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Berlin Institut: der demografische Wandel und die Migration als Chance


Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei
mein Interview mit Berlin Institut. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und
globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als
gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den
demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue
Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und
entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. Das Berlin-Institut erstellt
Studien, Diskussions- und Hintergrundpapiere, bereitet wissenschaftliche
Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf und betreibt ein
Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung. Was für ProMosaik vor allem wichtig ist,
ist der Zusammenhang zwischen Demografie und Migration als Chance für den
Aufbau einer multikulturellen und „diversen“, bunten Gesellschaft. Und zu einer
multikulturellen, friedlichen Gesellschaft gehört als Voraussetzung der Kampf
gegen jegliches rechtsradikale Gedankengut innerhalb der deutschen
Gesellschaft.
MR: Welche sind die Hauptziele von Berlin
Institut?
BI: Die Stiftung Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung setzt sich dafür ein, dass die Öffentlichkeit die weltweiten
demografischen Veränderungen bewusster und informierter wahrnimmt. Das
Schrumpfen und die Alterung der Bevölkerung sowie die Integration von Menschen
aus anderen Kulturkreisen stellen die Gesellschaft vor große Herausforderungen.
Die Arbeit des Berlin-Instituts soll helfen, die Folgen des demografischen
Wandels im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen und die
innerhalb Deutschlands und Europas sowie weltweit sehr unterschiedlichen
Probleme zu lösen.
MR: Wie hängen Demographie und Migration
zusammen und welche sind die wichtigsten Dinge, die man in diesem Bereich oft
ignoriert?
BI: Migration ist so alt wie die
Menschheit. Schon immer haben Menschen auf der Suche nach anderen oder besseren
Lebensbedingungen ihren Wohnort gewechselt. Migration wird damit zu einem der
drei Faktoren, welche die demografische Entwicklung bestimmen. Die anderen sind
die Geburten und die Sterbefälle. Wenn, wie in Deutschland seit dem Jahr 1972,
die Zahl der Verstorbenen jene der Geburten übersteigt, kann nur Zuwanderung
für eine stabile oder gar wachsende Bevölkerung sorgen. Leben an dem Zuzugsort
von Migranten bereits andere Menschen, kann dies zu Konflikten führen – aber
auch zu Entwicklungsschüben. Ein kultureller Austausch durch die Vermischung
der Völker war stets auch eine Basis für Innovationen.
MR: Auf welche Hauptthemen fokussieren
die AutorInnen von Berlin Institut in den Publikationen des Instituts?
      BI: Wir verfolgen zum einen die
demografische Entwicklung in Deutschland. Unser Land gehört neben Japan zu den
Pionieren des demografischen Wandels. Nirgendwo auf der Welt sind die
Kinderzahlen so früh, so nachhaltig gesunken wie in Deutschland. Deshalb sind
wir auch bei der Alterung der Gesellschaft Vorreiter. Wir müssen Konzepte für
einen konstruktiven Umgang mit dem Wandel entwickeln – verhindern können wir
ihn nicht. Also: Wir brauchen eine organisierte Zuwanderung und eine gute
Integration der Migranten. Wir brauchen darüber hinaus mehr
Bildungsinvestitionen in die kleiner werdenden Nachwuchsjahrgänge sowie mehr
gesundheitliche Prävention um bei einer steigenden Lebenserwartung fit zu
bleiben. Zum demografischen Wandel gehören auch die Entleerung entlegener
ländlicher Räume und der Drang der Menschen, in die urbanen Zentren zu ziehen,
wo tendenziell die Arbeitsplätze in der Wissensgesellschaft entstehen. Wir
forschen daran, wie sich das Leben in den ländlichen Gebieten auch unter
Schrumpfbedingungen gut organisieren lässt.
      Wir
beobachten zum anderen die Entwicklung in den Ländern der EU, in Asien, Amerika
und Afrika. Die meisten von ihnen sind prinzipiell auf dem gleichen Pfad wir
Deutschland, nur noch nicht so weit fortgeschritten. Vor allem interessiert
uns, wie die heute armen Länder, die noch ein sehr hohes Bevölkerungswachstum
verzeichnen, auf einen positiven Entwicklungsweg gebracht werden können. Dazu
sind drei Faktoren elementar: Gesundheit, Bildung und Jobs. Gelingt es nicht
diese zu schaffen, dann wachsen die Einwohnerzahlen dieser Länder weiter stark
und die Lösung der brennenden Probleme werden immer schwieriger. Frustration
und Chaos breiten sich aus und viele Menschen machen sich auf die Flucht. Die
demografische Entwicklung in Westasien, dem Nahem Osten und Afrika betrifft uns
in Europa also ganz direkt.
MR: Bildung ist der Schlüssel jeglicher
Entwicklung. Warum und in welchem Sinne ist das so?
BI: Bildung ermöglicht uns ein
erfolgreiches Berufsleben, trägt zu einer besseren Gesundheit bei, befähigt
uns, den eigenen Horizont zu erweitern und Normen zu hinterfragen. Bildung
ermöglicht überhaupt erst eine unabhängige, selbstbestimmte Existenz. Sie steht
im Zentrum des Erfolges ganzer Nationen und ist die Grundvoraussetzung für die
komplexe Organisation moderner Gesellschaften. Sie dient übergeordneten Zielen
wie Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Deshalb ist Bildung nicht nur für
Eliten wichtig, sondern möglichst für alle Kreise der Gesellschaft. Gesellschaften
mit einem Bildungszugang für alle Bevölkerungsschichten sind die
erfolgreichsten, die wir kennen.
MR: Wie kann man durch Wissen zu Themen
wie Migration, Demographie, Flüchtlingskrise rechtsradikale Positionen in der
deutschen Gesellschaft bekämpfen?
BI: Wenn man die Zusammenhänge
versteht, ist man besser in der Lage über Lösungen für die zweifellos
bestehenden Fragen und Herausforderungen nachzudenken. Die Antworten sind
komplex und politisch nicht immer einfach zu vermitteln. Bildung hilft auch hier,
sowohl bei jenen, welche die Antworten geben müssen, wie auch bei jenen, die
sie erhalten. Schafft es die Politik nicht, in diesen konstruktiven Diskurs mit
der Bevölkerung einzutreten, schlägt die Stunde der populistischen und
radikalen Parteien, die mit simplen Antworten daherkommen. Wenn man sich deren
Antworten genau anschaut, sieht man aber schnell, dass sie keine Lösungen
darstellen, sondern die Lage noch verschlimmern. Das müssen die Menschen
durchschauen lernen. Deshalb betreiben wir mit unseren Studien eine sachliche,
unabhängige und von keiner Partei getriebene Aufklärungsarbeit.
MR: Was hat das Berlin Institut in seiner
Geschichte bereits erreicht und was wünscht es sich für die Zukunft?
BI: Um die Diskussion zu den erwähnten
Themen zu befördern, verfassen wir unsere Studien so klar und lesbar wie
möglich, denn wir wollen über die Medien eine breite Öffentlichkeit erreichen.
Auf diesem Weg werden Unternehmen, Verbände, die Kirchen, die Zivilgesellschaft
und letztlich auch die Politik aufmerksam. So haben wir haben einige Themen
überhaupt erst in die öffentliche Debatte gebracht. Etwa 2003 mit einer großen
Studie zu den regionalen Unterschieden der demografischen Entwicklung, 2007 mit
dem Phänomen der Abwanderung junger Frau aus Ostdeutschland, 2009 mit den
Integrationsproblemen spezieller Zuwanderungsgruppen oder 2011 mit den
demografischen Herausforderungen Afrikas. Künftig beschäftigen wir uns vor
allem mit Migration und Flucht, globalen Entwicklungsunterschieden und dem
Umgang mit dem Schrumpfen, das für immer mehr Länder zu einem Thema wird. Die
Welt hat Jahrhunderte des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums erlebt. Aber
für eine wachsende Zahl von Ländern wird die Frage des 21. Jahrhunderts lauten:
„Was tun wir eigentlich, wenn das Wachstum endet?“