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„Der gerechte Staat“ der Antikapitalistischen Muslime in der Türkei




Ayşe Akyürek Αϊσέ Ακγιουρέκ




Übersetzt von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی



Herausgegeben von 
Fausto Giudice Фаусто Джудиче فاوستو جيوديشي



Die Antikapitalistischen Muslime sind seit dem Fastenbrechen im Ramadan (iftar)
auf der Straße während der Ereignisse des Geziparks in Istanbul im
Frühjahr 2013 bekannt. Sie zweifeln nicht nur am Wirtschaftssystem,
sondern auch an der politischen Führung der Türkei und des Nahen Ostens.
Sie sind der Überzeugung, dass weder die Theokratie noch der Laizismus
Systeme sind, die zu dieser Region passen und schlagen deshalb das vor,
was sie den „gerechten Staat“ nennen.
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İhsan Eliaçık (der zweite sitzende Mann von links
im Bild) beim Forum von KESK (des Gewerkschaftsbundes der Beamten) in
Ankara. OnurT, 19.7.2013.


Der Ideologe der Antikapitalistischen Muslime ist İhsan Eliaçık1. In seiner Jugend war er Militant in der Bewegung Akıncı gençler (Junge Reiter)2.
2003 trennt er sich dann von seinen alten Genossen, die heute das Land
regieren, um seine eigenen Ideen über den Islam und das Schicksal der
Türkei auszuarbeiten. Er schlägt dann das Konzept des sozialen,
revolutionären, demokratischen und liberalen Islam vor, den er dem rein
metaphysischen Islam gegenüberstellt. Dieser spirituelle Islam, der
keinen direkten Einfluss auf das gesellschaftliche und alltägliche Leben
der Menschen nimmt, wäre in der Tat ein Träger von Aberglauben und
falschen Traditionen. Mit der Zielsetzung, die „tradierten Ideen zu
berichtigen und die göttliche Offenbarung zu aktualisieren“,
veröffentlicht Eliaçık 2003 seine eigene Koranübersetzung mit dem Titel
„Der lebendige Koran“ (Yaşayan Kur’an). Er erklärt sein Ziel, den
zeitlosen und universellen Charakter des Heiligen Buches des Islam zu
betonen und den Koran in ein Bezugsbuch für das alltägliche Leben machen
zu wollen.
Eliaçık zufolge widersprechen sich Marxismus und Islam nicht.
Er stellt einen Bezug zwischen den Begriffen des Eigentums, der
Bereicherung, der Schenkung, der Armensteuer und des Zinses, die häufig
im Koran zitiert werden, und den Begriffen der Materie, des Eigentums,
des Kapitals, des Geldes und der Arbeit im Kapital von Karl Marx her. Während Sozialismus und Kommunismus Gemeinsamkeiten mit dem Islam aufweisen, ist er der Meinung, dass dies für den Kapitalismus nicht der Fall ist. Daher rufen die Antikapitalistischen Muslime bei jeder Veranstaltung ihr Leitmotiv Abdestli kapitalizm („bereinigter
Kapitalismus“) aus: dieser Ausdruck greift das neue muslimische
Bürgertum an, das den Kapitalismus als religiöse Gewohnheiten tarnt. Die
konservativ-demokratische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung
(AKP), die in der Türkei an der Macht ist, ist derzeitig das Ziel dieser
Kritik. Diese neuen muslimischen Bürger, die damals Weggenossen von
Eliaçık waren und das Ideal eines „Islam ohne Grenzen und ohne Klassen“
teilten, haben sich seiner Meinung nach davon getrennt, um eine neue
Klasse zu erschaffen, deren „Ideologie“ von Karrieredenken und
Konformismus lebt.
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Das Logo der Antikapitalistischen Muslime mit „La“ (Nein auf Arabisch)

Friedliche Lösung der Konflikte

Die Bezeichnung
„Antikapitalistische Muslime“ könnte aber falsch oder wenigstens
unvollständig sein, um den Mann und seine Anhänger zu definieren. In der
Tat wird nicht nur das Wirtschaftssystem, sondern auch das politische
System im Rahmen eines internen Konfliktes in Frage gestellt. Eliaçık
nutzt die Fragen der ethnischen Minderheiten und im Besonderen die
Kurdenfrage, um seine Anschauung des Staates zu erörtern. Um das
sogenannte Problem der Gerechtigkeit und Gleichheit zu lösen und zu vermeiden, dass die Türkei eine leichte Beute des Imperialismus wird, schlägt Eliaçık vor, in Anatolien einen Staat der Gerechtigkeit (adalet devleti) zu gründen, der dem Gerechten System (adil düzen),
den Necmettin Erbakan in den 1990er Jahren entworfen hatte, nah ist:
ein islamisches System, das auf Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit
aller Konfessionen, jeglicher ethnischer Herkunft und aller
Gesellschaftsschichten basiert. Zu diesem Zwecke bezieht er sich auf die
Geschichte der Platzierung des schwarzen Steins innerhalb der Mauer der
Kaaba in Mekka. Der Konflikt zwischen den Stämmen, die sich alle für
die hielten, die dazu die stärkste Legitimation besaßen, wurde durch den
Schiedsspruch des Propheten Mohammed gelöst. Dieses Ereignis ist ein
Symbol der Loyalität und stellt somit auch ein Modell für die
Konfliktlösung dar, die im Vorderen Orient und vor allem in der Türkei
umgesetzt werden sollte 3.
Aber die
Gleichheit der Religionen scheint im Moment beeinträchtigt. Eliaçık
möchte nämlich die sozio-politischen Werte des Islam nicht aus dieser
neuen Staatsidee ausschließen4.
In diesem Sinne kann es sich nicht um einen neutralen Staat handeln. Er
schlägt eine Analyse vor, die auf vier Hauptereignissen fokussiert:
►Den „Bund der Tugendhaftigkeit“ (hilf al-fudul),
der unter verschiedenen Stämmen der Koreischiten einige Jahre vor der
Berufung des Propheten infolge eines Streitfalls bezüglich einer
ungerechten Transaktion geschlossen wurde;  
Die
Verfassung von Medina: Diese wurde im Jahre 622 Higra geschlossen und
ist ein Text, der von den Koreischiten und den Bewohnern von Medina
unterzeichnet wurde. Er legt die Gesetze über die persönlichen
Freiheiten, die Sicherheit, die Verteidigung und die Gerechtigkeit unter
den Stämmen fest;
Die Abschiedspredigt des Propheten (khutba al-wada) während
seiner letzten Pilgerreise nach Mekka. Das Hauptthema betrifft die
Menschenrechte, wie die Religionsfreiheit, die Gleichheit und die
Sicherheit;  
Die koranische Offenbarung zwecks Erfassung des politisch-sozialen Ideals des Propheten Mohammed.
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http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=16377