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„In einem endlosen Krieg gegen den Terror sind wir alle verurteilt, Palästinenser zu werden“

by Jonathan Cook, Tlaxcala, 29. August 2015. Übersetzt von Inga Gelsdorf und Ellen Rohlfs, herausgegeben von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Halpers neues Buch wirft ein Licht
auf die Rüstungsindustrie, indem es behauptet, dass Israel nun die trendigste
Nation der Welt hinsichtlich der Streit- und Polizeikräfte ist.  
Seit 18
Jahren befindet sich Jeff Halper an der vordersten Front des
israelisch-palästinensischen Konfliktes und hilft beim Wiederaufbau der von
Israel zerstörten palästinensischen Häuser in den besetzten Gebieten. Da er
seinen Rücktritt als Verantwortlicher des israelischen Komitees gegen die
Hauszerstörung (ICAHD) plant, veröffentlicht er nun ein neues Werk über
Israel.
Halpers
wichtigste Schlussfolgerung ist beunruhigend: Israel ist im Begriff,
Palästina zu globalisieren.
Die
weitreichende Forschungsarbeit des ehemaligen Professors für
Anthropologie hat ihn gezwungen, zu einer Einschätzung zu gelangen, mit der
er nicht zurechtkommt, und das ist die der globalen Rüstungsindustrie.
Jeff Halper
Halper
behauptet, dass Israel den finanziellen und zugleich diplomatischen Zugang zu
Steuersystemen hat, die es in den besetzten Gebieten entwickelt hat. Es
exportiert sein Knowhow an globale Eliten, die sich eifrig darum bemühen,
ihre Privilegien sei es vor externen als auch internen Wettbewerbern zu
schützen.

In einer
Welt, die in einen sogenannten endlosen Krieg gegen den Terror verwickelt
ist, könnten wir alle eine Zukunft als Palästinenser erleben.
Halpers
Buch mit dem Titel „War against the People“ („Krieg gegen das Volk“), das im
nächsten Monat veröffentlicht wird, geht davon aus, dass Israel einen
einzigartigen Einblick in die letzten Entwicklungen verschafft, die Halper
als „sicherheitstechnische Kriegsführung“ bezeichnet.
Die
zentrale These des Buches kam auf, als er versuchte zu verstehen, warum das
winzige Israel Wege einschlägt, die sein  wirtschaftliches, politisches
und militärisches Gewicht überschreiten. Woher hat Israel so viel Macht
– nicht nur in den USA und in Europa, sondern überraschender Weise auch
in so unterschiedlichen Ländern wie Indien Brasilien und China?
Keine der
üblichen Erklärungen – Holocaust-Schuld, Macht der Lobbies, selbst der
wachsende christliche Fundamentalismus – scheinen eine ausreichende Antwort
zu geben.
Globale Befriedung
Zeev Maoz,
ein israelischer Professor für Politikwissenschaften in Kalifornien, bringt
Halper auf eine andere Spur. Er hat beobachtet, dass eines der Leitprinzipien
der zionistischen Bewegung darin bestand, sich an einen Hegemon zu binden,
indem man diesem dient“, so Halper.
Die
Zionisten taten dies schon früh, indem sie die Briten in Palästina
unterstützten. Nach der Staatsgründung half Israel den Franzosen und Briten
1956 bei der Suez-Krise, und nach 1967 diente Israel während des kalten Krieges
als Stützpunkt für die USA im Nahen Osten.
Israels
wachsender Einfluss reflektiert heute seine Stellung im Zentrum
der schnell aufkeimenden „globalen Befriedungsindustrie, die
militärische Streitkräfte, Polizeikräfte und interne Sicherheitsagenturen
weltweit berät und unterstützt“, so Halper.
In der
Welt nach dem 11. September ist Israel der Sicherheitskönig oder das
„Sicherheitsland“, wie es ein bedeutender israelischer Analytiker kürzlich
beschrieb.
Und
bezeichnenderweise beginnt Israel seine Nützlichkeit durch weitere
politische und diplomatische Unterstützung zu erweitern, sagt Halper, selbst
wenn die internationale Gemeinschaft wegen der fast 50 Jahre langen Besatzung
verärgert ist. Eine solche Unterstützung, die sogar den Großteil der arabischen
Welt einschließt, bleibt oft verborgen.
US-Präsident
Dwight Eisenhowers ernste Warnung vor den 1950er-Jahren, in denen ein wild
wachsender „militärisch-industrieller Komplex“ drohte, eine wirkliche Macht
hinter einer Fassade populärer Demokratie zu werden, muss an unsere Zeit
angepasst werden, so Halper.
Er
beschreibt das Aufkommen des sogenannten „Raketenkomplexes“: die
Vorherrschaft der USA und ihrer Verbündeten in allen Bereichen durch die
gemeinsame Tätigkeit des Militärs, der inneren Sicherheit, der Überwachung,
der Geheimdienste und der Strafverfolgung.
Nach
Jahrzehnten der Kontrolle der Palästinenser unter Besatzung ist
Israel auf all diesen Gebieten konkurrenzlos. Es nutzt die besetzten
Gebiete als riesiges Labor für die Entwicklung und das Testen neuer Ideen,
Technologien, Taktiken und Waffen. 
Eine militärische Supermacht
Als wir
uns in seiner Wohnung in West-Jerusalem trafen, betonte Halper eifrig, dass
es ihm nur um die Skizzierung der Hauptaspekte der neuen US-geführten
globalen Befriedungsindustrie ginge. Er hat dabei ein weithin unerforschtes
Gebiet betreten. Journalisten, Analytiker und Akademiker haben die notwendige
Untersuchung vermieden, behauptet er. Sie ziehen es vor, innerhalb ihrer
engen Spezialgebiete zu bleiben.
Halper ist
an der Analyse des „großen Bildes“ interessiert, indem er die verschiedenen
Punkte miteinander verbindet. Und dies zwang ihn, unbekannte Gebiete zu
erforschen, Schlüsseltexte über Sicherheitsstudien zu lesen und Werke von
Terrorismus-Experten zu durchforsten und Generäle mit Auszeichnungen zu
treffen.
Halper
hebt hervor, dass Israel um die 8 % seines BIP im Jahr ins Militär
investiert. Dies entspricht ungefähr den doppelten Prokopfausgaben der USA.
Trotz seiner geringen Größe hat Israel eine größere Luftwaffe als jedes
europäische Land.
In Israel
befinden sich vier der 100 größten Rüstungsfabriken der Welt. Israel gehört
zu den 10 besten Waffenherstellern der Welt und erreicht manchmal sogar den
vierten Platz. Der globale Militarisierungs-Index hat Israel seit 2007
jedes Jahr als die militarisierteste Nation des Planeten ausgezeichnet.
Im Mai
erhielt Israel eine neue Auszeichnung und wurde zur „Cyber-Supermacht“: seine
Firmen verkauften nämlich ein Zehntel der weltweiten Sicherheitstechnologie
für Computer und Netzwerke.
Dieser
Schwerpunkt auf Militär- und Waffensysteme hat Israel in offizielle
militärische Beziehungen mit 130 Ländern gebracht, worunter vielen
Diktaturen, deren Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. Berichten zufolge
hat sich Israel in noch mehr zweifelhafte und heimliche Geschäfte mit
zusätzlichen Regimen eingelassen.
In diesem
Monat legten die Vereinten Nationen offen, dass Israel ein westliches
Waffenembargo gebrochen hat, indem es Waffen in den Süd-Sudan verkaufte und
so den Bürgerkrieg dort entfachte. Kritikern zufolge agieren auch israelische
Ratgeber und Trainer illegal im Süd-Sudan.
Das Ende der konventionellen Kriege
„Aber
Israels wahres Talent”, so Halper, „besteht in der Nutzung der neuen
Fokussierung auf die sicherheitstechnische Kriegsführung“.
„Kriege
zwischen Staaten gehören weitgehend der Vergangenheit an“, meint er. „Bei der
neuen Art der Kriegsführung sind F-35-Jets und Atomwaffen weit weniger
brauchbar. Was benötigt wird, sind die Fertigkeiten, die Israel nach einem
Jahrhundert der „Bekämpfung der palästinensischen  Aufstände” erworben
hat. Israel ist das Land, das man besucht, wenn es um sicherheitstechnische
Kriegsführung geht“.
„Die
Notwendigkeit dieser Art der Kriegsführung rückte infolge des US-Angriffs
gegen den Irak im Jahr 2003 ins Scheinwerferlicht”, stellt er fest.
Konventionelle Kriege zwischen Staaten beinhalten traditionell drei Phasen:
die Vorbereitungen der Operation, den aktuellen Angriff und das Ergebnis.
Aber der
Irak – so wie zuvor auch Afghanistan – zeigte eine vierte Phase: die
Notwendigkeit der Stabilisierung und der Erhaltung des Friedens nach dem
Regimewechsel.
Die
Befriedungsindustrie, die seit dem 11. September geboomt hatte, stellt Halper
fest, breite sich erneut im Westen aus. Da das Militär viele der Aufgaben
einer Polizeitruppe bei externen Kriegen wie zum Beispiel, dem Irak und
Afghanistan, übernimmt, wird die Polizei nach ihrer Rückkehr immer mehr
militarisiert. Die Polizei in Ferguson ist von ihren Kameraden in der US-Armee
im Irak nicht zu unterscheiden.
„Wir
erleben das Aufkommen eines Staates, der auf die Sicherheit des Menschen
fokussiert. Damit führt er einen endlosen „Krieg gegen den Terror” und
versetzt die Welt in einen permanenten Ausnahmezustand. Die traditionellen
festen Mauern zwischen Polizei und Militär, zwischen inländischen
Geheimdiensten und denen in Übersee – wenn Sie wollen, zwischen dem FBI und
der CIA – bröckeln.”
Kriegspolizisten
Für die
Eliten, die die Gefahr um jede Ecke lauern sehen, hat Israel eine Antwort,
die des sogenannten „Kriegspolizisten“. Seit Jahrzehnten agiert Israel mit
paramilitärischen Streitkräften, wie der Grenzpolizei, und auch mit
Geheimdiensten, wie dem Shin Bet, dessen operationeller Verantwortungsbereich
nicht durch Unterscheidungen zwischen Israel und den besetzten,
palästinensischen Gebieten eingeengt wird.
„Israel
erschuf das Modell lange vor der Zusammenarbeit zwischen Militär und Polizei
und ist nun bereit, die Welt zu trainieren”, behauptet Halper abschließend.
Dieser
Aspekte wurde diese Woche betont, als die israelische Regierung ankündigte,
dass der langjährige Armee-Offizier Gal Hirsch nun zum Leiter der
israelischen Polizeikräfte von Israels Nationalpolizeikräften ernannt würde.
Was steht
auf dem Spiel? Versuchen die USA und Europa nicht, sich gegen wahre
Terrorbedrohungen zu verteidigen? Halper glaubt, dass diese Entwicklungen im
weiteren Rahmen der kapitalistischen Weltordnung analysiert werden müssen.
Er glaubt,
es sei kein Zufall, dass die USA globale Terrorbedrohungen zur selben Zeit
hochstilisieren, in der Reichtum und Macht entterritorialisiert wurden und
ein Archipel von Eliteinteressen schufen, die von Teilen der USA und Europa
bis nach Singapur und zu den Jungfraueninseln reichen.
Transnationale
Unternehmen brauchen Sicherheitskorridore für den Fluss von Kapital und
Arbeit, argumentiert er, während sich der Großteil des Restes der Welt in
Ödland oder Slums verwandelt.
Die Sorge
ist, wie man eine soziale Ordnung zur Förderung des Kapitalismus aufrechterhalten
kann, während große Landstriche der Welt verarmt sind und Migranten
versuchen, aus ihrer verzweifelten Notlage zu entfliehen.
Und da hat
Israel sich eingeschaltet. Der Ort, an dem Israel seine Ideen entwickelt und
diese getestet habe, seien die besetzten Gebiete, so Halper.
Die
Kontrolle über Gaza, zum Beispiel, bietet ein Muster für andere Staaten, die
von interner Überwachung, Grenzsicherheit, Stadtkrieg, Bedrohung durch
Migration und vielem mehr betroffen sind.
„Die
Palästinenser sind in dieser Hinsicht eine wichtige Quelle für Israel. Ohne
die besetzten Gebiete wäre Israel Neuseeland. Es wäre ein Reiseziel für
Touristen und kein regionaler Hegemon.”
Ein Platz am Tisch der NATO
Israels
Waffenindustrie dient nicht nur dazu, Geld zu verdienen. „Sie bringt Israel
an einen Tisch mit NATO-Ländern.” Israel führt Militärübungen mit der NATO
durch und unterstützt die NATO bei der Entwicklung von Beobachtungsdrohnen
für die Europäer.
Es habe
auch immer engere Beziehungen zu Regimen, die angeblich seine Feinde sind,
wie zum Beispiel Saudi Arabien, sagt Halper. „Die Saudis finanzieren ISIS
[den Islamischen Staat], wie kann man also ihre Allianz mit Israel erklären?
Der gemeinsame Nenner ist die „Sicherheitspolitik“. Es gibt keine zwei
Länder, die größeres Interesse daran hätten als Israel und Saudi Arabien.”
Als die
Saudis 2002 die Arabische Friedensinitiative enthüllt haben, argumentiert
Halper, hätten sie als Gegenleistung für ein Ende der Besatzung die
Anerkennung Israels als regionaler Hegemon durch die arabische Welt
angeboten.
Zahlt sich
denn Israels Dienlichkeit diplomatisch aus?
Es gibt
Anzeichen dafür, dass dem immer mehr so ist. Der Economist gab kürzlich
bekannt, dass Indien, das eine lange Erfolgsgeschichte bei der Unterstützung
der Palästinenser hat, unter den fünf Ländern war, die sich ihrer Stimme
bezüglich einer Resolution des UN-Menschenrechtsrats letzten Monat
enthielten, die Israels Verhalten bei dem 51-tägigen Angriff gegen Gaza im
letzten Sommer kritisierte, bei dem über 500 Kinder getötet wurden.
Das
Magazin fügte hinzu, dass israelische Vertreter glauben, dass die wachsende
Abhängigkeit der internationalen Gemeinschaft von dessen Waffen seine
Verletzlichkeit im Hinblick auf die Boykott-Bewegung (BDS) auf lange Sicht
reduzieren wird.
Halper
weist darauf hin, dass Nigeria, ein weiteres Land, das von israelischen
Waffen abhängig wurde, ebenfalls seine traditionelle Unterstützung der
Palästinenser aufgegeben hat.
Nigeria
rettete Israel und die USA letzten Dezember von einer großen Peinlichkeit,
als es im UN-Sicherheitsrat gegen eine palästinensische Resolution stimmte,
die ein Ende der Besatzung verlangte. Die USA hatten nämlich befürchtet, ihr
Veto einlegen zu müssen.
Halper
betont, dass die USA immer noch mit einigem Abstand der größte Waffenhändler
der Welt seien. Aber in seinem Gerangel, um die Nischen auszufüllen, hilft
Israel ein Licht auf das wahre Ziel der Waffenindustrie zu werfen: nicht
Sicherheit, sondern Befriedung.
„Wenn Sie
es „Sicherheit“ nennen, beenden sie die Debatte. Wer will schon keine
Sicherheit? Aber wenn Sie es als „Befriedung“ neu definieren, werden die
wahren Ziele bedeutend klarer.”
ISBN: 9780745334301
Extent: 352pp
Release
Date:
20 Sep
2015
Size: 215mm x 135mm
Format: Paperback

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„In einem endlosen Krieg gegen den Terror sind wir alle verurteilt, Palästinenser zu werden“





Jonathan Cook جونثان كوك




Übersetzt von 
Inga Gelsdorf
 – 
Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس



Herausgegeben von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی


Halpers
neues Buch wirft ein Licht auf die Rüstungsindustrie, indem es
behauptet, dass Israel nun die trendigste Nation der Welt hinsichtlich
der Streit- und Polizeikräfte ist.  
Seit 18 Jahren befindet sich Jeff Halper an der vordersten Front
des israelisch-palästinensischen Konfliktes und hilft beim Wiederaufbau
der von Israel zerstörten palästinensischen Häuser in den besetzten
Gebieten. Da er seinen Rücktritt als Verantwortlicher des israelischen
Komitees gegen die Hauszerstörung (ICAHD) plant, veröffentlicht er nun
ein neues Werk über Israel.
Halpers wichtigste Schlussfolgerung ist beunruhigend: Israel ist im Begriff, Palästina zu globalisieren.
Die weitreichende Forschungsarbeit des ehemaligen Professors für
Anthropologie hat ihn gezwungen, zu einer Einschätzung zu gelangen, mit
der er nicht zurechtkommt, und das ist die der globalen
Rüstungsindustrie.
http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11525.jpg
Jeff Halper
Halper behauptet, dass Israel den finanziellen und zugleich
diplomatischen Zugang zu Steuersystemen hat, die es in den besetzten
Gebieten entwickelt hat. Es exportiert sein Knowhow an globale Eliten,
die sich eifrig darum bemühen, ihre Privilegien sei es vor externen als
auch internen Wettbewerbern zu schützen.
 
In einer Welt, die in einen sogenannten endlosen Krieg gegen den
Terror verwickelt ist, könnten wir alle eine Zukunft als Palästinenser
erleben.
 
Halpers Buch mit dem Titel „War against the People“ („Krieg gegen
das Volk“), das im nächsten Monat veröffentlicht wird, geht davon aus,
dass Israel einen einzigartigen Einblick in die letzten Entwicklungen
verschafft, die Halper als „sicherheitstechnische Kriegsführung“
bezeichnet.
 
Die zentrale These des Buches kam auf, als er versuchte zu
verstehen, warum das winzige Israel Wege einschlägt, die sein
 wirtschaftliches, politisches und militärisches Gewicht überschreiten.
 Woher hat Israel so viel Macht – nicht nur in den USA und in Europa,
sondern überraschender Weise auch in so unterschiedlichen Ländern wie
Indien Brasilien und China?
 
Keine der üblichen Erklärungen – Holocaust-Schuld, Macht der
Lobbies, selbst der wachsende christliche Fundamentalismus – scheinen
eine ausreichende Antwort zu geben.
Globale Befriedung
Zeev Maoz, ein israelischer Professor für Politikwissenschaften in
Kalifornien, bringt Halper auf eine andere Spur. Er hat beobachtet, dass
eines der Leitprinzipien der zionistischen Bewegung darin bestand, sich
an einen Hegemon zu binden, indem man diesem dient“, so Halper.
Die Zionisten taten dies schon früh, indem sie die Briten in
Palästina unterstützten. Nach der Staatsgründung half Israel den
Franzosen und Briten 1956 bei der Suez-Krise, und nach 1967 diente
Israel während des kalten Krieges als Stützpunkt für die USA im Nahen
Osten.
 
Israels wachsender Einfluss reflektiert heute seine Stellung im
Zentrum der schnell aufkeimenden „globalen Befriedungsindustrie, die
militärische Streitkräfte, Polizeikräfte und interne
Sicherheitsagenturen weltweit berät und unterstützt“, so Halper.
In der Welt nach dem 11. September ist Israel der Sicherheitskönig
oder das „Sicherheitsland“, wie es ein bedeutender israelischer
Analytiker kürzlich beschrieb.
 
Und bezeichnenderweise beginnt Israel seine Nützlichkeit durch
weitere politische und diplomatische Unterstützung zu erweitern, sagt
Halper, selbst wenn die internationale Gemeinschaft wegen der fast 50
Jahre langen Besatzung verärgert ist. Eine solche Unterstützung, die
sogar den Großteil der arabischen Welt einschließt, bleibt oft
verborgen.
 
US-Präsident Dwight Eisenhowers ernste Warnung vor den
1950er-Jahren, in denen ein wild wachsender „militärisch-industrieller
Komplex“ drohte, eine wirkliche Macht hinter einer Fassade populärer
Demokratie zu werden, muss an unsere Zeit angepasst werden, so Halper.
 
Er beschreibt das Aufkommen des sogenannten „Raketenkomplexes“: die
Vorherrschaft der USA und ihrer Verbündeten in allen Bereichen durch
die gemeinsame Tätigkeit des Militärs, der inneren Sicherheit, der
Überwachung, der Geheimdienste und der Strafverfolgung.
 
Nach Jahrzehnten der Kontrolle der Palästinenser unter Besatzung
ist Israel auf all diesen Gebieten konkurrenzlos. Es nutzt die besetzten
Gebiete als riesiges Labor für die Entwicklung und das Testen neuer
Ideen, Technologien, Taktiken und Waffen. 
Eine militärische Supermacht
Als wir uns in seiner Wohnung in West-Jerusalem trafen, betonte
Halper eifrig, dass es ihm nur um die Skizzierung der Hauptaspekte der
neuen US-geführten globalen Befriedungsindustrie ginge. Er hat dabei ein
weithin unerforschtes Gebiet betreten. Journalisten, Analytiker und
Akademiker haben die notwendige Untersuchung vermieden, behauptet er.
Sie ziehen es vor, innerhalb ihrer engen Spezialgebiete zu bleiben.
 
Halper ist an der Analyse des „großen Bildes“ interessiert, indem
er die verschiedenen Punkte miteinander verbindet. Und dies zwang ihn,
unbekannte Gebiete zu erforschen, Schlüsseltexte über Sicherheitsstudien
zu lesen und Werke von Terrorismus-Experten zu durchforsten und
Generäle mit Auszeichnungen zu treffen.
 
Halper hebt hervor, dass Israel um die 8 % seines BIP im Jahr ins
Militär investiert. Dies entspricht ungefähr den doppelten
Prokopfausgaben der USA. Trotz seiner geringen Größe hat Israel eine
größere Luftwaffe als jedes europäische Land.
 
In Israel befinden sich vier der 100 größten Rüstungsfabriken der
Welt. Israel gehört zu den 10 besten Waffenherstellern der Welt und
erreicht manchmal sogar den vierten Platz. Der globale
Militarisierungs-Index hat Israel seit 2007 jedes Jahr als die
militarisierteste Nation des Planeten ausgezeichnet.
Im Mai erhielt Israel eine neue Auszeichnung und wurde zur
„Cyber-Supermacht“: seine Firmen verkauften nämlich ein Zehntel der
weltweiten Sicherheitstechnologie für Computer und Netzwerke.
 
Dieser Schwerpunkt auf Militär- und Waffensysteme hat Israel in
offizielle militärische Beziehungen mit 130 Ländern gebracht, worunter
vielen Diktaturen, deren Menschenrechtsverletzungen bekannt sind.
Berichten zufolge hat sich Israel in noch mehr zweifelhafte und
heimliche Geschäfte mit zusätzlichen Regimen eingelassen.
 
In diesem Monat legten die Vereinten Nationen offen, dass Israel
ein westliches Waffenembargo gebrochen hat, indem es Waffen in den
Süd-Sudan verkaufte und so den Bürgerkrieg dort entfachte. Kritikern
zufolge agieren auch israelische Ratgeber und Trainer illegal im
Süd-Sudan.
Das Ende der konventionellen Kriege
„Aber Israels wahres Talent”, so Halper, „besteht in der Nutzung
der neuen Fokussierung auf die sicherheitstechnische Kriegsführung“.
 
„Kriege zwischen Staaten gehören weitgehend der Vergangenheit an“,
meint er. „Bei der neuen Art der Kriegsführung sind F-35-Jets und
Atomwaffen weit weniger brauchbar. Was benötigt wird, sind die
Fertigkeiten, die Israel nach einem Jahrhundert der „Bekämpfung der
palästinensischen  Aufstände” erworben hat. Israel ist das Land, das man
besucht, wenn es um sicherheitstechnische Kriegsführung geht“.
 
„Die Notwendigkeit dieser Art der Kriegsführung rückte infolge des
US-Angriffs gegen den Irak im Jahr 2003 ins Scheinwerferlicht”, stellt
er fest. Konventionelle Kriege zwischen Staaten beinhalten traditionell
drei Phasen: die Vorbereitungen der Operation, den aktuellen Angriff und
das Ergebnis.
 
Aber der Irak – so wie zuvor auch Afghanistan – zeigte eine vierte
Phase: die Notwendigkeit der Stabilisierung und der Erhaltung des
Friedens nach dem Regimewechsel.
 
Die Befriedungsindustrie, die seit dem 11. September geboomt hatte,
stellt Halper fest, breite sich erneut im Westen aus. Da das Militär
viele der Aufgaben einer Polizeitruppe bei externen Kriegen wie zum
Beispiel, dem Irak und Afghanistan, übernimmt, wird die Polizei nach
ihrer Rückkehr immer mehr militarisiert. Die Polizei in Ferguson ist von
ihren Kameraden in der US-Armee im Irak nicht zu unterscheiden.
 
„Wir erleben das Aufkommen eines Staates, der auf die Sicherheit
des Menschen fokussiert. Damit führt er einen endlosen „Krieg gegen den
Terror” und versetzt die Welt in einen permanenten Ausnahmezustand. Die
traditionellen festen Mauern zwischen Polizei und Militär, zwischen
inländischen Geheimdiensten und denen in Übersee – wenn Sie wollen,
zwischen dem FBI und der CIA – bröckeln.”
Kriegspolizisten
Für die Eliten, die die Gefahr um jede Ecke lauern sehen, hat
Israel eine Antwort, die des sogenannten „Kriegspolizisten“. Seit
Jahrzehnten agiert Israel mit paramilitärischen Streitkräften, wie der
Grenzpolizei, und auch mit Geheimdiensten, wie dem Shin Bet, dessen
operationeller Verantwortungsbereich nicht durch Unterscheidungen
zwischen Israel und den besetzten, palästinensischen Gebieten eingeengt
wird.
 
„Israel erschuf das Modell lange vor der Zusammenarbeit zwischen
Militär und Polizei und ist nun bereit, die Welt zu trainieren”,
behauptet Halper abschließend.
 
Dieser Aspekte wurde diese Woche betont, als die israelische
Regierung ankündigte, dass der langjährige Armee-Offizier Gal Hirsch nun
zum Leiter der israelischen Polizeikräfte von Israels
Nationalpolizeikräften ernannt würde.
 
Was steht auf dem Spiel? Versuchen die USA und Europa nicht, sich
gegen wahre Terrorbedrohungen zu verteidigen? Halper glaubt, dass diese
Entwicklungen im weiteren Rahmen der kapitalistischen Weltordnung
analysiert werden müssen.
 
Er glaubt, es sei kein Zufall, dass die USA globale
Terrorbedrohungen zur selben Zeit hochstilisieren, in der Reichtum und
Macht entterritorialisiert wurden und ein Archipel von Eliteinteressen
schufen, die von Teilen der USA und Europa bis nach Singapur und zu den
Jungfraueninseln reichen.
 
Transnationale Unternehmen brauchen Sicherheitskorridore für den
Fluss von Kapital und Arbeit, argumentiert er, während sich der Großteil
des Restes der Welt in Ödland oder Slums verwandelt.
 
Die Sorge ist, wie man eine soziale Ordnung zur Förderung des
Kapitalismus aufrechterhalten kann, während große Landstriche der Welt
verarmt sind und Migranten versuchen, aus ihrer verzweifelten Notlage zu
entfliehen.
 
Und da hat Israel sich eingeschaltet. Der Ort, an dem Israel seine
Ideen entwickelt und diese getestet habe, seien die besetzten Gebiete,
so Halper.
 
Die Kontrolle über Gaza, zum Beispiel, bietet ein Muster für andere
Staaten, die von interner Überwachung, Grenzsicherheit, Stadtkrieg,
Bedrohung durch Migration und vielem mehr betroffen sind.
 
„Die Palästinenser sind in dieser Hinsicht eine wichtige Quelle für
Israel. Ohne die besetzten Gebiete wäre Israel Neuseeland. Es wäre ein
Reiseziel für Touristen und kein regionaler Hegemon.”
Ein Platz am Tisch der NATO
Israels Waffenindustrie dient nicht nur dazu, Geld zu verdienen.
„Sie bringt Israel an einen Tisch mit NATO-Ländern.” Israel führt
Militärübungen mit der NATO durch und unterstützt die NATO bei der
Entwicklung von Beobachtungsdrohnen für die Europäer.
 
Es habe auch immer engere Beziehungen zu Regimen, die angeblich
seine Feinde sind, wie zum Beispiel Saudi Arabien, sagt Halper. „Die
Saudis finanzieren ISIS [den Islamischen Staat], wie kann man also ihre
Allianz mit Israel erklären? Der gemeinsame Nenner ist die
„Sicherheitspolitik“. Es gibt keine zwei Länder, die größeres Interesse
daran hätten als Israel und Saudi Arabien.”
 
Als die Saudis 2002 die Arabische Friedensinitiative enthüllt
haben, argumentiert Halper, hätten sie als Gegenleistung für ein Ende
der Besatzung die Anerkennung Israels als regionaler Hegemon durch die
arabische Welt angeboten.
Zahlt sich denn Israels Dienlichkeit diplomatisch aus?
 
Es gibt Anzeichen dafür, dass dem immer mehr so ist. Der Economist
gab kürzlich bekannt, dass Indien, das eine lange Erfolgsgeschichte bei
der Unterstützung der Palästinenser hat, unter den fünf Ländern war, die
sich ihrer Stimme bezüglich einer Resolution des UN-Menschenrechtsrats
letzten Monat enthielten, die Israels Verhalten bei dem 51-tägigen
Angriff gegen Gaza im letzten Sommer kritisierte, bei dem über 500
Kinder getötet wurden.
 
Das Magazin fügte hinzu, dass israelische Vertreter glauben, dass
die wachsende Abhängigkeit der internationalen Gemeinschaft von dessen
Waffen seine Verletzlichkeit im Hinblick auf die Boykott-Bewegung (BDS)
auf lange Sicht reduzieren wird.
Halper weist darauf hin, dass Nigeria, ein weiteres Land, das von
israelischen Waffen abhängig wurde, ebenfalls seine traditionelle
Unterstützung der Palästinenser aufgegeben hat.
 
Nigeria rettete Israel und die USA letzten Dezember von einer
großen Peinlichkeit, als es im UN-Sicherheitsrat gegen eine
palästinensische Resolution stimmte, die ein Ende der Besatzung
verlangte. Die USA hatten nämlich befürchtet, ihr Veto einlegen zu
müssen.
 
Halper betont, dass die USA immer noch mit einigem Abstand der
größte Waffenhändler der Welt seien. Aber in seinem Gerangel, um die
Nischen auszufüllen, hilft Israel ein Licht auf das wahre Ziel der
Waffenindustrie zu werfen: nicht Sicherheit, sondern Befriedung.
 
„Wenn Sie es „Sicherheit“ nennen, beenden sie die Debatte. Wer will
schon keine Sicherheit? Aber wenn Sie es als „Befriedung“ neu
definieren, werden die wahren Ziele bedeutend klarer.”
 
ISBN: 9780745334301
Extent: 352pp
Release Date: 20 Sep 2015
Size: 215mm x 135mm
Format: Paperback

– See more at: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=15985#sthash.aWumixp7.dpuf