General

Gideon Levy
Der Hungerstreik eines Palästinenser hat bereits einen irreparablen Schaden zugefügt, und zwar Israel

Liebe Leserinnen und Leser,
Ein sehr guter Artikel von Gideon Levy, dessen Titel wohl sehr ironisch auf die Opfermentalität der Zionisten anspielt.
Freue mich auf Ihre Kommentare hierzu
dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. 





Gideon Levy جدعون ليفي גדעון לוי




Übersetzt von 
Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس



Herausgegeben von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی




Ein
Staat, in dessen Gefängnissen Hunderte von Leuten ohne
Gerichtsverhandlung sitzen, ist keine Demokratie, und jegliche
Rechtfertigung von wegen „Sicherheit“ ist fehl am Platz.  





http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11352.jpg


Demonstranten protestieren vor dem Soroka Medical Center in Be’er Sheva
zur Unterstützung des hungerstreikenden Häftlings Mohammed Allaan. Foto
Eliyahu Hershovitz


Mohammed Allaan’s Blut klebt an unseren Händen, an den Händen des
Staates Israel. Falls er – Gott bewahre – sterben sollte, so muss der
Staat die volle und alleinige Verantwortung dafür übernehmen. Keine
Entschuldigung wird diese Schande decken, keine Propaganda wird dieses
Vergehen wieder gut machen. Während ich am Samstagnachmittag diese
Zeilen schreibe, schwebt er zwischen Leben und Tod, im Koma an einem
künstlichen Beatmungsgerät. Der Tod dieses 31jährigen Anwalts aus dem
Dorf Einabus wäre nicht nur verantwortlich für den „Schaden an Israels
Image“, sondern würde vor allem auch zu einem Flächenbrand im
Westjordanland  und im Gazastreifen führen. Denn Allaan ist das Opfer
einer der niederträchtigsten Institutionen der israelischen Besatzung,
und zwar der Verwaltungshaft. Aber ihr Auge ist blind.

Allaan ist ein Freiheitskämpfer. Es gibt kaum jemanden, auf den
diese Definition besser zutrifft; es gibt nichts, das ihn besser
beschreibt. Allaan kämpft bis zum Tod für seine Freiheit, die ihm nach
jeglichem verfassungsrechtlichem, demokratischem oder moralischem
Maßstab zusteht. Selbst wenn ihn Schurken aus Ashkalon und ihre hitzigen
Nationalisten bis ans Ende der Zeit „Terrorist!“ nennen und selbst wenn
hetzende TV-Berichte über „Blut an den Händen sprechen“, so bleibt
Allaan ein unschuldiger Freiheitskämpfer.
Möchte nur darauf hinweisen, dass er nie weder angeklagt noch
verurteilt wurde. Das Sicherheits-Establishment hat nicht die Spur von
einem Beweis gegen ihn oder gegen Hunderte seiner Freunde, nicht einmal
einen Beweis, der ein Militärgericht in die Irre führen könnte – was am
leichtesten für ein System wäre, das keinerlei Verbindung zur
Gerechtigkeit hat.
Es ist kein Zufall, dass die meisten Langzeit-Hungerstreikenden
Administrativhäftlinge waren. Sie kämpften nicht gegen Siedlungen oder
gegen die Besatzung. Sie kämpften für ihre persönliche Freiheit, die ihr
absolutes Recht ist. Sie sind keine Gefangenen, sie sind Verhaftete der
Willkür. Ihre Verwaltungshaft ist zu einer erschreckenden Normalität
geworden – offensichtlich wie die Kontrollpunkte, das sinnlose Töten und
die nächtliche Entführungen. Während der letzten 15 Jahre hat sich die
Zahl solcher Verhafteter von 150 bis 1000 zu jedem Zeitpunkt erstreckt.
Selbst in den ruhigsten Zeiten, ist ihre Zahl nicht geringer gewesen. Im
Augenblick sind es etwa 400. In andern Worten werden Hunderte von
Menschen ohne Gerichtsurteil in israelischen Gefängnissen gehalten.




http://tlaxcala-int.org/upload/gal_11351.jpg


Falls es einen Grund gibt, sich an den Internationalen Gerichtshof
zu wenden, so sollte es dieser sein, vielleicht vor dem Töten, den
Vertreibungen und Siedlungen. Falls es einen Beweis gibt, der die Lüge
„der einzigen Demokratie im Nahen Osten“ aufdecken könnte – dann wäre
dies der klare Beweis. Ein Staat, in dessen Gefängnissen hunderte Leute
ohne Gerichtsprozess eingesperrt sind, ist keine Demokratie, und alle
Rechtfertigungen von wegen „Sicherheit“ sind fehl am Platz. Das gibt es
nicht, das hat es nie gegeben und wird es niemals geben – eine
Demokratie mit Massenverhaftungen ohne Gerichtsprozess.

Und das weiß Allaan ganz genau. Seine Freude und er haben ihre
letzte, private, gewaltlose Waffe angewendet – den Hungerstreik, weil
die Gerechtigkeit auf ihrer Seite ist. Da es keine andere Gerechtigkeit
gibt, die ihre Haft rechtfertigen kann, außer der Gerechtigkeit der
Ashkalon-Schurken und ihrer Bande: Freiheit oder Tod – und Israel sollte
sich vor ihrer Entscheidung, ihrer Gerechtigkeit und ihrem Mut
verneigen.
Allaan liegt im Sterben und mit ihm Israels Anschein der
Demokratie. Israel fürchtet den Schaden, den es anrichtet. Die meisten
seiner Rechtsexperten schweigen und die meisten seiner Journalisten
decken es. Israel hätte Allaan im letzten November nicht verhaften
sollen und ihn sechs Monate ohne Gerichtsurteil in Haft nehmen, und auch
nicht seine Haft um weitere sechs Monate verlängern sollen. Es hätte
dies auch Tausenden von Leuten über Jahre nicht antun dürfen. Es hätte
nicht auf diese Weise handeln dürfen. Aber es ist noch nicht zu spät. In
der Debatte sollte es jetzt um Mittel und Wege gehen, Allaans Leben zu
verlängern. Die einzige Art, ihn zu retten, wäre, ihn sofort und
bedingungslos mit Hunderten anderer Verwaltungshäftlinge zu entlassen.
Dies würde nicht nur ein großer Sieg für diesen Freiheitskämpfer,
sondern auch für Israel sein.
AdÜ: Allaan hat mit dem Hungerstreik aufgehört, ist aber noch im Krankenhaus. Er hat einen Hirnschaden erlitten.