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Gelehrte in Italien diskutieren trotz der Zensur über den Boykott gegen Israel

von Stephanie Westbrook,
Electronic Intifada, 13. April 2016. Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi,
ProMosaik e.V. –
Abbildung: Ryan
Rodrick Beiler ActiveStills

 

Italienische Gelehrte hielten die ersten
akademischen Gespräche über BDS-Sanktionsmaßnahmen gegen Israel zwecks
Unterstützung der palästinensischen Rechte. Und dies erfolgte trotz der
Versuche der Zensur anlässlich einer bedeutenden Konferenz über Nahoststudien
in Sizilien.
Ein Vorschlag bezüglich einer
BDS-Podiumsdiskussion wurde im Herbst 2015 vom wissenschaftlichen Komitee der
Italienischen Gesellschaft für Nahoststudien (SeSaMO) zwischen 17. und 19. März
genehmigt.
Aber wenige Wochen vor der Abhaltung der
Veranstaltung forderte Giacomo Pignataro, Rektor der Universität Catania und
Gastgeber der Konferenz, die Streichung der BDS-Podiumsdiskussion aus dem
offiziellen Programm unter Androhung, sich von der Universität unterstützen zu
lassen.
Dies traf einen Nerv bei den teilnehmenden
Gelehrten, die in dieser Androhung die Statuierung eines anderen Exempels der
Einschränkung der akademischen Freiheit, die jenseits der BDS-Bewegung liegt,
befürchteten.
Zensur
Die Gelehrten nahmen Bezug auf die Einschränkung durch die türkische
Regierung kritischer Akademiker in der Türkei und die grotesken, absolut
unakzeptablen Inszenierungen der Umstände des Mordes an
Giulio Regeni, dem italienischen Doktoraten, der während seiner
Forschungsarbeit in Kairo gefoltert und ermordet wurde.
In diesem Klima der Unterdrückung der
Meinungsfreiheit, wurden auch jene, die sich normalerweise nicht für die
BDS-Bewegung einsetzen, angespornt, die Podiumsdiskussion zu verteidigen.
In einem von 93 der 286 Teilnehmer
unterzeichneten Brief an Pignataro, der auch an Electronic Intifada übermittelt
wurde, forderte man eine Erklärung der Gründe seiner Forderung. Der Brief
verlangte auch die erneute Aufnahme der BDS-Podiumsdiskussion in das offizielle
Programm, und zwar im „Namen jener Prinzipien der akademischen Freiheit, die
Sie mit Sicherheit wie wir gutheißen.“
In seiner Antwort auf den Brief
verteidigte Pignataro seine Entscheidung auf der Grundlage einer „offensichtlichen,
politischen Beschaffenheit“ der Podiumsdiskussion und sprach die Bezugnahme auf
diese Podiumsdiskussion in einer Pressemitteilung der Italian Stop Technion
Kampagne vom Januar an, in der es hieß, das wäre das erste Mal, dass „eine
akademische Vereinigung in Italien die BDS bzw. PACBI-Kampagne öffentlich
bespricht.“
PACBI, die palästinensische Kampagne für
den akademischen und kulturellen Boykott Israels, wurde 2014 ins Leben gerufen
und ist Teil der erweiterten BDS-Bewegung.
Die Stop Technion Kampagne ruft zum Boykott der israelischen
akademischen Institutionen, im Besonderen des israelischen Instituts für
Technologie, dem sogenannten Technion, auf, weil es eine unbestreitbare „Rolle
als Unterstützer der militärischen Besatzung und Kolonisierung Palästinas
spielt“. Die Anzahl der unterstützenden Akademiker hat sich seit der Lancierung
der Kampagne Ende Januar verdoppelt und überschreitet nun die 330.
Politisch
Die Gelehrten erhoben auch Einspruch gegen
die einzelnen Aufrufe bezüglich der Notwendigkeit einer Trennung zwischen
akademischer Forschung und Politik.
Ein Handzettel mit dem Titel „Zensur ist nicht wissenschaftlich“ (“Censorship is not
scientific”), der anlässlich der Konferenz verteilt wurde und dessen
umfassendes Thema „Migranten: Gemeinschaften, Grenzen, Erinnerungen, Konflikte“
(“Migrants: Communities, Borders, Memories, Conflicts”) war, stellte die
folgende Frage: „Welches Thema ist heute politischer als das? Wir haben
Asylsuchende, die den Nahen Osten, Afrika und Zentralasien verlassen, um Europa
zu erreichen, und ein Europa, das die eigenen Grenzen schließt, um diese
Menschen rauszusperren.“
Eine Reihe von Teilnehmern sagte ab,
während man die Streichung von zwei Podiumsdiskussionen aus dem Programm der
Konferenz forderte.
Die Vortragenden der Podiumsdiskussion zum
Thema „Zeitgenössische soziale Mobilisierung in Marokko“ (“Contemporary Social
Mobilization in Morocco”) teilten Electronic Intifada mit, dass sie sich
zurückziehen wollten, weil sie die Entscheidung, die BDS-Podiumsdiskussion aus
dem offiziellen SeSaMO-Programm zu streichen, als „politisch motiviert“
betrachteten.
Und um die Bemühungen der Universität, die
Debatte zum Thema der Boykottkampagnen direkt herauszufordern, legten die Vortragenden
einer anderen Podiumsdiskussion zum Thema „Körper, Diskurse und Geographien:
Die Mittelmeermigrationen nach den post-kolonialen Perspektiven“ ihre Vorträge
nieder und verwandelten ihre Veranstaltung in eine Diskussion über die
akademische Meinungsfreiheit und die BDS-Bewegung.
„Diese schwerwiegende Zensur, in diesem
Fall gegen die BDS-Kampagne, die aber auch andere Themen hätte betreffen
können, beweist den Mangel der grundlegenden Voraussetzungen für eine
wissenschaftliche Debatte“, so Gabriele Proglio des European University Institutes
und der Universität Tunis und Chiara Giubilaro der Universität Bicocca in
Mailand, zwei Mitorganisatoren der Podiumsdiskussion in einem gemeinsamen
E-Mail-Statement an The Electronic Intifada.
Im Rahmen einer Mitgliederversammlung
während der Konferenz wurde mit einer Abstimmung von 36 gegen 19 ein Antrag für
die akademische Meinungsfreiheit gestellt, um „das Recht der SeSaMo-Mitglieder
zu verteidigen, damit diese offen und transparent den Boykott gegen die
israelischen Universitäten im Rahmen der Jahreskonferenzen der Vereinigung und
anlässlich anderer Initiativen besprechen können“.
Akademische Meinungsfreiheit
Paola Rivetti, Lektorin an der Dublin City
University und abgehendes SeSaMO-Vorstandsmitglied, teilte Electronic Intifada
mit, dass der „Antrag einen wichtigen Schritt in Richtung des Schutzes der
akademischen Meinungsfreiheit darstellt. Da die Versuche, in Italien Debatten
über BDS und PACBI-Kampagnen zu führen, von verschiedenen akademischen
Behörden, inklusive der Universität Catania, verhindert wurde, will der Antrag
der SeSaMO-Vereinigung als Werkzeug dienen, um das Recht zu verteidigen, das
Thema zu besprechen.“
Rivetti fügte hinzu: „Wir sind uns dessen
bewusst, dass die Boykottkampagnen kontrovers sind. Gerade deshalb brauchen wir
Zeit und Raum, um darüber zu diskutieren.“
Trotz der Streichung aus dem offiziellen
Programm und der Herunterstufung auf eine
Nebenveranstaltung während der Mittagspause, schafften es die Gelehrten, durch
die Anschneidung des Thema der Zensur, ein großartiges Ergebnis zu erreichen,
wobei sich der Großteil der Debatte gerade um die akademische Meinungsfreiheit
drehte.
Laleh Khalili der Universität London, SOAS, sprach von einer strategischen
Verschiebung zwecks „Abwürgung“ der Debatte über Palästina und die BDS-Bewegung
vom direkten Druck auf einzelne Studenten und die Fakultät auf den Druck auf
die Leitung der Universität und auf den Druck auf Staatsebene, um die
Verabschiedung der Gesetzgebung gegen den Boykott voranzutreiben.
Ruba Salih, auch von der SOAS-Universität,
sprach erneut die schwerwiegenden Einschränkungen der akademischen Freiheit in
Palästina, von der Reisefreiheit bis zur Zerstörung der Bildungseinrichtungen,
an.
Mark LeVine der Universität California –
Irvine sprach von den gefährlichen Bemühungen des Rektorats der
Universität, Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen, um jegliche
Kritik an der israelischen Politik entweder „abkühlen“ oder zu kriminalisieren.
Keine Debatte
Das SeSaMO-Debakel war nur der letzte
einer Reihe von Versuchen, die italienische Debatte über Palästina, die während
der israelischen Apartheidwoche Ende Februar und Anfang März ihren Höhepunkt
erreicht hatte, mundtot zu machen.
Die Universität Cagliari weigerte sich, Veranstaltungen Raum zu geben,
nachdem sie einen Brief von der Israelischen Botschaft erhalten hatte und
drohte auch noch, jegliche damit verbundene Verwendung ihres Logos rechtlich zu
verfolgen. Die Universität begründete ihre Entscheidung mit der
Bezugnahme auf die „Grundwerte des Pluralismus, des Abstandnehmens von
jeglicher ideologischen, konfessionellen und politischen Einflussnahme und des
vollständigen Respekts der Chancengleichheit auch unter verschiedenen
kulturellen Standpunkten“.
Sei es die Universität als auch die TU
Turin nahm die Genehmigung für die
Räumlichkeiten zurück, die für die Tätigkeiten der Apartheidwoche genutzt
werden sollten und rechtfertigte ihre Entscheidung mit einem angeblichen Mangel
an Gegenauffassungen.
In allen drei Fällen fanden die Veranstaltungen,
auch dank der Aktion der Studenten. trotzdem wie geplant
statt.
Einigen Berichten zufolge arbeitete der israelische Botschafter mit dem Rektor der
Universität zusammen, um Veranstaltungen an der Universität La Sapienza zu
„boykottieren“, aber die Studenten erhielten keine Mitteilungen und die
Veranstaltungen fanden trotzdem statt.
Stephanie Westbrook ist eine
US-Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Rom, Italien. Ihre Artikel sind auf Common
Dreams, The Electronic Intifada, Mondoweiss, In These Times und Z Magazine
veröffentlicht worden. Twitter: @stephinrome