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Letzte Gefechte der Geheimarmisten

Geheimarmist Hans-Rudolf Strasser (†) im ehemaligen Geheimbunker (2009/SRF Reporter)


Von Niklaus Ramseyer, Infosperber, 14. Juli 2016 – Neuer Wirbel um die 1990 enttarnte Geheimarmee P-26. Dabei wird verschwiegen:
Diese entsprach geheimen Nato-Plänen in ganz Europa.
«Ein geheimer Widerstandskampf kann definitionsgemäss nicht vorbereitet
werden», sagte der damalige Schweizer Verteidigungsminister Paul Chaudet am 25.
September 1957 vor dem Nationalrat: «Wir haben die Widerstandsbewegungen im und
nach dem letzten Krieg eingehend studiert, bevor wir zu diesem Schlusse kamen.»
Und: «Sie waren eine Bestätigung des Volkswillens und haben unvorbereitet die
für den Kampf nötigen Organisationsformen gefunden – über ihre Wirksamkeit
besteht kein Zweifel.»
Chaudet, der später im Mirage-Skandal traurige Berühmtheit erlangte und
gehen musste, fügte noch bei: «Eine – vielleicht erstaunliche – Erfahrung
zeigt, dass es nicht möglich ist, von vornherein zu bestimmen, wer sich für die
ganz besondere Aufgabe des geheimen Widerstandes eignet; es ist erstaunlich,
wie Leute, deren Mut zuvor nicht besonders aufgefallen ist, oft auch Frauen und
Minderjährige, eine grosse Risikobereitschaft gezeigt und schwere Verantwortung
übernommen haben, während andere, anscheinend für Heldentaten vorbereitet, sich
der brutalen Drohung der Besatzungsmacht beugten.»
Briten organisieren Schweizer Geheimarmee
Es ging damals um ein Postulat, das im Nachgang zum Einmarsch der
Sowjetarmee 1956 in Ungarn eingereicht worden war. Der Bundesrat nahm es (ohne
Diskussion) «mit Vorbehalten» (siehe oben) entgegen und 1961 wurde es
abgeschrieben. Damit schien die Sache erledigt: Weder die Räte noch der
Bundesrat oder die Militärkommissionen befassten sich in den nächsten 30 Jahren
je wieder mit dem Thema «Widerstand nach einer Invasion» – auch 1968 nach dem
Einmarsch der Sowjets in der Tschechoslowakei nicht.
Umso grösser die Überraschung dann, als 1990 im Nachgang zur Fichenaffäre
in der Schweiz plötzlich eine leicht bewaffnete Geheimarmee namens P-26 mit 400
Mitgliedern und 400 Reservisten aufflog. Die Kader dieser P-26 rekrutierten
sich vorwiegend (zu zwei Dritteln) aus aktiven oder ehemaligen Berufsmilitärs
mittlerer Grade. Nur dem Armeechef (damals «Generalstabschef») war das ganze
«Projekt 26» vollumfänglich bekannt. Organisiert und illegal mit Millionen aus
der Bundeskasse finanziert worden war die Geheimtruppe hinter dem Rücken des
Bundesrates, des Parlamentes und der zuständigen Kommissionen. Hinter dem Rücken
des Schweizer Souveräns (Volk) sowieso: Eine kleine illegale und heimliche
Privatarmee mitten in der Armee also.
Gute Kontakte hatten die P-26-Geheimarmisten hingegen zu Geheimdiensten des
Nato-Landes Grossbritannien. Die Landesregierung hielt dazu am 14. Januar 1992
fest: «Es ist bedenklich, dass die britischen Dienste mehr über P-26 wussten,
als der schweizerische Bundesrat.» In der Startphase der P-26 hätten «Know-how
und Erfahrung der britischen Dienste dominiert». Und: «Vor allem in der Ausbildung
war die Zusammenarbeit mit den Briten immer sehr eng.»
«Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung»
Auch der fundierte und sehr informative Bericht der Parlamentarischen
Untersuchungskommission (PUK-EMD) zu diesem
Skandal vom 17. November 1990 hält auf seinen insgesamt 277 Seiten fest, «dass
Angehörige der Organisation P-26 zum Teil im Ausland Ausbildungskurse besucht
haben». Und: Umgekehrt seien ausländische Instruktoren an der Ausbildung der
Geheimarmisten in der Schweiz beteiligt gewesen. Was Wunder kommt der Bericht,
der unter der Leitung des allseits geachteten und respektierten Juristen,
CVP-Ständerats und Milizobersten Carlo Schmid-Sutter redigiert worden war, zum
Schluss: Die allenthalben illegale Geheimtruppe sei «an sich eine potentielle
Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung» unseres Rechtsstaates.
Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD), das heute VBS heisst, gab
gegenüber Schmids PUK am 13. August 1990 selbst zu, die P-26 sei «in Übereinstimmung
mit ausländischen Organisationsmodellen bewusst ausserhalb der Armee
angesiedelt» worden. Darüber und auch über die im Bericht erwähnten
«ausländischen Instruktoren», die da heimlich und illegal in der Schweiz
wirkten, hätten 38 Nationalräte am 12. Dezember 1991 noch mehr wissen wollen:
Sie verlangten, Schmids PUK-Bericht EMD sei «noch in einigen Punkten zu
ergänzen – namentlich bezüglich der Rolle der CIA und der USA beim Aufbau von
P-26». Umsonst: Eine Mehrheit von 96 Volksvertretern (vorab rechts im Saal)
wollte dazu nichts mehr sehen und hören.
Einmischung des Auslands bleibt geheim
Der Bundesrat liess die Einmischung ausländischer Agenten in den Aufbau
einer illegalen Geheimarmee in der Schweiz dann doch noch durch den Neuenburger
Juristen Pierre Cornu untersuchen. Daraufhin behauptete die Landesregierung in
einer Verlautbarung: Die «europäischen Widerstandsorganisationen», die
inzwischen nachweislich ab Mitte der 70er Jahre in mehreren Nachbarländern der
Schweiz heimlich aufgebaut wurden, seien sich zwar «in punkto Strukturen,
Ausbildung und Material sehr ähnlich gewesen». Doch «sollen sie institutionell
keinen Bezug zur Nato gehabt haben». Die Schweizer P-26 habe sowieso nicht dazu
gehört. Den gesamten Bericht Cornu vom August 1991 hält der Bundesrat jedoch
weiterhin geheim. Begründung: Eine Publikation könnte «die Beziehungen der
Schweiz zu mehreren befreundeten Staaten belasten».
Nato-Funkgerät statt SE 125
Bekannt wurde dennoch, dass die Schweizer Geheimarmisten mit dem
Nato-Funkgerät «Harpoon» kommunizierten – und nicht etwa mit dem damals in der
legalen und offiziellen Schweizer Armee weit verbreiteten SE 125, mit dem die
P-26 nach einer Besetzung des Landes ja auch zu «versprengten Truppenteilen»
hätten Kontakt halten können.
Wie falsch die bundesrätliche Darstellung des Cornu-Berichts ist, zeigt
sich zudem in den Enthüllungen des mehrmaligen italienischen
Ministerpräsidenten Giulio Andreotti: Er berichtete am 3. August 1990, dass
unter dem Namen «Gladio» schon vor 1980 in mehreren Ländern Europas (Italien,
Frankreich, Belgien) hinter den Rücken der gewählten Regierungen illegal ganz
ähnliche Geheimarmeen wie die Schweizer P-26 aufgebaut worden waren. Gelenkt
und orchestriert hätte dies das US-Militäroberkommando in Europa sowie die
Geheimdienste CIA und MI-6. Genau jener britische Geheimdienst war da also am
Werk, der gemäss Bundesrat auch «die Startphase der P-26» in der Schweiz
«dominiert» hatte.
Hintergrund dieser Wühlarbeit war dabei weniger ein militärischer, als
vielmehr ein politischer: Der Sowjet-Einmarsch in Prag hatte ja schon 1968
stattgefunden. Hingegen waren in Italien die Kommunisten nach 1970 immer
stärker geworden (fast 40% Wähleranteil) und ab 1981 in Frankreich sogar an der
Regierung beteiligt.
Auffallend: Auch die P-26 wurde erst in den Achtzigerjahren stark
ausgebaut, was sich an den jährlich illegal aus der Bundeskasse abgezweigten
Geldern zeigt: 1984 noch 1,4 Millionen Franken, 1986 schon 2,8 und 1989 gar
über 10 Millionen. Diese Zusammenhänge hat der ausgewiesene Historiker Daniele
Ganser in seinem international beachteten Buch «Nato-Geheimarmeen in Europa»
(Orell Füssli 2005) solide aufgearbeitet.
Geheimhaltung schadet der Verteidigung
Dass es auch bei der Schweizer P-26 nicht nur um Widerstand nach
militärischer Besetzung ging, steht schon in Schmids PUK-Bericht von 1990:
Unter den «Einsatzszenarien» für die Geheimarmee, die der Generalstabschef
allein definiert hatte, steht dort auch Punkt «5.4 Umsturz» und zwar «durch
Erpressung, Unterwanderung und/oder dergleichen». Die Untersuchungskommission
warnt: «Dieses Szenario schliesst nicht aus, dass die Organisation auch bei
einem in demokratischen Formen zustande gekommenen Machtwechsel hätte
eingesetzt werden können». Für einen gewalttätigen «Regime-Change» also etwa.
Der Bericht zeigt zudem, dass dies zusammen mit den dubiosen Kontakten zu
britischen Agenten der Hauptgrund für die klandestin-illegale Organisation der
P-26 und deren strikte Geheimhaltung auch vor der Landesregierung war: «Die PUK
EMD ist der Ansicht, dass das Parlament und damit die Öffentlichkeit über die
Tatsache, dass eine solche Organisation im Aufbau begriffen ist, hätten
orientiert werden müssen», kann man da lesen. «Dies insbesondere deswegen, weil
die Geheimhaltung dieser Tatsache im Interesse der Landesverteidigung
keineswegs geboten war.» Ganz im Gegenteil: Die Bekanntgabe der
Widerstandvorbereitung hätte zusätzliche «Dissuasionswirkung entfalten», einen
möglichen militärischen Gegner also erst recht abschrecken können.
Maulwürfe und gutgläubige Mitläufer
Dies alles zeigt, dass es in der P-26, die der damalige FDP-Bundesrat
Kaspar Villiger dann rasch aufgelöst und abgewickelt hat, durchaus gutgläubige
Mitläufer gab. Sie meinten effektiv etwas für zusätzliche Sicherheit des
Vaterlandes zu leisten, weil sie die dubiosen Hintergründe nicht kannten.
Andere jedoch verhielten sich wie Maulwürfe: Sie sassen teils in Vorzimmern der
Bundesräte – und täuschten diese über ihre Doppelrolle als Geheimarmisten
arglistig. Konkret heisst dies: «Du bist zwar der Chef. Aber über wichtige
Sachen rede ich eher mit ausländischen Agenten, als mit dir.»
Dass etwa Verteidigungsminister Villiger solche Leute nach deren Auffliegen
rasch aus seinem Umfeld entfernte, ist völlig logisch. Ein Bundesrat kann gut
bezahlte Funktionäre, die heimlich zahlreiche Bundesgesetze brechen und
übertreten und zudem noch Millionen illegal aus der Bundeskasse abzweigen ja
wohl kaum in seinem Stab dulden. Mehr noch: Die führenden Geheimarmisten
sollten sich glücklich schätzen, dass sie für ihre zahlreichen Gesetzesbrüche
und Übertretungen nie rechtlich belangt wurden.
Posthume Proteste und Reinwaschungen
Das alles hindert ehemalige Mitglieder der dubiosen Organisation und ihre
Freunde nicht, weiter an der durchsichtigen Legende von den P-26-Geheimarmisten
als standhaften Patrioten zu stricken. Auch posthum in Todesanzeigen noch
(siehe Infosperber: «Todesanzeige greift Alt-Bundesrat an»): «Mit
seinem jahrzehntelangen Wirken zugunsten der geheimen Widerstandsvorbereitung
hat Franz für unser Land mehr geleistet, als die meisten von uns je zu leisten
vermögen», konnte man in einem Nachruf auf das ehemalige P-26-Mitglied
Hans-Rudolf Strasser v/o «Franz» in mehreren Zeitungen lesen.
Zuvor schon hatte der Basler Journalist Martin Matter, ein guter Bekannter
von Franz, in einem Buch versucht, die P-26 reinzuwaschen. Doch schon der Titel
ging daneben: «Die Geheimarmee, die keine war» (Verlag hier + jetzt). Ja, was
ist denn eine Truppe von bis zu 800 Mann, die über Maschinenpistolen,
Präzisionsgewehre, Sprengstoff und panzerbrechende Infanteriewaffen mitsamt
Munition verfügt, anderes als eine «Geheimarmee», wenn weder die
Landesregierung, noch die eidgenössischen Räte oder deren zuständige
Kommissionen etwas von ihr wissen?
Matter behauptet zudem keck: Die P-26 wäre «das letzte Mittel in der Hand
des Bundesrates gewesen, die sowjetische Besatzungsmacht mürbe zu machen und
die freiheitlich-demokratische Ordnung wiederherzustellen». Eben gerade nicht
«in der Hand des Bundesrates», sondern hinter seinem Rücken, musste Schmids
Kommission 1990 feststellen: «Der Chef von P-26 gestand ein, dass der Bundesrat
weder einen Schlüssel zur Aktivierung von P-26 noch einen zur Desaktivierung
der Organisation besitzt», schreibt sie in ihrem Bericht. Zwar führe die
Geheimarmee «den Widerstand auf Befehl», fanden die parlamentarischen Untersucher
heraus. Nicht aber auf wessen «Befehl» genau.
Die Antwort findet man dann eventuell im Bericht Cornu – wenn dieser nicht
mehr geheim ist. So oder so warnte die PUK EMD: «Die faktische Beherrschung der
P-26 durch die oberste Landesbehörde ist nicht gegeben.» Mehr noch: «Die Gefahr
eines Missbrauchs durch Selbstaktivierung besteht.» Zum Glück hat Villiger
dieses unheimliche Unding, das schon sein früher Vorgänger Chaudet eher unnötig
fand, dann rasch entsorgt.