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Tara Msiska: Journalismus hat das Potential, den riesengroßen Unterschied zu machen

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Hier
im Folgenden mein Interview mit der Journalistin Tara Lighten Msiska. Tara Lighten Msiska ist eine Juristin und Freelancejournalistin. Als
sie ihr Studium an der Universität Edinburgh abschloss, wurde sie sich dessen
bewusst, dass die Welt viel mehr Herausforderungen bietet als ein Gerichtssaal
und sie auf diese Weise auch ihre Schreibsucht befriedigen konnte. Sie schreibt
unter anderen für 
Cliterati und Career
Addict
. Ihren Blog auf MintPress
finden Sie
hier. Andere Beiträge von Tara erschienen bei Guerilla
Policy, the Feminist und Women’s Studies Association, Fearless Press, The F
Word und The Quail Pipe.
Milena
Rampoldi: Was bedeutet für dich feministischer Journalismus und was
unterscheidet den feministischen Journalismus vom “offiziellen” Journalismus?
Tara Lighten Msiska: Ich
habe nie meine Schriften als feministischen Journalismus gesehen, da ich keinen
festen Plan habe, wenn ich schreibe. Ich habe einfach Interesse daran,
Tatsachen zu schildern. Auf dieser Grundlage würde ich sagen, dass der
feministische Journalismus eine Art von Journalismus ist, in dem von der
Wahrheit rund um Angelegenheiten berichtet wird, die unverhältnismäßig stark
die Frauen betreffen (z.B. häusliche Gewalt) und die oft alternative Theorien
anbieten, um sich den dominanten Ansichten zu widersetzen, welche den Sexismus
fördern oder Frauen entwerten. Um ein Beispiel zu nennen: die Medienerklärungen
über Frauen, die sich nicht auf die typischen Themen wie Sex und Terrorismus
beziehen, weisen die Tendenz auf, auf das Weibliche ein kindliches oder
pathologisiertes Narrativ zu projizieren, das sich nur auf die Frauen und nicht
auf die männlichen Protagonisten bezieht (der häufige Partnerwechsel bedeutet
bei Männern, dass diese Sex lieben; bei Frauen bedeutet er hingegen, dass sie
verstört, in Gefahr sind oder den Sex nutzen, um sich begehrt zu fühlen; männliche
Terroristen sind politisch motiviert, während weibliche Terroristinnen
ausgenutzt oder psychisch krank sind). Junge, alleinerziehende Mütter und
Prostituierte werden auch tendenziell negativ oder im besten Falle
eindimensional dargestellt. Ohne ihn schönzureden oder zu übertreiben, könnte
der feministische Journalismus diese todmüden Stereotypen der glücklichen
Luxushure und der missbrauchten drogensüchtigen Jugendlichen überwinden. Ich
hoffe, dass sich der feministische Journalismus auch fragen wird, warum die
Medien Kapital daraus schlagen und dann tatsächlich auch die Missbilligung gegenüber
den Prostituierten und den Müttern eines bestimmten Alters oder in einem
bestimmten Beziehungsstatus fördern.
MR:
Tara, erzähl uns von deiner Arbeit über Sparpolitik und warum es so wichtig
ist, über Arbeitslose und Menschen mit Behinderung zu schreiben.
TLM: Es ist
wesentlich, weil die Erfahrungen und die Unterdrückung von Mitgliedern unserer
Gesellschaft, die arbeitslos sind oder unter einer Behinderung leiden, sonst außer
Acht gelassen würden. Vor allem würden sie von unseren Regierungen ignoriert.
Der Journalismus hat das Potential, einen riesengroßen Unterschied zu machen – obwohl
ich nicht den Eindruck habe, dass die Medien ein solches Potential auch
wirklich nutzen. Die Medien können die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft
wachrütteln, um Druck auf die Regierungen auszuüben. In Großbritannien sieht es
im Moment aber eher danach aus, als verliefe diese Dynamik in die
Gegenrichtung. Denn die meisten Mainstreammedien schließen sich dem
konservativen Gedankengut an und bauen darauf auf. Von den Selbstmorden und
Todesfällen infolge der gefährlichen Reformen des Wohlfahrtsstaates wurde nicht
weitgehend berichtet. Noch wurden die 590 zusätzlichen Selbstmorde
angesprochen, die von unabhängigen Forschern an den Universitäten entdeckt
wurden. Die Demos gegen die Sparprogramme wurden auch runtergespielt oder in
den Berichten voreingenommen dargestellt. Ich hoffe, dass ein ausgeglichener
Journalismus dazu beitragen kann, die Wahrheit ein wenig zu beleuchten, obwohl
dies ein steiler Weg sein wird.
Es ist auch wichtig,
sich schädlichen Narrativen von Sozialschmarotzern in bestimmten
Boulevardzeitungen und der stets wachsenden schaulustigen “Armutspornographie”
in unseren Fernsehprogrammen zu widersetzen. Das BBC Panorama Programm von 1994
mit dem Titel ‘Babies on Benefits’, das alleinerziehende Mütter der
Arbeiterklasse stigmatisierte, war zu jener Zeit kontrovers. Aber die aktuelle
Situation ist noch viel schlimmer. Denn nun werden alle Leistungsempfänger als
Freiwild gesehen. Und was noch schlimmer ist: die Dämonisierung von
Leistungsempfängern unterliegt im Unterschied zu den Vorurteilen gegen Menschen
aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechtes und ihrer Religion
nicht der Zäsur. Und schon die Kinder konsumieren solches Material.
MR:
Für mich persönlich muss der Journalismus ein Journalismus für Menschenrechte
sein, da er sonst leer wäre. Was denkst du darüber?
TLM: Dem kann ich nur
zustimmen.
MR:
Welche ist deine persönliche Meinung zum Brexit? Was wird sich ändern?
TLM: Ich bin der
Meinung, dass der Brexit der Wirtschaft, Sicherheit und dem globalen Einfluss
Großbritanniens schaden wird. (Damit will ich aber nicht sagen, dass der
Einfluss Großbritannien unbedingt zu guten Ergebnissen führt. Das gilt auch für
alle anderen, wenn sie diplomatischen Einfluss ausüben. Aber ich finde es
einfach strategisch dumm, auf den eigenen Einfluss verzichten zu wollen).
Der ESF (Europäischer Sozialfonds) bezahlt für
öffentliche Dienstleistungen und auch für Dienstleistungen, die zu Gunsten
schwacher, ländlicher und benachteiligter Gemeinschaften erbracht werden. Da
die Regierung seiner Politik treu bleibt, die darin besteht, den
Wohlfahrtsstaat und das Gesundheitssystem kaputt zu machen, wird dieses Loch
nicht gefüllt. Es sieht so aus, als würde die finanzielle, erzieherische und
gesundheitliche Schere zwischen den privilegierten und weniger privilegierten
Bürgern immer größer. Im Prinzip wurde das Programm der Konservativen nur noch
beschleunigt.  
Großbritannien erhält Geheimdienstinformationen von den Geheimdienstagenturen der EU, inklusive INTCEN, SitCen, des Stabs des EU-Direktoriums des militärischen Nachrichtendienstes, von Europol und der Terrorismusbekämpfungseinheit. Sobald dieser Austausch von Geheimdienstdaten mal abhandenkommt, ist es wahrscheinlich, dass wir anfälliger für den IS werden.
Wir werden auch im
Bereich der Menschenrechte nicht von Seiten des Europäischen Gerichtshofes
unterstützt, der in der Vergangenheit verhindert hat, dass Familien zerrissen
werden und ermöglicht hat, dass Menschen gegen Diskriminierung und die
ungerechte Verweigerung von Sozial- oder Wohnsitzleistungen verteidigt werden.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte uns vor kurzem das
Recht an, “vergessen zu werden”. Dieser Schutz gilt nur für Bürger mit EU-Wohnsitz.
Dies bedeutet, dass Google keine “irrelevante Hits” von Ihnen mehr anzeigen
darf, die für Ihren Ruf peinlich sind oder diesem schaden können. Obwohl der
Racheporno (Nacktphotos, die ohne die Erlaubnis der Person online
veröffentlicht werden, normalerweise seitens eines ex-Partners) nun als
Vergehen gilt, sind andere schädliche Google-Hits schwer oder unmöglich zu
entfernen, obwohl sie, im Gegensatzung zu den Rachepornos, beleidigend sind
oder Ihrem beruflichen Ansehen schaden.
Das Ergebnis des
Ganzen wäre somit, dass wir weniger Schutz unserer Menschenrechte haben, mehr
für öffentliche Dienste ausgeben, weniger Wohlfahrtsdienste und auch noch
weniger globalen diplomatischen Einfluss genießen. Großbritannien wird dann
noch mehr auf die USA und möglicherweise auf die NATO zurückkommen müssen, um
die EU-Leere zu füllen. Wir werden auch viel Zeit und Geld brauchen, um vielen
verschiedenen Ländern zu hoffieren, damit diese Handelsabkommen mit uns
treffen. Wir könnten dazu gezwungen werden, uns noch mehr an den Anforderungen
der USA zu orientieren als wir es schon tun. Und wir wären ein leichteres Ziel
für Terroristen.  
MR:
Warum hast du entschieden, deinen großartigen Artikel über die Vergewaltigung
in Katar zu schreiben? Welche sind die Hauptzielsetzungen, die du verfolgen
wolltest, als du ihn geschrieben hast?
TLM: Meiner Meinung
nach sind zahlreiche westliche Medienberichte über Ereignisse außerhalb der
westlichen Welt (was ja vielleicht auch wenig überrascht) aus westlicher
Perspektive verfasst.  Während dies vielleicht
in gewisser Hinsicht für das Publikum angemessen sein könnte, trifft es aber
oft nicht die wichtigsten Themen. Bezugnehmend auf den Umgang der Golfstaaten
mit der Vergewaltigung findet ein westliches Publikum natürlich eine
Fokussierung auf die Erfahrungen der Touristinnen interessanter und
hilfreicher. Dies verdunkelt aber die Realität, dass die vergewaltigten Frauen
vor Ort schlechter behandelt werden als die Touristinnen. Denn die Mehrheit der
Opfer des Rechtssystems in Katar sind mit Sicherheit die einheimischen Frauen.
Denn diese ist die alltägliche Realität der Bevölkerungen in den Golfstaaten.
Aber sie kommt nur in die westlichen Nachrichten, wenn ein Ausländer betroffen
ist. Und sogar dann werden die Kämpfe der Menschen im Golf ignoriert. Der Fokus
verschiebt sich auf die potentiellen Risiken für (westliche) Touristen, obwohl
sie am wenigsten davon betroffen sind, sei es aufgrund der Wahrscheinlichkeit
als auch des Schutzes der ausländischen Staatsbürgerschaft. Damit möchte ich
auf keinen Fall die sexuellen Angriffe gegen Touristinnen herunterspielen,
sondern betonen, dass es sich um keine angemessene oder balancierte
Berichterstattung handelt, wenn man die Angelegenheit der inhaftierten
Vergewaltigungsopfer im Nahen Osten erst thematisiert, wenn eine Touristin
betroffen ist.  
Das Ziel, das ich mit
diesem Artikel verfolgt habe, bestand darin aufzuzeigen, dass diese Erfahrung
für die Frauen in den Golfstaaten zum Alltag gehört und dass ihre Probleme
unerkannt bleiben und über sie nicht berichtet wird. Sie haben keine Botschaft,
die sich für sie einsetzt. Gegen sie ergehen härtere Peitschenhieben- oder
Gefängnisurteile. Denn sie kommen nicht einfach durch Begnadigung oder
Ausweisung frei. Ich möchte nicht, dass die einheimischen Frauen einfach vergessen
werden, weil man auf die Angst fokussiert “Wird das auch mir passieren, wenn
ich in den Nahen Osten reise?” Die westliche Angst und Faszination hinsichtlich
des Rechtssystems in Katar und dessen Kultur tragen keineswegs dazu bei, das
Bewusstsein für die Erfahrung jener zu erwecken, die dort leben.  
MR:
Wie glaubst du kann die Vernetzung alternativer Medien dazu beitragen, eine
bessere und tolerantere Gesellschaft aufzubauen?
TLM: Ich habe keine Ahnung, aber
wenn jemand rausfinden könnte, wie man das realisieren könnte, so wäre das
großartig. Die Statistiken zeigen, dass Menschen sich mehr und mehr der
Einseitigkeit und der unzureichenden Berichterstattung der Mainstreammedien sei
es auf lokaler als auch auf globaler Ebene bewusst sind. Daher wenden sie sich
den alternativen Medien zu. So ist das genau der richtige Zeitpunkt für diese
Vernetzung!