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Der Militärisch-industrielle Komplex ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden in unserer Zeit“, Interview mit Mohssen Massarrat.

von Jens Wernicke, Nachdenkseiten, „Der Militärisch-industrielle Komplex ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden in unserer Zeit“, Interview mit Mohssen Massarrat.

Kriege
beginnen mit Lügen, die von Geheimdiensten verbreitet gestreut und von
den Medien dann verbreitet werden. Kriege lösen keine Konflikte, sondern
schaffen neue. Aber Kriege sichern auch Rohstoffe, erschließen Märkte
und bringen Profit. Ist es wohl möglich, dass hinter all den
nachweislichen Kriegslügen der letzten Jahre und Jahrzehnte sowie dem
darauf initiierten Morden, das uns stets aufs Neue als „Notwehr“,
„Menschenfreundlichkeit“ oder „Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte
schmackhaft gemacht wurde, und das oftmals Plänen folgte, die bereits
seit Jahren oder Jahrzehnten in den Schubladen der Mächtigen lagen, sehr
konkrete Interessen und Akteure stehen, die strategisch agieren und in
der Lage sind, Kriege anzuheizen und initiieren? Folgt die Kriegslogik
also auch einer Profit- und Interesselogik, die zu bestimmten Instanzen
zurückzuverfolgen ist? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Mohssen Massarrat, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.


Herr Massarrat, Sie vertreten seit Längerem die Auffassung,
Friedenspolitik erfordere es inzwischen mehr denn je, auch und
insbesondere den sogenannten Militärisch-industriellen Komplex in den Fokus der Kritik zu nehmen. Was meinen Sie damit? Worum geht es?
Die Kriegsgegner reagieren gewöhnlich auf Kriege, wenn sie längst ausgebrochen sind. Im günstigsten
Fall beschäftigen sie sich kritisch mit offensichtlichen
Kriegsvorbereitungen und hoffen, den Krieg verhindern zu können. So oder
so läuft man de facto ständig den gewaltsamen Ereignissen hinterher und
reagiert letztlich nur auf Symptome. Dadurch bleibt die fundamentale
Struktur von Gewalt und Kriegsproduktion, die eigentliche Ursache von
globalen Kriegen, eben der Militärisch-industrielle Komplex, kurz MIK,
jenseits unseres Blickes verborgen. Und während wir uns wegen so viel
Unheil und Katastrophen, wie zum Beispiel jetzt im Mittleren Osten, als
immer ohnmächtiger empfinden, entwickelt dieser sich zu einem immer
mächtigeren Monster.
Deshalb gilt es, jetzt die Antikriegsaktivitäten mit einer
Aufklärung über den MIK zu verbinden. Nach so viel sicherem Wissen über
bewusste Kriegsplanungen, nach so viel Erfahrungen mit offensichtlich
gelenkter Medienpropaganda, um Menschen gezielt für die geplanten
Kriege, wie etwa die Jugoslawienkriege in den 1990ern und jene der
letzten fünfzehn Jahren im Mittleren Osten, zur Zustimmung zu bewegen,
sind die Voraussetzungen für die Demaskierung eines der schlimmsten Übel
unserer Gegenwart gar nicht so schlecht.
 
Und dieses Übel – wie konkret klassifizieren Sie es? Wer handelt da wie und wendet welche Methoden an? Geht es um Geheimdienste, einen „Staat im Staate“ oder ganz etwas anderes?
Eigentlich müsste man die Wurzeln des Militarismus zurückverfolgen,
die bis in die Ära der amerikanischen Bürgerkriege reichen. Seit dieser
Zeit entwickelte sich in Amerika eine Kultur der Selbstverteidigung,
die bis heute bei den Amerikanern, wie das verfassungsmäßig verbriefte
Recht auf Selbstbewaffnung zeigt, sehr lebendig ist.
Durch zahlreiche Kriege im 19. Jahrhundert, und vor allem durch den
zweiten Weltkrieg, wurde der MIK schließlich „too big to fail“, das
heißt tatsächlich zu einem verborgenen „Staat im Staate“: Er wuchs wie
ein Krebsgeschwür in allen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft, im
politischen System, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in den
kulturellen Einrichtungen und Medien.
Der MIK, das ist inzwischen ein riesiges und völlig
undurchschaubares Netzwerk, vor dem schon Eisenhower am 17. Januar 1961
bei seiner Abschiedsrede ungewöhnlich offen gewarnt hat. Als
republikanischer Präsident der Vereinigten Staaten war er offenbar mit
einem Netzwerk aus einem „gewaltigen militärischen Establishment und
einer mächtigen Rüstungsindustrie“ konfrontiert, so Eisenhower, das „neu
ist in der amerikanischen Geschichte“. Eisenhower schrieb seinen
Nachfolgern offenbar aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit diesem
neuen Netzwerk folgende Empfehlung ins Stammbuch: „In den Gremien der
Regierung müssen wir der Ausweitung, ob aktiv oder passiv, des
unbefugten Einflusses des militärisch-industriellen Komplexes vorbeugen.
Das Potential für einen verheerenden Anstieg der Macht an falschen
Stellen besteht und wird bestehen bleiben. Wir dürfen niemals zulassen,
dass diese einflussreiche Allianz unsere Freiheiten und demokratischen
Prozess gefährden.“
Der MIK war offensichtlich schon damals stärker als Amerikas
Demokratie. Er hat das schon vorhandene Netz um sämtliche
gesellschaftlichen Bereiche gespannt, alle Geheimdienste eingebunden,
den NSA geschaffen, zahlreiche neue Think Tanks und Stiftungen entstehen
lassen, die bestehenden infiltriert, die Forschung international in
seinem Sinne beeinflusst oder gar gelenkt, die Medien systematisch mit
eigenen Agenten unterwandert. Um ein Beispiel zu nennen: Die
Psychoanalyse leistet für die US-Geheimdienste wertvolle Arbeit. Und
umgekehrt sind diese Geheimdienste und US-Militärs, wie neue Studien belegen, eifrig dabei, sich ein ganzes Wissenschaftsgebiet in ihrem Sinne zu formen.
Schließlich ist der MIK heute nach über 60 Jahren und einem
unvorstellbaren nuklearen Wettrüsten während der Blockkonfrontation und
zahlreichen Kriegen, die er aller Wahrscheinlichkeit alle selbst
hervorgerufen hat, um ein Vielfaches mächtiger denn je.
 
Ich
darf aber davon ausgehen, dass der MIK nicht nur eine US-Eigenheit ist,
sondern, wenn auch wohl weniger mächtig und gewichtig, in allen
möglichen Ländern existiert? Karl Liebknecht wird hier etwa die Aussage
zugeschrieben: „Wie uns angeblich noch keiner – um mit Bismarck zu reden
– den preußischen Leutnant nachgemacht hat, so hat uns in der Tat noch
keiner den preußisch-deutschen Militarismus ganz nachzumachen vermocht,
der da nicht nur Staat im Staate, sondern geradezu ein Staat über dem
Staat geworden ist.“ Und die ganzen Verflechtungen von deutschen
Geheimdiensten und NSU, Islamisten und anderen geben Liebknecht ja heute
recht wie lange nicht mehr…
Da haben Sie recht. So etwas gibt es in vielen entwickelten
Ländern. Gleichwohl geht die größte Bedrohung für den Frieden aktuell
ganz evident vom US-amerikanischen MIK aus. Hier sind das größte und
aggressivste Militär der Welt mit den mächtigsten Geheimdiensten
derselben sowie einem offenen globalen Führungsanspruch, den man wohl
getrost als Imperialismus klassifizieren darf, vereint.

 

Wenn
Ihre Behauptung richtig ist, dass der MIK alle Kriege der USA selbst
hervorgerufen hat, dann hätten diese aber doch auch systematisch und
minutiös geplant und durchgeführt sein müssen. Ist diese Annahme nicht
etwas sehr gewagt? An der Blockkonfrontation war immerhin auch die
Sowjetunion beteiligt, um nur ein Beispiel zu nennen.
Fakt ist, dass es für die USA nach dem Zweiten Weltkrieg auch die
Alternative einer friedlichen Koexistenz mit der Sowjetunion gegeben
hat, beispielsweise durch die Neutralisierung Deutschlands, wie die SU
dies vorgeschlagen hatte. Dass jedoch die USA, noch vor Kriegsende in
Hiroshima und Nagasaki Atombomben einsetzten und nach dem Krieg
Westdeutschland in das westliche Lager eingebunden haben und rasch zu
einer Politik der Blockkonfrontation übergegangen sind, führe ich darauf
zurück, dass bereits während des Krieges der MIK sich mit der
Zielrichtung weltweiter US-Hegemonie auf der ganzen Linie durchgesetzt
und alle nicht konfrontativen Alternativen torpediert hatte.
Die Selbstbehauptungskräfte eines – zumal unproduktiven – Sektors,
der nur bestehen kann, wenn in der Welt neue Konflikte und Kriege
entstehen, entfalten schlicht und einfach eine ungeheure Dynamik und
blockieren alle Wege, die am Ende zum Frieden führen könnten. So ist es
meiner Einschätzung nach auch zu erklären, dass nach dem Sieg der
Alliierten in Deutschland ziemlich geräuschlos dem Kalten Krieg der Weg
geebnet und die Sowjetunion zu einem nuklearen Wettrüsten getrieben
wurde. Und so ist es ebenfalls zu erklären, dass nach dem Ende der
Blockkonfrontation und der Bereitschaft der SU unter Gorbatschow zu
umfassender Abrüstung, die USA diese Alternative ablehnten und
stattdessen mit dem neuen Konzept eines weltraum-gestützten
Raketenabwehrschirms aufwarteten, das ein neues Wettrüsten entfacht hat.
Dass nahezu alle US-Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg mit dreisten Lügen vom Zaun gebrochen wurden, ist inzwischen kein Geheimnis [PDF – 1.2 MB]
mehr. Der Vietnam- und im Grunde auch die Indochinakriege wurden mit
der Lüge des Zwischenfalls im Golf von Tonkin begonnen. Die
Bush-Regierung legitimierte den Irakkrieg mit der Lüge, dass Saddam
Hussein Atomwaffen besitze usw. usf. Ich kann und will einfach nicht
glauben, dass so viele Konflikt- und Kriegsereignisse in der jüngsten
Vergangenheit allesamt nur zufällig so systematisch hintereinander
stattfanden. Logischer und auch glaubwürdiger erscheint mir dagegen,
dass dahinter ein System steckt und dass der MIK als jene Instanz, die
hauptsächlich davon profitiert, auch die treibende Hauptkraft dieses
Systems der Kriegsproduktion ist.
 
ARD: Es begann mit einer Lüge – Deutschlands Weg in den Kosovo Krieg
Mir
scheint Ihre Darstellung ein wenig zu simpel… Es übersteigt schlicht
meine Vorstellungskraft, dass es möglich sein könnte, alle diese
Verbrechen nicht nur sozusagen systematisch zu planen, sondern dann auch
noch die Zustimmung der Bevölkerung hierfür einzuwerben…
Vergessen wir nicht die psychologische Bedeutung der offensichtlich gezielten Manipulation durch Feindbilder,
die gleich nach dem Sieg der Alliierten gegen den deutschen Faschismus
die Köpfe der Amerikaner und ihrer Verbündeten voll in Beschlag nahmen.
Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion gehörte die Bedrohung des
Westens durch den Kommunismus zum Alltag der Menschen, und dieses
Feindbild war vom öffentlichen Diskurs einfach nicht mehr wegzudenken.
Nach dem Ende der Blockkonfrontation wurde rasch der Islam
zum Ersatz für eine neue Bedrohung des Westens. Es gibt Indizien dafür,
dass Huntingtons Clash of Civilizations eine Auftragsstudie war. Sein
Buch wurde jedenfalls weltweit als wissenschaftliche Rechtfertigung für
die massive Bedrohung des Westens durch den Islam angesehen und das
lange vor 9/11.
Es kann auch nicht bestritten werden, dass das Schüren von Ängsten gegen eine Religion der fruchtbarste Boden ist, auf dem die Saat der Gewalt am besten gedeihen kann; zumal bei fanatisierten Moslems, die gerade dafür prädestiniert sind, die Opferrolle einzunehmen.
So gesehen war 9/11, wenn es tatsächlich überhaupt das Werk von Al Kaida war, das Ergebnis einer self-fulfilling prophecy von Huntingtons Clash of Civilizations: Fortan stand mit dem Terrorismus
ein neuer Feind fest, gegen den sofort der Krieg erklärt werden musste
und auch wurde, und der, wie George W. Bush junior ankündigte, „solange
geführt werden sollte, bis auch der letzte Terrorist getötet ist.“ Nicht
nur die Amerikaner, sondern auch die Staaten der sogenannten westlichen
Welt sprangen diesem Krieg Amerikas gegen den Terror alsdann nahezu
bedingungslos bei. Man drückte auch ein Auge zu, wenn bei diesem Krieg
massive Verletzungen der Menschenrechte wie Folter auf der Tagesordnung standen.
Das festzustellen und auf Kräfte und massive Interessen im
Hintergrund zu insistieren, mag dann tatsächlich wie eine von Anfang bis
Ende geplante Verschwörung einer finsteren Macht und deswegen undenkbar
erscheinen. Andererseits kann auch nicht bestritten werden, dass eine
Supermacht wie die USA durchaus in der Lage ist, einen
eskalationsträchtigen Prozess, wenn er denn erst einmal in Gang gekommen
ist, im eigenen Sinne zu steuern und auch zu gestalten.
Um dies an einem Beispiel zu konkretisieren, verweise ich auf die
mit der Rüstungsindustrie stark liierte frühere US-Außenministerin
Condoleezza Rice, die 2006, auf dem Höhepunkt des Atomkonflikts mit dem
Iran, bei einer Veranstaltung in Riad, der Hauptstadt von Saudi Arabien,
die sunnitischen Staaten aufgefordert hat, einen sunnitischen Gürtel zu
bilden, weil Iran angeblich längst dabei sei, zusammen mit Irak,
Libanon und Syrien, einen schiitischen Gürtel zu schaffen, um die eigene
Hegemonie im Mittleren Osten aufzubauen. Diese Intervention war
tatsächlich der Start für die darauf folgende Verschärfung der
Auseinandersetzung zwischen diesen beiden islamischen Strömungen und den
Konflikt in Syrien, einschließlich der Entstehung des Islamischen
Staates. Außerdem gilt: Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und
viele andere innerhalb und im Umfeld der Bush-Regierung kommen alle aus
dem Rüstungssektor. McCain, der republikanische Sprecher des
Auswärtigen Ausschusses im US-Kongress und der schärfste Kritiker von
Dialog und Kooperation mit Iran zur Lösung des Atomkonflikts sowie mit
Russland zur Beilegung des Ukraine-Konflikts ist ein
Vietnam-Kriegsveteran. Und er war bei sowohl bei der Maidan-Revolution
als auch in Syrien bei den Assadgegnern immer als Erster mit dabei.
Tatsächlich sind inzwischen aus einer Handvoll Al Kaida-Terroristen
unvergleichbar größere Terrorgruppen wie etwa die Al Nusra-Front und
der sogenannte Islamische Staat
hervorgegangen und sollten wir dabei auch nicht übersehen, dass die
Mobilisierung und Instrumentalisierung der öffentlichen Meinung auch
durch andere subtile Methoden, wie beispielsweise die Dämonisierung
vermeintlicher Feinde, erfolgt: Je nach Bedarf wurde mal Ghaddafi, mal
Saddam Hussein zum neuem Hitler auserkoren, der Iran im Atomkonflikt so
dämonisiert, dass aller Wahrscheinlichkeit nach die westliche
Öffentlichkeit einen Krieg gegen dieses Land letztlich hinnehmen würde.
Und auch Putin wurde tagein, tagaus systematisch und intensiv
dämonisiert, als er sich dem offensichtlichen Versuch, die Ukraine in
die EU einzubinden, aktiv widersetzte.
Gerade im Fall des Ukraine-Konflikts konnten wir alle erleben, wie
durch einseitige Medienberichterstattung die antirussische Propaganda im
Westen Platz greifen konnte und wie sich in Europa eine beängstigende
Vorkriegsstimmung breitmachte. Ich kann mir gut vorstellen – und
teilweise ist das auch längst belegt
-, dass im Hintergrund solcher Entwicklungen eine ganze Reihe
einflussreicher Denkfabriken und Netzwerke dafür bezahlt werden, je nach
Bedarf politische PR-Kampagnen zu konzipieren und alles, was zur
psychologischen Kriegsführung gehört, bei jeder Kriegsentscheidung mit
voranzutreiben. Und die Geheimdienste selbst tun natürlich ihr Übriges.
Dass das leitende Personal der sogenannten Qualitätsmedien in gut
organisierten Netzwerken ganz im Sinne des MIK bei nahezu jedem Konflikt
der USA die vom Pentagon gelieferten Analysen und Einschätzungen dann
kritiklos verbreitet, ist inzwischen ja ein offenes Geheimnis. Es wäre
daher keine Schwarzmalerei, festzustellen, dass die westliche
Medienkultur in unserer Gegenwart von der Kant’schen Idee der
Kooperation und des Friedens offenbar nichts mehr hält, sehr viel
dagegen jedoch von der Idee der Konfrontation, der Bedrohung, der
permanenten Beschwörung von Feindbildern sowie von Thomas Hobbes‘
Menschenbild, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Deshalb wundert es
kaum, dass bei der Dominanz einer solchen Kultur die Friedensbewegung
stets den Kriegsereignissen hinterherläuft und dass Friedensperspektiven
kaputt geredet werden, während der MIK mit Leichtigkeit für alle
Konflikte und Kriege, die er zum eigenen Überleben inszeniert, die
öffentliche Meinung auf seiner Seite hat.
Laut Folterbericht des US-Senats vom Dezember 2014, um nur ein
Beispiel dafür zu geben, wie tief die Kultur des Krieges in der
US-amerikanischen Gesellschaft verwurzelt ist, haben zwei Psychologen
für 80 Millionen Dollar für die CIA neue Foltermethoden entwickelt. Als
dies bekannt wurde, haben sie ihre menschenfeindlichen Dienste auch noch
mit der Begründung öffentlich verteidigt, diese basierten auf
wissenschaftlicher Grundlage…
 
Wie
ist es aber zu erklären, dass die Amerikaner die ungeheuren Kosten der
zahlreichen US-Kriege und der Bereitstellung von Personal und
Kriegsmaterial mehr oder weniger hinnehmen? Immerhin sind die USA eine
funktionierende Demokratie und die Parteien sind mit Kritik der jeweils
herrschenden Regierung nicht gerade zimperlich. Der Konflikt um die
Zustimmung zum Haushalt artet oft in der Blockade der Gehaltszahlungen
für die Ministerien und die Regierungsarbeit aus. Halten Sie die
herrschende Propaganda wirklich für so mächtig, dass sie die Menschen
fast bedingungslos zu beeinflussen vermag?
Das ist in der Tat eine sehr wichtige Frage. Tatsächlich gehört in
den USA eine öffentliche Debatte über die militärischen Kosten zu den
Tabuthemen. Wenn bei den Haushaltsberatungen das Thema Verteidigungsetat
überhaupt angeschnitten wird, dann wegen zu niedriger Steigerungsraten.
Man kommt nicht umhin, anzunehmen, dass es zwischen den US-Parteien den
Konsens gibt, die Rüstungsausgaben stets zu erhöhen. Und auch innerhalb
der EU gibt es ja derartige Bestrebungen. Beispielsweise wollten die
EU-Kriegsparteien vor einigen Jahren die Steigerung von Rüstungsausgaben
sogar in der Verfassung festschreiben, was glücklicherweise gescheitert
ist. Was aber die Finanzierung der gigantischen Rüstungsausgaben der
USA betrifft, die gerade in der letzten Dekade sehr drastisch und auf
die astronomische Summe von bis zu über 700 Milliarden Dollar jährlich
gesteigert wurde, so haben sich alle Regierungen zu diesem Zweck immer
wieder verschuldet.
Gerade die permanente Verschuldung für die Rüstungsausgaben, also
für öffentliche Investitionen in einen unproduktiven Sektor, die deshalb
auch keine Steuern auf die Einnahmeseite generieren, ist vermutlich der
Hauptgrund dafür, dass die USA mit über 17.000 Milliarden Dollar
inzwischen zum größten Schuldnerstaat der Welt geworden sind. Jeder
andere Staat wäre mit diesen Schulden längst pleite gegangen. Die
Sowjetunion ist beispielsweise unter der massiven Last des in den 1980er
Jahren initiierten Todrüstens zusammengebrochen. Aber den USA geschieht
deshalb kein finanzielles Desaster, weil die US-Regierung, dank ihres
Monopols an der Weltwährung und des Vertrauens, das internationale
Kapitalanleger in die Stabilität des Dollars haben, ihre Neuverschuldung
mit Staatsanleihen, die sie bei der US-Notenbank Fed gegen Cash
eintauschen, finanzieren.
Die Fed vermarktet einerseits die Staatsanleihen auf dem Globus und
bewirkt dadurch einen ständigen Kapitalfluss in die US-Ökonomie,
während sie andererseits die Notenpresse anwirft und die Regierung zur
Finanzierung der laufenden Rüstungsausgaben mit neu gedrucktem Geld
versorgt. Im Grunde finanzieren die USA die Kosten des MIK nicht mit den
Steuergeldern der eigenen Bevölkerung, sondern mit dem der kumulierten
Kaufkraft aus der ganzen Welt, das Amerika als Kapital geradezu wie ein
Schwamm aufsaugt.
Dieser Sachverhalt mag vielleicht auch der Grund sein, warum die
Rüstungsfinanzierung in der US-Öffentlichkeit kein Thema ist und kaum
jemanden stört. Dieses unglaublich hinterhältige Finanzierungsmodell der
eigenen Kriege setzt allerdings voraus, dass der Ölhandel weltweit auf
Dollarbasis erfolgt. Diese Bedingung kann jedoch nicht durch die
freiwillige Bereitschaft der Ölexporteure garantiert werden, zumal viele
dieser Ölstaaten nicht für ihre Amerikahörigkeit bekannt sind. Vielmehr
erfordert diese Bedingung ein globales Gewaltsystem, das die
rebellischen Ölstaaten die nackte Gewalt potentieller Regime Changes spüren lässt und dafür sorgt, dass das Vertrauen in den Dollar erhalten bleibt.
Unter diesem Blickwinkel erscheinen auch sämtliche Kriege der USA
im Mittleren Osten in einem neuen Licht. Die Zerschlagung von starken
zentralistischen Staaten wie dem Irak und die Entstehung von
terroristischen Gruppen, wie des sogenannten Islamischen Staates, sind
-solange das Geschäft Öl gegen Waffen ungestört bleibt – dem erwähnten
Gewaltsystem dabei alles andere als abträglich. Und genau an dieser
Stelle treffen die Interessen von US-Regierungen und MIK zusammen und
schließt sich der Kreislauf von globalem Gewaltsystem, Ölhandel auf
Dollarbasis und Stabilität der US-Ökonomie durch drastische
Kapitalimporte.
Ich will es hier mit diesen wenigen Hinweisen belassen, auch, da ich diese Thematik an anderen Stellen [PDF – 138 KB] bereits ausführlicher behandelt habe.
 
Wenn
es also ein solches „Netzwerk“ im Hintergrund der Demokratie, einen
solchen „Staat im Staate“ gibt und dieser eine immer größere Bedrohung
für den Frieden in der Welt darstellt – was und wie kann die
Friedensbewegung hiergegen denn vorgehen und Frieden durchsetzen?
Demonstrationen und Appelle gegen den womöglich mächtigsten und
finanzstärksten Apparat der Welt erscheinen mir eher aussichtslos zu
sein. Was schlagen Sie vor? Gibt es eine Strategie?
Meiner Einschätzung nach sollte der MIK bei allen Aktivitäten der
Friedensbewegung ins Zentrum der Kritik gerückt werden. Der
Militärisch-industrielle Komplex ist die größte Bedrohung für den
Weltfrieden unserer Zeit. Kampagnen gegen Rüstungsexporte sind weiterhin
wichtig, reichen allein aber nicht aus. Nötig ist meiner Einschätzung
nach eine weltweite Kampagne zur Ächtung der Waffenproduktion. Und dazu
müsste mit Kirchen und Religionsgemeinschaft enger diskutiert und auch
zusammengearbeitet werden.

Wichtig
erscheint mir auch die Bekämpfung der herrschenden Kultur des Krieges,
die alle medialen Kriegsrechtfertigungen und die Kriegspropaganda massiv
befördert. Diese Kultur muss als menschenfeindlich dekodiert und
erschüttert werden. Der Aufbau einer Kultur des Friedens ist zwar die
Jahrhundertaufgabe, die Idee der Kooperation hat allerdings eine große
Anziehungskraft.

http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=16350