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Pierre Stambul: ein französischer Jude für den Frieden und gegen den Zionismus


Guten Tag aus der Redaktion von ProMosaik e.V.,

diesen Tag möchte ich zum Solidaritätstag mit dem Kollegen Pierre Stambul aus Marseille erklären.
Sein Engagement als antizionistischer Jude passt mit Sicherheit vielen Feinden nicht in den Kram.
So erhielt gestern die Polizei einen anonymen Anruf, in dem die Ermordung seiner Frau gemeldet wurde. Natürlich kümmerte sich die Polizei um diese Lüge und nahm ihn mit einem Kommando bei ihm zu Hause fest. Gestern kam er dann wieder frei…

Im letzten Satz seines Interviews heißt es hierzu, wie als Vorahnung:

Denn
wenn es ein Land gibt, das von wahren Terroristen geführt wird (Menachem Begin und
Yitzhak Shamir), dann ist dies Israel. 

Shamir und Begin haben wohl in der zionistischen Rechten immer noch ihre Freunde. 

 

Merci Pierre !!!
On est tous avec toi !!!
Hier der Brief der Gewerkschaft zu diesem Vorfall, mit der Bitte an das französische Innenministerium, sich auch mal der zionistischen Rechten anzunehmen….


Es freut mich sehr, Ihnen heute auch die deutsche
Übersetzung unseres sehr aufschlussreichen Interviews mit Pierre Stambul,
Mathelehrer aus Marseille und Co-Präsident der Union Juive Française pour la
Paix vorzustellen. Perrine Olff-Rastegar, die wir bereits interviewt haben,
gehört zur selben Vereinigung. Die Union Juive Française pour la Paix ist eine
sehr wichtige pazifistische und antizionistische Organisation, da in Frankreich
die größte jüdische Gemeinde Europas lebt.

Wie ProMosaik e.V. ist auch Pierre Stambul davon überzeugt,
dass der Zionismus bekämpft werden muss, denn es gibt keinen Frieden im Nahen
Osten, wenn man nicht gegen diese neokolonialistische Ideologie kämpft,
welche  die Rechte des palästinensischen
Volkes  ablehnt und mit Füßen tritt.   
  

Der Staat Israel basiert auf der Apartheid-Ideologie des
Zionismus, der durch die Manipulierung des europäischen Antisemitismus und der
Shoa, uns glaubhaft machen möchte, dass er im Namen aller Juden dieser Welt
spricht, indem er sagt, dass sie alle von den Hebräern abstammen, die zu
Römerzeiten dort lebten. Somit muss man das Land zurückerobern, indem man die Palästinenser
durch Krieg, Staatsterrorismus, Gewalt und Enteignungen vertreibt: das ist die
Erfahrung, die die Palästinenser 1948 mit der Nakba (Katastrophe)
machten, die sich bis heute fortsetzt. Pierre Stambul, der, wie die meisten
Juden, aus einer Familie stammt, die Opfer der Shoa war, akzeptiert nicht die
Fortsetzung der Gewalt durch die jüdischen Zionisten.
Ich möchte mich herzlichst bei Herrn Stambul für seine
ehrlichen und wahren Antworten bedanken.
Dankend und mit freundlichen Grüßen
Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptunterschiede
zwischen Judentum und Zionismus?
Pierre Stambul: Das Judentum ist ein religiöses Konzept, es
ist die Form, welche die Religion seit ungefähr 2000 Jahren angenommen hat. Das
religiöse Judentum beinhaltet heute mehrere Tendenzen: auf einer Seite finden
sich die Haredim (die orthodoxen Juden) und auf der anderen die liberalen.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist ein großer Teil der
Juden (vor allem in Europa) nicht mehr gläubig. Man kann vom „laizistischen
Judentum“ sprechen, zu dem berühmte jüdische Persönlichkeiten wie Einstein,
Freud, Arendt und Kafka gehörten. Unter diesen nicht-gläubigen Juden
entwickelte sich eine bedeutende progressive und revolutionäre Bewegung, die
ihre Befreiung als unzertrennlich von der Befreiung der Menschheit ansah.
Der Zionismus hingegen ist eine Ideologie. Er ist eine
Theorie der Trennung, die davon ausgeht, dass Juden und Nicht-Juden nicht
zusammenleben können. Der Zionismus ist eine kolonialistische Ideologie, die
das ansässige Volk (die Palästinenser) vertreiben will. Es ist ein
Nationalismus, der das Volk, die Sprache und das Land erfunden hat. Der
Zionismus ist eine riesige Manipulierung der Geschichte, des Gedächtnisses und
der jüdischen Identitäten. Die Zionisten sehen die Sache so: die Juden haben
2000 Jahre im Exil gelebt und kehren nun endlich wieder in ihr Land zurück.
Diese Geschichte ist vollkommen erfunden.
Die meisten Begründer des Zionismus waren nicht gläubig,
aber sie nutzten die Bibel als ein Buch der kolonialistischen Eroberung.
Der Zionismus richtet sich gegen die Juden, unabhängig
davon, ob diese nun laizistisch oder religiös sind. Denn wo gibt es denn in der
Geschichte des Judentums den Rassismus, den Militarismus oder die Ablehnung des
Anderen? 
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Wie möchten Sie die Palästinenser
unterstützen? Welche sind die besten Strategien?
Der Krieg, den das israelische Regime gegen die
Palästinenser führt, ist weder ethnisch, noch religiös oder gemeinschaftlich.
Er führt uns zu grundlegenden Themen: wir widersetzen uns dem Kolonialismus und
dem Rassismus des israelischen Staates und behaupten die Gleichheit der Rechte
aller Menschen. Es ist sehr wichtig, dass es auch in Israel eine kleine
antikolonialistische Minderheit gibt, aber es ist wesentlich, dass es in
Frankreich in der palästinensischen Solidaritätsbewegung eine jüdische
Komponente gibt. Denn wir können als Insider von der ideologischen Katastrophe
berichten, die sich hier gerade abspielt. Da wir oft in der Familie und
persönlich den Nazivölkermord und den Antisemitismus erlebt haben, können wir
einfacher die Unverschämtheit des Zionismus denunzieren, der jegliche Kritik an
Israel als antisemitisch abstempelt.
Manchmal sagt man uns: „Ihr seid mutig“. Nein, wir retten
unser Leben. Denn die zionistische Ideologie ist nicht nur kriminell gegen das
palästinensische Volk, sondern völlig selbstmörderisch für die Juden, ob sie
nun laizistisch oder religiös sind.
Wir weisen darauf hin, dass es schon seit Jahrhunderten eine
universalistische jüdische Tradition gibt, die sich sehr in den
progressistischen Kämpfen engagiert. Und wir möchten die Erben dieser Tradition
sein. Wie der antikolonialistische, israelische Militant Eitan Bronstein so
schön sagt: „Wir werden nicht frei sein, solange die Palästinenser es nicht
auch sind“. Unsere Präsenz innerhalb der Solidaritätsbewegung verleiht diesem
Motto einen konkreten Sinn: „Gemeinsam mit denselben Rechten leben“. Denn
dieser ist der einzige nicht-barbarische Ausgang dieses Krieges. Gleichzeitig
stellen wir in Frankreich Verbindungen zwischen allen her, die gegen die
Diskriminierungen und den Rassismus ankämpfen.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Was bedeutet für Sie als
französischer Jude der Friede?
Pierre Stambul: In Israel sagen alle, sie wären für den
„Frieden“. Für die Israelis bedeutet das aber nur: „Friede, du kannst mich
mal!“ Sie wollen den kolonialistischen Status Quo einfach beibehalten. Wir uns
hingegen bedeutet der Friede vor allem die Anerkennung des Gründungsverbrechens
der Nakba von 1948, während deren der Großteil der Palästinenser willkürlich
aus ihren Ländern vertrieben wurden. Der Friede bedeutet, dieses Verbrechen
rückgängig zu machen. Der rote Faden sind das internationale Gesetz und die
Gleichheit der Rechte. Es ist ungerecht und illusorisch, die Vereinbarungen von
Oslo, die tot und begraben sind, erneut aufzurollen. Der Zionismus hat
Palästina in verschiedene Entitäten aufgeteilt, die alle diskriminiert und
unterdrückt sind: das Westjordanland (das selbst in 3 Bereich fragmentiert
ist), Jerusalem Ost, Gaza, die Palästinenser in Israel, die Flüchtlinge, die
Häftlinge …). Der Aufruf der Palästinenser 2005 zum BDS (Boycott, Desinvest,
Sanction) zeigt uns den  Weg zum Frieden.
Denn er fordert die Freiheit (Ende der Besatzung, Ende der Kolonisation,
Zerstörung der Mauer, Ende der Gazablockade, Befreiung der Häftlinge),  Gleichheit (für die Palästinenser in Israel,
die von der Apartheid unterdrückt werden) und Gerechtigkeit (Rückkehrrecht der
Flüchtlinge).
Als französischer Jude möchte ich hinzufügen, dass, als
Netanyahu nach Frankreich kam, um uns zu erklären, dass wir einen Fehler
machten, dass wir hier im Ausland wären und Israel unser Land wäre, versetzte
er uns in Gefahr. Der Friede besteht gerade darin endlich diese mörderische
Einstellung zu beenden, die die Juden durch die Vertreibung der Palästinenser
vom Rest der Menschheit trennen möchte.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Welche sind die wichtigsten
Zielsetzungen der Union Juive Française  pour la Paix?
Pierre Stambul: Im Nahen Osten setzen wir uns für einen
Frieden ein, der auf der Gleichheit und der Gerechtigkeit basiert. Wir teilen
vollkommen die Forderungen des BDS. Die Vereinigung UJFP ist Teil von BDS
France. Die Frage der Sanktionen ist wesentlich. Es wird sich nichts ändern,
bis dieser Ganovenstaat nicht für die Handlungen seiner Führung zur
Rechenschaft gezogen wird. Die UJFP unterstützt den palästinensischen
Widerstand und die israelischen Gegner des Kolonialismus. Sie verbreitet auch ihre
Schriften und Handlungen.
In Frankreich sprechen wir den gemeinschaftlichen jüdischen
Vereinigungen das Recht ab, in unserem Namen zu sprechen, da sie bedingungslos
die Verbrechen des Besatzers Israel unterstützen. Wir denunzieren auch die Art
und Weise, auf die sie den Antisemitismus instrumentalisieren. Wir kämpfen
gegen jede Form von Rassismus (Antisemitismus, Islamfeindlichkeit…) und gegen
jegliche Form der Diskriminierung (Roma, Menschen ohne Papiere…).
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Erklären Sie unseren Leserinnen
und Lesern bitte diesen Satz von Ihnen: Der Zionismus bedeutet für die
Geschichte des Judentum das, was Milosevic für das serbische Volk bedeutete.
Milosevic hatte behauptet, dass Serbien sich in allen
Regionen befand, in denen Serben leben oder gelebt hatten. Er erfand somit die
serbische Geschichte neu. Vor dem Ausbruch der Kriege in Jugoslawien in Kosovo
Polje, hatte er vor ein paar Tausend Serben eine revisionistische Rede gehalten,
in der er behauptete, dass die Serben sich 1389 aufgeopfert hatten, um den
Westen von den muslimischen Türken zu retten, indem er die Albaner mit den
Türken identifizierte. Und während des Krieges ordnete er brutale Dinge an,
obwohl es natürlich auf allen Seiten Gräueltaten gab: kollektive Vergewaltigungen,
Konzentrationslager, massive Bombenanschläge gegen die belagerten Städte …
Und gerade das serbische Volk hatte sich größtenteils
beispielhaft gegen die Nazi-Besatzer gewehrt. Indem er sich dem Nationalismus
und den ethnischen Trennungen widersetzte, hat der jugoslawische Widerstand,
der sich größtenteils aus Serben zusammensetzte, einen großen Teil des Landes
befreit. Kein Volk, keine menschliche Gemeinschaft ist vor kollektiven
Fehltritten in Richtung der Barbarei gefeit.
Der Zionismus ist zwar als Reaktion auf den Antisemitismus
entstanden, aber seine Antwort darauf war grauenhaft. Denn sie bestand in der
kolonialistischen Eroberung und in der ethnischen Säuberung. Wie Milosevic, so
haben auch die Zionisten eine idyllische Geschichte (die Theorie des Exils der
Juden und ihres „Heimkehr“) erfunden. Aber diese Theorie ist eine Manipulierung,
genauso wie es die Theorie des „Großen Serbiens“ war. Der Zionismus wendet sich
gegen das Judentum, ob dieses nun laizistisch oder religiös ist. Um den Israeli
zu produzieren, musste man den Juden und seine universellen Werte zerstören.
Dr. Phil. Milena Rampoldi:
Wie kann man die aktuellen Medien verändern, um um die Rechte der
Palästinenser zu kämpfen?
Pierre Stambul: Für die Medien ist es sehr einfach zu
denken, dass die Araber für die Palästinenser sind und die Juden für Israel. Es
ist sehr praktisch, einen Religions- oder Gemeinschaftskrieg daraus zu machen,
wenn es sich in Wirklichkeit um einen Kolonialkrieg handelt. Außer während des
Massakers von Gaza im letzten Sommer, haben die Medien die Vereinigung UJFP
ignoriert. Wenn wir im Rahmen von Konferenzen auftreten, sagt man uns des
Öfteren: „Wir wussten gar nicht, dass es Juden wie euch gibt“. In den
Veranstaltungen wirkt der gemeinsame Streifen, die wir mit den Kameraden der Association
des Travailleurs Maghrébins de France (« Juifs et Arabes unis pour la
justice » / Juden und Araber, vereint für die Gerechtigkeit) sehr gut, und
die Leute treten in unsere Vereine ein. Schritt für Schritt wird unsere Stimme
erhört werden. Für die Medien bedeutet Palästinenser manchmal Terrorist. Denn
wenn es ein Land gibt, das von wahren Terroristen geführt wird (Menachem Begin und
Yitzhak Shamir), dann ist dies Israel.

Ein wichtiges Video:

Über die letzten Vorfälle:

http://blogs.mediapart.fr/blog/jean-claude-meyer/090615/pierre-stambul-co-president-de-lujfp-interpelle-par-le-raid-marseille