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Forderung nach NATO-Austritt auch in Italien und Frankreich
Ausdruck eines politischen Reifeprozesses

von  Klaus von Raussendorff, NRHZ, 16.9. 2015.
Wer gegen den Krieg ist, ist gegen jeden Krieg. Wie Sie wissen, gibt es nämlich keine Kriege für die Menschenrechte, keine Kriege für den Kriegen und auch keine Friedenstruppen. Fordern Sie daher mit uns den Austritt aus der NATO. Politische Reife bedeutet Ausstritt aus diesem Militärbündnis. Anbei ein sehr aufschlussreicher Artikel von Klaus von Raussendorff zum Thema.-MR

Sehen Sie auch die folgende Webseite: www.neinzurnato.de und unterschreiben Sie den Offenen Brief an die Mitglieder des Bundestages Sagt NEIN, ächtet Aggressionen, bannt die Weltkriegsgefahr! 

Als in Deutschland der Aufruf „Sagt NEIN, ächtet Aggressionen,
bannt die Weltkriegsgefahr!“ am 25. August 2015 den Mitgliedern des
Deutschen Bundestages in einem Offenen Brief zugestellt wurde, war den
Initiatoren der deutschen Kampagne „Deutschland raus aus der NATO – NATO
raus aus Deutschland“ nicht bewusst, dass in Frankreich und Italien
zuvor gleichartige Kampagnen initiiert worden waren. Auch dort besteht
die jeweilige nationale Kampagne aus einem Aufruf in Verbindung mit
einer Aktion, die konkret an die parlamentarische Vertretung der Nation
gerichtet ist.

In Deutschland wurden die Abgeordneten um eine persönliche Antwort auf folgende Fragen gebeten:
  1. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass die Bundesrepublik Deutschland umgehend aus dem NATO-Vertrag ausscheidet?
  2. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass die
    Bundesregierung den Vertrag über den Aufenthalt ausländischer
    Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland umgehend kündigt?
  3. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass die
    Bundesregierung die gegen Russland gerichteten Sanktionen unverzüglich
    aufhebt und dauerhaft auf deutsch-russische Beziehungen im Geiste von
    Zusammenarbeit und Partnerschaft hinwirkt?
Die „Anti-NATO-Allianz“ in Deutschland (www.neinzurnato.de),
die sich auf der Grundlage des Aufrufs konstituierte, besteht bisher
aus über 50 Formationen der Friedensbewegung, die bei aller Pluralität
darin übereinstimmen, dass sie bereit sind, die Forderung nach Kündigung
des NATO-Vertrages und des Truppen-Aufenthaltsvertrages im Rahmen ihrer
Möglichkeiten zu vertreten.

Italien

Austritt aus der NATO ist auch in Italien das Ziel einer Kampagne, die
als Idee zuerst bei einem Treffen des italienischen Netzwerks „Nein zum
Krieg“ in Rom im Dezember 2014 entstand. Öffentlich vorgestellt wurde
die Kampagne „Italien raus aus der NATO“ auf einer Pressekonferenz in
Rom am 21. April 2015. Dort erläuterten die Initiatoren der Kampagne die
Gründe für ihre Initiative. (Manlio Dinucci, Campagna «Fuori l’Italia
dalla Nato» in il manifesto, 23 aprile 2015; http://www.marx21.it/internazionale/pace-e-guerra/25491-campagna-lfuori-litalia-dalla-nator.html)
Unter dem Vorsitz des Ingenieurs Vincenzo Brandi sprachen die Senatorin
Paola De Pin, die Journalisten Manlio Dinucci (von der Zeitschrift
Manifesto), Fulvio Grimaldi (auch in Deutschland bekannter
Filmdokumentarist) und Giulietto Chiesa (Chefredakteur des
Internetsenders www.pandoratv.it, Gründer des Nachrichtenportals www.megachip.info,
Fellow des Wilson Center Washington, früher 20 Jahre Korrespondent in
Moskau), ferner der sozial engagierte Pater Alex Zanotelli, der
Historiker Franco Cardini und der Universitätsdozent Massimo Zucchetti.
Zugleich wurde ein Verfassungsgesetzentwurf der italienischen Senatorin
Paola De Pin („Gruppo Misto“) vorgestellt, der den Austritt Italiens aus
der NATO zum Ziel hat. (http://www.senato.it/leg/17/BGT/Schede/FascicoloSchedeDDL/ebook/45270.pdf)

Die italienische Kampagne startete mit einer Unterschriftensammlung für
den Aufruf „Italien aus der Kriegsmaschinerie herauslösen – Artikel 11
der Verfassung verwirklichen“. Der Aufruf kann im Internet unterzeichnet
werden: https://www.change.org/p/la-pace-ha-bisogno-di-te-sostieni-la-campagna-per-l-uscita-dell-italia-dalla-nato-per-un-italia-neutrale (Deutsche Übersetzung: http://www.neinzurnato.de/?p=710). Er hat in wenigen Tagen etwa 7000 Unterschriften bekommen. Am 13. September 2015 waren es 12.788 Unterstützer.

Unter den Erstunterzeichnern sind der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete
Theater- und Filmschaffende Dario Fo, der hohe Richter und Politiker
Ferdinando Imposimato, der Journalist Gianni Minà, der Zeichner Vauro
Senesi, die Philosophen Gianni Vattimo und Domenico Losurdo, der
Philologe Luciano Canfora, der Journalist Antonio Mazzeo, der Essayist
Francesco Gesualdi, der Gewerkschafter Giorgio Cremaschi, der Komponist
David Riondino.

Der Aufruf thematisiert insbesondere die kolossale Verschwendung
öffentlicher Mittel, die den Sozialausgaben für ein Bündnis entzogen
werden, dessen Strategie offensiv ist, ferner die Unterwerfung Italiens
unter die USA, was in dem Netz von Militärstützpunkten der USA/NATO auf
italienischem Territorium zum Ausdruck kommt sowie das Vorhandensein
atomarer Bomben der USA auf italienischem Territorium in Verletzung des
Atomwaffensperrvertrages.

Die Problematik der Mitgliedschaft Italiens in der NATO ist somit im
Parlament mit dem Entwurf eines Verfassungsgesetzes, das den Austritt
Italiens aus der NATO zum Ziel hat, durch die Senatorin Paola De Pin mit
Unterstützung von Senator Bartolomeo Pepe (beide von der „Gruppo
Misto“) eingebracht worden, unterstützt durch die pluralistische
italienische Friedensbewegung, die die Forderung nach NATO-Austritt in
den Mittelpunkt ihrer Aktionen stellt.

Frankreich

In Frankreich startete das Comité Valmy am 1. Juni 2015 eine Kampagne
mit dem Aufruf „Für die Kündigung des Nordatlantik-Vertrages durch
Frankreich und den Rückzug seiner Streitkräfte aus dem integrierten
Kommando“ (http://www.comite-valmy.org/spip.php?article6031; deutsche Übersetzung: http://www.neinzurnato.de/?p=715) Für die Unterzeichnung per E-Mail wird gebeten, vorläufig folgende Adresse zu benutzen: info@comite-valmy.org)
Das Comité Valmy formierte sich 1998 in Fortsetzung des Comité pour une
Europe des Peuples et Nations Souveraines. Es vereint Aktivisten und
Persönlichkeiten verschiedener Orientierungen des so genannten „Arc
républicain“, worunter man in Frankreich ein Spektrum von Kommunisten,
Gaullisten und republikanisch-fortschrittlichen Demokraten versteht. Das
Comité Valmy bezeichnet sich selbst auf seiner Webseite „als eine
republikanische, laizistische, progressistische Organisation. Ihre
strategische Herangehensweise und Ziele sind zugleich patriotisch,
internationalistisch und anti-imperialistisch.“ (Siehe: http://www.comite-valmy.org/spip.php?article16).
Die Erstunterzeichner des Aufrufs sind folgende Gruppierungen : Comité
Valmy, Collectif Résistance et renouveau gaullien, Mouvement pour un
socialisme du 21ème siècle, Association France – Corse, Comité pour une
Nouvelle Résistance – CNR, Association NordSudPatrimoineCommun,
Mouvement Républicain de Salut Public, Comaguer, Editions Démocrite,
Association Espace Che Guevara Bolbec, Cercle des Patriotes Optimistes;

Aufgrund des Aufrufs brachten am 7. Juli 2015 drei kommunistische
Abgeordnete, Jean-Jacques Candelier, Patrice Carvalho und Gaby Charroux,
in der französischen Nationalversammlung den Vorschlag einer Resolution
ein, deren einziger Artikel lautet:

„Die Nationalversammlung – in Anbetracht (der
Verfahrensregelungen/Anm.K.v.R.) in Artikel 34-1 der Verfassung –
Artikel 136 der Geschäftsordnung (der Assemblée nationale/Anm.K.v.R.)
ist für den Austritt Frankreichs aus dem Nordatlantikvertrag sowie die
Auflösung dieser Organisation.“

Zur Begründung der Resolution wurde der Wortlaut des Aufrufs wiedergegeben.

Fazit

Alle drei Kampagnen in Italien, Frankreich und Deutschland sind Ausdruck
eines politischen Reifeprozesses im Bewusstsein weitester Kreise, der
zu der Erkenntnis geführt hat, das die Friedensbewegung nur dann als
eine wirklichen Kraft im Kampf gegen Militarismus und Krieg erfolgreich
sein kann, wenn sie eng verbunden ist mit weitergehenden Strategien wie
u.a. der Wiedergewinnung und Verteidigung der nationalen Souveränität,
der weitest gehenden Ausschöpfung und Erweiterung der demokratischen
Mittel und Möglichkeiten innerhalb des eigenen Staates und der aktiven
Einflussnahme auf die Gestaltung einer bündnisfreien, friedlichen
Außenpolitik der Regierung des eigenen Landes.

Alle drei Kampagnen zeigen eine Herangehensweise, die grundsätzlich
verschieden ist von derjenigen, die mit dem Stuttgarter Appell vom 5.
Oktober 2008. http://no-to-nato.org/2008/11/appeal-from-stuttgart-oct-2008/
gewählt wurde. Der Stuttgarter Appel entstand im Zuge der Organisation
der Proteste gegen den NATO-Gipfel in Strassbourg und Baden-Baden 2009.
Auf dieser Grundlage entwickelte sich das internationale Bündnis „No to
war – no to NATO“, eine Zusammenfassung verschiedener Kräfte der
Friedensbewegung in vielen (nicht nur) NATO-Ländern. Ein 15-köpfiges
Internationales Koordinationskomitees (ICC) orientiert seither die
beteiligten Friedenskräfte in den einzelnen Ländern im Wesentlichen auf
internationale Aktionen rund um NATO-Gipfeltreffen der Regierungen
(2010: Lissabon, 2012: Chicago, 2014: Newport). Es verbreitet
Materialien zur Rolle der NATO. Es propagiert die Delegitimierung der
NATO. Es vertritt die Losung: „Auflösung der NATO“.

Viele halten diese Parole für eine aussichtslose und daher harmlose
Orientierung. Andere scheinen zu glauben, dass eine deutsche Regierung,
z.B. unter Einschluss der Partei „Die Linke“ im Rahmen der
Bündnisgremien erwirken könnte, das das Bündnis schließlich von selbst
zu der Einsicht kommt, sich als aggressive Militärmaschinerie
aufzulösen. Was von solchen Hoffnungen zu halten ist, erfährt man aus
einem von Wikileaks veröffentlichten Telegramm der Berliner Botschaft
der USA vom 25. November 2009 über ein Gespräch des US-Botschafters
Philip Murphy mit Linke-Chef Gregor Gysi, das von Steinbergrecherche
veröffentlich und übersetzt worden ist, und in seinem die NATO
betreffenden Teil wie folgt lautet: „Gysi wies auf keine
Meinungsunterschiede in der NATO-Politik hin (Die Linke fordert die
Auflösung der NATO zugunsten einer größeren Sicherheitsgemeinschaft –
wie von Russland vorgeschlagen), aber er versuchte nahe zu legen, dass die
Forderung der Partei nach Auflösung der NATO ein Weg sei, den
gefährlicheren Schritt zu vermeiden, dass Deutschland die NATO verläßt.
Er erläuterte, dass die Vereinigten Staaten, Frankreich und GB mit der
NATO-Auflösung einverstanden sein müssten, was unrealistisch sei.“
(http://www.steinbergrecherche.com/08dielinke.htm#Schlau3 funktioniert
leider nicht mehr, deshalb hier: https://web.archive.org/web/20140728232638/http://www.steinbergrecherche.com/08dielinke.htm)
Im gleichen Sinne äußerte sich Gysi im ARD-Sommerinterview vom
18.7.2010: “Nein, nein, ‘Raus aus der Nato’ haben wir nicht gesagt. Das
ist ja viel klüger (sic!) formuliert. Bei uns steht drin, daß wir die
Auflösung der Nato wollen. Dazu brauchen wir allerdings die Zustimmung
der USA, Kanadas und vieler anderer Länder. Das dauert noch…” (http://www.arbeiterfotografie.com/medien/2010-12-23-gregor-gysi-zur-nato.html)

Leider blieb dieser irreführende Holzweg, der nicht nur von Gysi
empfohlen wird, lange Zeit als solcher von vielen nicht erkannt. Daher
blieb auch vor sechs Jahren der erste Anlauf zur Bildung einer
Anti-NATO-Allianz, der mit der Internetseite „Deutschlands
NATO-Mitgliedschaft beenden!“ versucht wurde, in den Anfängen stecken.
Immerhin aber konnten die Initiatoren aber nun, da das Bewusstsein
ständig wachsender Kriegsgefahr mit der Ukraine-Krise breiteste Kreise
ergriffen hat, daran anknüpfen.

Insofern kann im Hinblick auf die nationalen Kampagnen für Austritt aus
der NATO in den drei Ländern von einem Reifeprozess der Friedensbewegung
gesprochen werden. Im Feuer der NATO-Kriege verbrannt ist die Illusion
einer Selbstentsorgung der „NATO auf den Müllhaufen der Geschichte“.
Dass sich auch Reiner Braun, einer der Hauptorganisatoren von „No to war
– no to NATO“ und Geschäftsführer der Deutschen Sektion der
internationalen Juristen-Organisation IALANA von derartigen inhaltslosen
Beschwörungen (Siehe: http://no-to-nato.org/2015/09/nato-must-be-consigned-to-the-rubbish-heap-of-history/)
verabschiedet, ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit. Jedenfalls
ist die italienische Sektion von IALANA oder zumindest einzelne
Mitglieder schon weiter und beteiligen sich an der Kampagne für den
Austritt aus der NATO. Von Austrittskampagnen in anderen NATO-Ländern
ist vielleicht das eine oder andere zu lernen, aber keinerlei „Aktion
auf internationaler Ebene“ darf uns von der Notwendigkeit ablenken, um
nationale Souveränität, Volksdemokratie und eine friedliche Außenpolitik
der Regierung des eigenen Landes zu ringen. Daher die Forderung:
DEUTSCHLAND RAUS AUS DER NATO – NATO RAUS AUS DEUTSCHLAND!