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Das wahre Vermächtnis von Muhammad Ali: vom Fanatismus zur Toleranz


 Muhammad
Ali 
(Credit: AP/Charles Harrity)
Von
Jonathan Zimmerman, Salon, 25. Juni 2016, deutsche Übersetzung von Milena
Rampoldi, ProMosaik. Ali verwandelte sich vom engstirnigen Muslim in jungen
Jahren zu einem Botschafter des Friedens

Als
Donald Trump im Dezember 2015 vorschlug, die Muslime an der Einreise in die USA
zu hindern, bekam er einen verbalen Linkshaken vom größten Boxer aller Zeiten.
„Wir Muslime müssen uns gegen diejenigen wehren, die den Islam manipulieren, um
ihre persönlichen Ziele durchzusetzen“, erklärte Muhammad Ali.

Ali
nannte keine Namen, aber jeder verstand, dass er sich auf Trump bezog. Seine
Bemerkung wurde nach Alis Tod zu Beginn dieses Monats unendliche Male wiederholt,
weil sie sich perfekt für ein Gut-gegen-Böse-Mediennarrativ eignet. In dieser
Ecke Donald: grob, rachesüchtig und engstirnig. In der anderen Ecke, der
Größte: freundlich, versöhnlich und tolerant.

Alis
Behauptung verfluchte auch die „raue Gewalt“ der „sogenannten islamischen
Jihadisten“, die nach dem Attentat von Orlando wieder aufgetischt wurde. Sie
erinnerte uns alle daran, wie die „wahren Muslime“ – wie Ali sie nannte – die Art
von Engstirnigkeit und Fanatismus von Omar Mateen verabscheuen, der 49 Menschen
in einem Nachtclub für Schwule ermordete.

Hier
fehlte aber die wichtigste Geschichte aus Alis Leben, und zwar die seiner
eigenen Verwandlung in einen Mann des Friedens. Der junge Ali war nämlich
selbst ein chronischer engstirniger Fanatiker, der steif an den Lehren eines
korrupten religiösen Führers festhielt. Er löste sich aber davon und erinnert
uns alle daran, dass die Menschen jeglicher Glaubensrichtung und Herkunft
Unwissen und Vorurteile überbrücken können.

Wenn
Sie der Meinung sind, Ali wäre kein Fanatiker gewesen, so googlen Sie doch sein
Interview von 1971 mit dem britischen Journalisten Michael
Parkinson
. Ali protestierte gegen Mischehen, denen er vorwarf, verschiedene
„Rassen“ miteinander zu vermischen. „Gott erschuf uns verschieden“, meinte Ali
mit Beharrlichkeit. „Hören Sie mal: Hüttensänger fliegen mit Hüttensängern.“
Vier Jahre später meinte Ali in einem Interview mit Playboy, dass interrassische Paare getötet werden sollten.

Und
wenn Sie glauben, Ali wäre kein Fanatiker, dann lesen Sie das vor kurzem
veröffentlichte Buch über Malcolm und Ali von Randy Roberts und Johnny Smith.
Malcolm und Ali freundeten sich schnell an. Sie beteten gemeinsam im
Umkleideraum, bevor Ali über Sonny Liston siegte und somit 1964 seine erste
Krone im Schwergewicht gewann. Als sich Malcolm aber vom Gründer der Nation of
Islam Elijah Muhammad trennte, radierte Ali Malcolm aus seinem Leben aus. „Muhammad
brachte Malcolm X alles bei, was er weiß“, teilte Ali den Reportern mit. „So
konnte ich nicht mit dem Sohn gehen, sondern blieb beim Vater.“

Das
bedeutete alles zu akzeptieren. Und genauso handelt ein Fanatiker. Ali beharrte
darauf, Elijah als den „Botschafter“ Gottes zu sehen. Er blendete dabei die
sehr unislamischen Ehebruchsfälle von Elijah völlig aus, und so auch die
Zeugung von Kindern mit verschiedenen Sekretärinnen. Und so hörte Ali auch auf
die Befehle von Muhammad, sich von Malcolm fernzuhalten. Ali weigerte sich
sogar, mit Malcolm zu sprechen, als er ihn im Mai 1964 zufällig in Ghana traf.

„Bruder
Muhammad! Bruder Muhammad!“ rief Malcolm, während Ali sich von ihm entfernte. Malcolm
folgte ihm, bis Ali am Ende anhielt. „Du hast dich vom ehrenhaften Elijah
Muhammad getrennt“, meinte Ali himmelschreiend. „Und das war falsch, Bruder
Malcolm.“

Wir
wissen immer noch nicht, ob Elijah Muhammad einen ausdrücklichen Befehl
erteilte, um Malcolm X zu töten. Aber mit Sicherheit verbreitete er die
Botschaft, Malcolm sollte wegen Abtrünnigkeit sterben. Und Muhammad Ali schien
auch damit einverstanden. Nach der Ermordung Malcolms durch die Killer der
Nation of Islam im Jahre 1965, befand sich Ali auf derselben Stufe wie der
Minister Louis X — später als Louis Farrakhan bekannt – und klatschte, als Elijah
Muhammad gegenüber einem begeisterten Publikum zum Ausdruck brachte, Malcolm
wäre ein „Heuchler“, der bekommen hat, was er verdiente.

Ganz
zu seinem Verdienst änderte sich Ali aber. Wie Malcolm X verzichtete er
schließlich auf den rassischen Separatismus von Elijah und auf seine raue Idee,
nach der die Weißen wortwörtliche Dämonen waren. „Der Teufel ist im Geist und
im Herzen und nicht in der Hautfarbe“, diese Alis Schlussfolgerung. „Wir
Muslime hassen die Ungerechtigkeit und das Böse, aber wir haben keine Zeit, um
Menschen zu hassen“.

Ali
bereute am Ende auch, wie seine kopflose Ergebenheit gegenüber Elijah seine
Beziehung zu Malcolm vergiftet hatte. „Ich wünschte, ich hätte noch die
Gelegenheit gehabt, Malcolm zu sagen, dass es mir leid tat und dass er in so
Vielem Recht hatte“, meinte Ali. „Könnte ich die Zeit zurückdrehen, würde ich
ihm nie den Rücken kehren.“  

So
geht es in Alis Geschichte nicht nur um das friedfertige Wesen des Islam, von
dem man nach seinem Tod am meisten spricht. Es ist auch die Geschichte einer
persönlichen Loslösung von hassvollen Versionen des Islam. Natürlich nahm der
jugendliche Fanatismus von Ali nicht die Züge der gewalttätigen und
apokalyptischen islamischen Jihadisten von heute an. Sie hatten aber mit
Sicherheit Einiges gemeinsam, und zwar die steife Ergebenheit gegenüber einem
charismatischen Führer, eine tiefe Intoleranz gegenüber anderen Menschen und
Glaubensrichtungen und eine fanatische Überzeugung, Gott stünde immer an deren
Seite.

„Ich
bin Muslim. Und es gibt nichts Islamisches im Töten unschuldiger Menschen in
Paris, San Bernardino oder anderswo in der Welt“, erklärte Muhammad Ali im
Dezember. „Diese irregeführten Mörder haben die Anschauungen der Menschen über
das Wesen des wahren Islam verdreht“. Ali hatte sich in der Vergangenheit einer
verdrehten Version des Islam verschrieben, aber er fand die Gnade und die
Kraft, um diese zu überwinden. Unsere größte Herausforderung besteht heute
darin, die irregeleiteten Muslime dabei zu unterstützen, dasselbe zu tun.

Jonathan
Zimmerman unterrichtet Pädagogik und Geschichte an der New York University. Er
ist Autor des Werkes „Campus Politics: What Everyone Needs to Know“, das im
August bei Oxford University Press veröffentlicht wird.