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Nach der Bereicherung von 1% und der Verarmung von Millionen gibt der IWF zu, dass der Neoliberalismus gescheitert ist


von Benjamin Dangl, Towards
Freedom, 31. Mai 2016, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik.
Vorige Woche veröffentlichte eine Forschungsstelle des Internationalen
Währungsfonds einen
Bericht, in dem
zugegeben wird, dass der Neoliberalismus gescheitert ist. Der Bericht mit dem
Titel „Neoliberalism: Oversold?“ ist hoffentlich ein Zeichen für den Tod dieser
Ideologie. Dann wären wir nur 40 Jahre in Verspätung. Naomi Klein
veröffentlichte auf Twitter den folgenden Kommentar zum Bericht: „Werden nun
alle Milliardäre ihr Geld zurückzahlen oder wie?“
Zahlreiche Berichtsergebnisse treffen das Herz der Ideologie und
wiederholen genau das, was Kritiker und Opfer des Neoliberalismus über
Jahrzehnte behauptet haben.
„Anstatt Wachstum zu bringen“, erklärt der Bericht, dass die neoliberalen
politischen Richtlinien des Sparkurses und der vereinfachten Regelung für den
Kapitalverkehr in der Tat „die Ungleichheit noch verschärft haben“. Diese
Ungleichheit „könnte das Wachstum untergraben…“ Demzufolge stellt der Bericht
fest, dass die „politischen Akteure mehr auf die Umverteilung achten sollten
als sie es derzeitig tun.“
Der Bericht spart dennoch einige wichtige Aspekte der Geschichte und der
Auswirkungen des Neoliberalismus aus.
Der IWF weist darauf hin, dass der Neoliberalismus gescheitert ist. Aber er
hat für die globalen 1% sehr gut funktioniert. Und dies war von Anfang an die
Absicht des IWF und der Weltbank gewesen. Wie Oxfam 
zu Beginn dieses Jahres berichtet
hat
, besitzen 1% der Reichsten dieser Welt nun mehr Reichtum als der gesamte
Rest der Bevölkerung dieses Planeten. (Einen ähnlichen Beweis hat die
investigative Journalistin Dawn Paley in ihrem Buch
Drug War Capitalism erbracht.
Der Drogenkrieg ist gar nicht gescheitert, sondern war für Washington und die
internationalen Konzerne ein Riesenerfolg.)
Der IWF-Bericht zitiert Chile als neoliberale Fallstudie, führt aber nicht
an, dass die Wirtschaftsvision im Lande durch die von den USA unterstützte
Diktatur von Augusto Pinochet umgesetzt wurde. Dies ist eine schwere
Unterlassung, die kein zufälliges Versehen der Forscher war. In ganz
Lateinamerika gingen Neoliberalismus und Staatsterrorismus nämlich Hand in
Hand.
Der mutige argentinische Journalist Rodolfo Walsh denunzierte 1977 in einem
offenen Brief an die argentinische Militärjunta die Unterdrückung durch jenes
Regime, eine Diktatur, die für die Ermordung und das Verschwinden von mehr als
30.000 Menschen verantwortlich ist.
„Diese Ereignisse, die das Gewissen der zivilisierten Welt aufrütteln,
stellen nämlich weder das größte Leid dar, das dem argentinischen Volk zugefügt
wurde, noch die schlimmste je verübte Menschenrechtsverletzung“, schrieb Walsh
über die Folter und Tötungen. „Das größte Leid ist hingegen auf die
Wirtschaftspolitik dieser Regierung zurückzuführen, in der sich nicht nur die
Erklärung für die Verbrechen findet, sondern sogar eine größere Grausamkeit,
die Millionen von Menschen durch geplantes Elend bestraft … Man braucht nur
einige Stunden durch die Stadt Buenos Aires und ihre Vorstädte zu gehen, um den
Rhythmus zu bemerken, mit dem eine solche Politik die Stadt in ein Slum von 10
Millionen Menschen verwandelt.“
Dieses „geplante Elend“, wie es Naomi Kleins Shock Doctrine lebendig
beweist, war die neoliberale Agenda, die der IWF über Jahrzehnte vertrat.
Einen Tag nach der Übermittlung des Briefes an die Junta wurde Walsh vom
Regime festgenommen, getötet, verbrannt und in einen Fluss geworfen. Und das
ist nur eines von den millionenfachen Vergehen des Neoliberalismus.
Der Redaktion von Toward Freedom Benjamin Dangl ist der
Verfasser der Werke The Price of Fire: Resource Wars and Social Movements
in Bolivia
 und Dancing with Dynamite: Social Movements and States in
Latin America
. Er promoviert an der Universität McGill im Fach
lateinamerikanische Geschichte. Twitter: @bendangl