
Ein vor Kurzem gedrucktes
Buch „Geschichten über  Tiere im Koran“ berichtet
mithilfe der Tiere, über Begebenheiten aus dem Leben des Propheten Muhammad,
aus dem Koran oder nur einfache Geschichten. Da ist die Biene, von der im Koran
steht: Baue dir Häuser in den Bergen und auf Bäumen…
Oder vom Wiedehopf und Salamon und der Königin aus Saba….
Oder über die  Spinne,  die mit ihrem Netz, welches sie vor der Höhle
webt, in der sich der Prophet Muhammad und sein Freund verstecken, das Leben
beider Menschen schützt. Die kleine Spinne schützt einen großen, starken Propheten.
Sicher wird der kleine Leser jetzt die Spinne mit anderen Augen betrachten.
Es sind kleine Geschichten zum Lesen oder auch  zum Vorlesen , die über den Propheten
Muhammad oder etwas aus dem Koran berichten, wie die Geschichte von Salomon.
Es gibt ein
Manuskript, das ich zur Zeit verschiedenen Verlagen anbiete: „Die Dschinn und
das magische Buch“.
Ich möchte mit ihm den Mythos über die Dschinn brechen und sie ins
richtige Licht setzen. Es gibt im Koran einige Verse über sie, die ich umsetzen
wollte, natürlich auf phantastischer Art. Ich gehe davon aus, dass die Dschinn
Lebewesen wie die Menschen sind und dadurch ebenfalls eine Kultur besitzen, die
wir natürlich nicht erkennen können.
Es gibt nur ein Problem: schon nach kurzer Zeit habe ich Antworten
erhalten: ab 10 000€ aufwärts Kostenbeitrag. Nur ein Verlag hat sich überhaupt mit
einigen Sätzen positiv über das Manuskript geäußert. Natürlich habe ich nicht
so viel Geld. Ich weiß immer noch nicht so recht: Braucht der Verlag wirklich
das Geld oder…

Welche sind die wichtigsten sozio-politische Aufgaben der Literatur?
Das ist für mich nicht so einfach zu erklären. Ich habe mir bisher
wenig Gedanken darüber gemacht. Ich schreibe noch nicht lange. Früher habe ich
zwar ebenfalls viel gelesen, aber es war der reinste Horror in der Schule,
einen Aufsatz zu schreiben, geschweige Gedichte zu verfassen. Heute komme ich
ohne Schreiben kaum mehr aus.

Ich gehe einfach mal
vom Grundgesetz aus. Es formuliert: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Große Worte! Genauso haben die religiösen Wertestellungen meiner Meinung nach
ihre Basis: Gott hat dem Menschen eine unantastbare Würde verliehen. Und der
Islam sieht den Menschen als Statthalter Gottes auf Erden.

Für mich stecken da die Grundnormen drin: Eigenverantwortlichkeit,
Solidarität, Gerechtigkeit.
Jede Gesellschaft besitzt ihre eigene Kultur mit Verhaltensregeln und
Werten, die sich in einer Umwelt realisiert und auch in Literatur, Musik, Kunst
und Wissenschaft einfließt.
Literatur wird vom Menschen für den Menschen gemacht. Da ist
zuerst der Verfasser von Literatur, dann der Konsument und schließlich sind
beide einer Gesellschaft zugehörig. Manchmal vergisst man das.
Literatur bei Kindern beinhaltet
ihre Lesegewohnheiten: was lesen sie, wie viel Zeit verbringen sie mit dem
Lesen, wie ist die Qualität ihrer Bücher, welche Arten von Büchern lesen sie.
Mein Arbeitsleben lang war ich Lehrerin und Erzieherin in einer
Grundschule, habe mit ihnen gelesen, bin mit ihnen  zur Bibliothek gegangen, habe leseschwachen
Kindern Mut zum Lesen gemacht. Wir haben zusammen Theater gespielt, also mit
dem gesprochenen Wort und dem Herausarbeiten der Charaktere gearbeitet.  Damals gab es wenig Konkurrenz zum Buch.
Heute frage ich mich: Wie steht die Gesellschaft zum lesenden
Kind.
Mir scheint, die
Lesegewohnheiten haben sich geändert, die Zeit für das Lesen hat sich
verringert. Jetzt stehen Videospiele an erster Stelle und Fernsehen folgt. Auch
das Einkommen der Eltern zählt dazu. Familien mit weniger Einkommen können sich
nicht so viele Bücher leisten. Oft begnügen sie sich mit Comic-Heften und mit
weniger Text. Ihre Lesequalität lässt dadurch nach. Es erschließt sich ihnen
nicht nur kaum die Welt der Literatur, sondern auch alle anderen Schulfächer
leiden darunter bis hin zum schlechteren Bildungsniveau- und qualität.
Es liegt auch an uns,
gute Literatur zu schreiben, den Kindern Vorbilder zu geben, sie anzuhalten,
auch mal ein Buch in die Hand zu nehmen und darin zu lesen. Wir müssen vor Ort
sein, da, wo Kinder sind, ihnen auch mal vorlesen, mit ihnen lesen und zu
diskutieren.
Es gibt Veranstaltungen
wie „Tag des Vorlesens“, die man nutzen kann. Selbst einfache Bürger, die
Interesse am Lesen haben sind aufgefordert, in Veranstaltungen oder direkt in
Schulen, Kitas vorzulesen.
Wie lässt sich die Literatur mit anderen Künsten und Wissenschaften verbinden?
Einerseits eignen sich viele kleine Geschichten meist sehr gut zum
Darstellen  z.B. in Sketchen oder
Theaterstücken. Werden sie sogar von Kindern selbst bearbeitet, dringen sie
tiefer in die Charaktere der darzustellenden Personen ein, zeigen Verständnis
für sie, lernen daraus.
Andererseits kann man
das Thema Wissenschaft gut in Geschichten verarbeiten.
In einem  Manuskript von mir
aus der Reihe der Propheten: „Der Prophet Noah“ kommen der Koran, die Alte
Bibel und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Sintflut zum Tragen.
Es ist der Dammbruch zum Schwarzen Meer vor etlichen Tausend Jahren. Was finden
wir in den religiösen Schriften, was hat die Flut bewirkt und wie könnte das
Leben damals am Ufer des Schwarzen Meeres ausgesehen haben. 
Wie kann die Literatur die Toleranz in Deutschland fördern? 
Am besten eignen sich da wiederum Geschichten. Für die Kinder
meiner Gemeinde habe ich Kurzgeschichten geschrieben über Kinder anderer
Länder. Die Überschrift für alle lautete: „Woanders zu Hause“. Im Mittelpunkt
steht immer  die Situation eines Kindes,
wie es lebt, schuftet, nach Wissen hungert. Das Ziel ist Hoffnung auf ein
besseres Leben.
Steht es da nicht nahe, auch über die Flüchtlingskinder zu
schreiben, über ihre Flucht, über ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben, auf
Frieden und keine Angst mehr haben?
Interessant wäre auch über das Zusammenlernen von Kindern  aus mehreren unterschiedlichen Ländern zu
schreiben.
Nicht genug betonen kann man den Einfluss des Vorbildes der
Erwachsenen. So wie wir an die Frage von Toleranz oder Integration herangehen,
so setzt es  sich bei Kindern fort.
Welche sind für Sie die wichtigsten Strategien zwecks Überwindung religiöser Diskriminierung?
Da habe ich eigentlich wenig Erfahrung.
Diskriminierung und Toleranz 
können schon  in den Kitas ihre
ersten Ansätze haben. Meist spielen sie zusammen, ob schwarz oder weiß oder die
Hautfarbe dazwischen. Wenn überhaupt eine Diskriminierung dort in Erscheinung
tritt, dann ist sie durch die Eltern hineingetragen worden. Daher sehe ich die
Pflicht der Stadt- oder Dorfgemeinden, alle Kinder in Kitas unterzubringen.  Sie lernen dort den Anderen und Andersartigen
beim Spielen besser kennen und akzeptieren. Warum soll man nicht in Kitas über
Religionen sprechen. Sie feiern doch auch dort ihre religiösen Feste? Und man
kann den Andersgläubigen dazu einladen.
Auch in den Schulen ist es wichtig, über Diskriminierung  und Toleranz zu sprechen, gemeinsam zu
forschen z.B. Welche Stellung hat der Mensch in meiner, deiner Religion. Es
hilft nicht, ein Thema  vorzukauen,
sondern es lebendig werden zu lassen.
Aber die wichtigste Strategie der Überwindung religiöser
Diskriminierung ist das eigene Vorleben, die Vorbildwirkung.
Auch in der Literatur kann man dieses Thema verarbeiten z.B. ein
christliches Kind trifft auf ein muslimisches. Gemeinsam erleben sie Abenteuer.
Sie verstehen und akzeptieren garantiert bald, dass das andere Kind eine andere
Religion vertritt. Beispiele gibt es genug, man muss sie nur umsetzen.