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Empörung in Russland wegen weiblicher Genitalverstümmelung im hauptsächlich muslimischen Dagestan


von BBC, 18. August 2016,
deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik. 

AFP / IN dAGESTAN
GIBT ES VIELE ABGELEGENE DÖRFER UND DUTZENDE ETHNIEN

 

Ein Bericht über die
Genitalmutilation der Frau (FGM) in der nördlichen Kaukasusregion hat in
Russland eine hitzige Debatte entfacht. Einige Geistliche verteidigen diese
Tradition.

Formularende

Eine Gruppe der Zivilgesellschaft
hat festgestellt, dass die Genitalmutilation der Frau (FGM) in den muslimischen
Bergdörfern in Dagestan allgemein verbreitet ist. Die Mädchen wurden in
primitiven Häusern beschnitten.
Der regionale Leiter der
muslimische Gemeinde Ismail Berdiyev empfahl die Genitalmutilation für alle
Frauen, nahm aber dann diese Bemerkung wieder zurück.
Aber ein alter orthodoxer
Priester, Vsevolod Chaplin, hatte ihn unterstützt.
In einem Post auf Facebook (in russischer Sprache) hat
Erzpriester Chaplin sein Mitgefühl für den Mufti ausgesprochen und seine
Hoffnung geäußert, der Mufti möge nicht aufgrund des daraus folgenden Geheules
und der verursachten Hysteriewelle, seine Stellungnahme zurücknehmen.
„Wir orthodoxe Christen haben
verschiedene Traditionen – dies hat uns aber nie davon abgehalten, die
Traditionen der benachbarten Völker zu respektieren“, schrieb er.
Er meinte, die weibliche
Genitalverstümmelung wäre für die christlichen Frauen nicht notwendig, das „sie
ohnehin nicht sexuell freizügig wären“. Aber er akzeptierte die Behauptung des
Mufti, nach der Gott die „Frau erschaffen hat, um Kinder zu gebären und zu erziehen“.
Und er fügte hinzu: „Der
Feminismus ist eine Lüge des 20. Jahrhunderts“.
‘Eindämmung
der weiblichen Sexualität’
Der Mufti des nördlichen Kaukasus
Berdiyev hatte erklärt, dass die weibliche Genitalmutilation in einigen Dörfern
in Dagestan praktiziert wird und dass sie notwendig wäre, um die Sexualität der
Frau zu einzudämmen.
„Es wäre gut, alle Frauen zu beschneiden“,
meinte der islamische Geistliche und fügte hinzu: „Es schränkt die Fähigkeit
der Frauen nicht ein, Kinder zu gebären und würde die Ausschweifungen einschränken“.
Er äußerte sich später vor den
russischen Medien und meinte, seine Aussage wäre ein „Witz“ gewesen und dass
die Journalisten ihm das Wort im Mund umgedreht hätten, um es so aussehen zu
lassen, als wäre er ein Befürworter der weiblichen Genitalmutilation.
Einige Facebooknutzer
kritisierten den Standpunkt des Priesters zum Thema der weiblichen
Genitalmutilation sehr scharf. So schrieb Arik Elman: „Sie brauchen kein
Islamversteher zu sein, um zu wissen, dass 
die weibliche Genitalmutilation keine allgemein akzeptierte muslimische
Tradition ist, sondern dass sie regionale Wurzeln und Wurzeln in der Stammeskultur aufweist.“
Igor Tetyuev meinte, es wäre
nicht „die Aufgabe eines im Zölibat lebenden Mönchs, über den Körper der Frau,
das Gebären von Kindern und Kinder zu debattieren“.
Irina Gubernatorova meinte: „Häretiker
auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen und Hexen in Säcken ertrinken zu lassen
waren auch alte, ruhmvolle christliche Traditionen – sollen wir diese denn
erneut einführen?“
In ihrem (in russischer Sprache verfassten) Bericht
behauptete die Russian Justice Initiative (RJI), dass sie viele Frauen in
Dagestan interviewt und entdeckt hatte, dass die weibliche Genitalverstümmelung
in den Bergdörfern des Landes weit verbreitet ist.
Die Mutilation, die von den
Vereinten Nationen als „Kindesmissbrauch“ verurteilt wird, wurde üblicherweise
unter primitiven Bedingungen, ohne Betäubung an Mädchen unter drei Jahren
durchgeführt.
Die Frauen, die sich anonym im
RJI-Bericht darüber geäußert hatten, waren der Meinung, die weibliche
Genitalverstümmelung wäre eine muslimische Pflicht für ihre Töchter.
Normalerweise bestand die
weibliche Genitalverstümmelung aus der vollständigen oder teilweisen Entfernung
der Klitoris bzw. der Labia. Aber die extremste Form der weiblichen
Genitalverstümmelung, die darin bestand, die Vagina zu nähen und nur ein
winziges Loch offen zu lassen, wurde nicht praktiziert.
Die Mädchen litten unter einem
psychologischen Trauma und bluteten. Außerdem hinterließ die weibliche
Genitalmutilation auch schmerzhafte Narbenbildungen.
‘Die
weibliche Genitalverstümmelung widerspricht dem Islam’
Eine moschee in dagestan: Es herrscht ein allgemeines Tabu in Dagestan rund um die weibliche
Genitalverstümmelung
RJI zufolge ist das Thema in den
meisten Gebieten der Republik ein Tabu. Hier leben zahlreiche verschiedene
ethnische Gruppen. Die größte Ethnie ist die der Awaren. RJI behauptet, dass
die weibliche Genitalverstümmelung meistens von den Leitern der muslimischen
Gemeinden ignoriert wird.
Ein Seniormufti in der russischen
religiösen Verwaltung für Muslime, Rushan Abbyasov, sprach sich gegen die
weibliche Genitalverstümmlung als „im Widerspruch zur islamischen Theologie
stehend“ aus.
Er meinte, es gäbe keine klare
muslimische Anweisung zum Thema der weiblichen Genitalverstümmelung und auch
keinen Beweis dafür, dass diese „die sexuelle Lust dämmt.“
Mehr als 200 Millionen Frauen und
Mädchen sind weltweit Opfer der weiblichen Genitalverstümmlung. Die Vereinten
Nationen gehen davon aus, dass weitere drei Millionen gefährdet sind.
Die weibliche
Genitalverstümmelung wurde in 30 Ländern, vor allem in Afrika, aber auch im
Nahen Osten und in Asien dokumentiert.