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Sonntagspanorama von Claus Folger


Liebe Leserinnen und Leser,
Le Monde
diplomatique
zieht nach 20 Jahren Freihandel zwischen den USA, Mexiko und
Kanada Bilanz. Die Monatszeitung schreibt in ihrer Juni-Ausgabe: „Als das
Abkommen über die nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) am 1. Januar 1993
in Kraft trat, wurde das Blaue vom Himmel herunter versprochen – in
wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht. Heute sind sich in den USA die meisten Leute – quer durch alle
politischen Lager – einig, dass Nafta ihnen selbst und der Nation als Ganzes
geschadet hat.
Und je mehr Details über die streng vertraulichen Verhandlungen
zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft bekannt werden,
desto deutlicher wird, dass TTIP dieselben Konstruktionsfehler aufweist wie
sein amerikanischer Vorgänger.“
 Quelle: greenpeace
Und weiter: „Nafta war ein Experiment. Dieses
Handelsabkommen unterschied sich radikal von früheren Modellen, weil es mehr
regelte als nur den Handel. Frühere US-Handelspakete hatten sich auf den Abbau
von Zöllen und Quoten beschränkt. Nafta dagegen gewährte ausländischen
Investoren neue Privilegien und Schutzbestimmungen. Es schuf Anreize für die
Verlagerung von Investitionen und Arbeitsplätzen ins Ausland, indem es Risiken
eliminierte, die bei der Produktionsauslagerung in Billiglohnländer entstehen
können. Nafta gewährte ausländischen
Investoren das Recht, vor Investor-Staat-Schiedsgerichten Schadenersatz von
einem anderen Staat einzuklagen, wenn ihre Gewinnerwartungen durch neue Gesetze
dieser Staaten geschmälert wurden
. (…)Die
hartnäckigsten Befürworter dieser privaten Schiedsgerichte sind US-Unternehmen
wie der Energiekonzern Chevron, der mit Hilfe von Investor-Staats-Schiedsverfahren
Kompensationszahlungen in Milliardenhöhe für im Amazonas-Gebiet angerichtete
Schäden abwenden möchte.“
(Beachten Sie zu privaten Schiedsgerichten den
Lektüre-Tipp der Woche.)
Und genau die umstrittenen privaten Schiedsgerichte waren
der Hintergrund, dass EU-Parlamentspräsident Martin Schulz für diesen Mittwoch
die geplante Abstimmung über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) im
EU-Parlament abgesagt hat. Pia
Eberhardt, eine Expertin für Handelsverträge und Investitionsschutz, erklärt in
einem Crashkurs, wie Konzernklagen weltweit funktionieren.
https://www.youtube.com/watch?v=LQFBikS1pOo
Kernaussagen aus dem Video zu der schönen, neuen
TTIP-Welt, in der die US-Konzerne in Zukunft diejenigen sein werden, die die
Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards von Millionen von Menschen bestimmen
und nicht mehr die nationalen Parlamente:
„Bei beinahe jeder
umweltpolitischen neuen Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington
Briefe an die kanadische Regierung. Nahezu jede neue Initiative wurde ins
Visier genommen und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt.“
Ein
kanadischer Regierungsbeamter über Nafta.
„Wenn ich nachts
aufwache und über Schiedsverfahren nachdenke, bin ich immer wieder überrascht,
dass souveräne Staaten sich auf die Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit
eingelassen haben. Drei Privatpersonen haben die Befugnis, und zwar ohne
jegliche Einschränkung und Revisionsverfahren, alle Aktionen einer Regierung,
alle Entscheidungen der Gerichte, alle Gesetze und Verordnungen des Parlaments
zu überprüfen.“
Der spanische Schiedsrichter Juan Fernando-Armesto.
Barack Obama benötigt nach den Stimmen aus dem Senat auch
noch die Stimmen aus dem Repräsentantenhaus für den „fast-track“, mit dem
Freihandelsabkommen im Schnellverfahren durchgedrückt werden können. Damit würde sich der US-Kongress für die
nächsten sechs Jahre jeder Möglichkeit berauben, den Inhalt der geheim
ausgehandelten Abkommen – etwa das mit den elf Pazifik-Anrainerstaaten (TPP)
und das mit der EU (TTIP) – zu verändern oder zu debattieren
. Die
Abgeordneten könnten nur noch Ja oder Nein zu den fertigen Abkommen sagen. The guardian hat schon einmal aufgelistet,
mit wie viel Geld US-Unternehmen US-Senatoren schmierten, um das TPP-Abkommen als
„fast-track“ durch den US-Kongress zu bekommen. http://www.theguardian.com/business/2015/may/27/corporations-paid-us-senators-fast-track-tpp
Für den US-Präsidenten setzte es am
Freitag allerdings eine schwere Niederlage: Das Repräsentantenhaus stimmte
gegen einzelne Teile eines Gesetzespaketes, das die Umsetzung von
Freihandelsabkommen beschleunigen sollte. http://www.taz.de/Abstimmungsniederlage-im-Repraesentantenhaus/!5203854/
In puncto Grexit hat die liberale Schweizer Tageszeitung Corriere del Ticino den souveränen
Überblick. Sie schreibt: „Die erste Sorge betrifft die Solidität der
Gemeinschaftswährung. Der Austritt Griechenlands würde beweisen, dass diese
europäische Konstruktion nicht für die Ewigkeit ist. Die noch größere Angst
(vor allem seitens der Amerikaner) betrifft die Finanzmärkte. Der Absturz Athens könnte eine
verhängnisvolle Kettenreaktion auslösen, die genau die Finanzinstrumente
betrifft, die seinerzeit ‚toxische Papiere’ genannt wurden und die heute noch
verbreiteter sind als zu Zeiten der Subprime-Krise. Die wahre Angst, vor allem
in Washington, betrifft die durch den ständigen Zufluss frischer Gelder
von den Zentralbanken gedopten Finanzmärkte und die enorme Vielzahl an
Instrumenten, die sich die Finanzwelt ausgedacht hat. Niemand wird eine Pleite
Griechenlands riskieren
. Eine temporäre Lösung wird gefunden werden, um ein
paar Monate Zeit zu gewinnen.” 
                              
Das
schwarze Schaf der Woche
Führende deutsche Politiker äußern sich in einer Mischung
aus Interesselosigkeit, Dummheit und Verrat an der „res publica“ zu TTIP.
„Ich habe die enge
Partnerschaft mit den USA immer als Schutz empfunden – selbst, wenn man sich
manchmal über Freunde auch ärgert. Deutschland braucht Wettbewerb und Druck
durch den Welthandel. Wenn wir keinen Druck haben, schlafen wir ein.”
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Quelle: Deutsche Welle
„Wenn uns unsere Sonntagsreden von den
gleichen Werten etwas wert sind, dann müssen gerade wir im transatlantischen
Bereich bereit sein, ein solches Freihandelsabkommen schnell zu schließen und
Europa hat ein riesen Interesse daran.“
Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU). Quelle. Deutsche Welle
Das weise Schaf der Woche
„Die Militärausgaben der USA sind höher als
die aller Länder der Welt zusammen. Die Militärausgaben der NATO-Länder sind
insgesamt zehnmal höher, beachten Sie, zehnmal höher als die Militärausgaben
der Russischen Föderation. Nehmen Sie eine Weltkarte, veröffentlichen Sie diese
in Ihrer Zeitung und markieren Sie die US-Basen in der gesamten Welt. Sie
werden den Unterschied erkennen. US-U-Boote sind in ständiger Bereitschaft vor
der norwegischen Küste; sie sind mit Raketen ausgestattet, deren Flugzeit nach
Moskau 17 Minuten beträgt. Wir aber haben auf Kuba schon vor langer Zeit jede
Art von Stützpunkt aufgegeben, auch die ohne strategische Bedeutung.“
Wladimir Putin äußert sich in einem Interview mit der
Mailänder Tageszeitung Corriere della
Sera
.
Der russische Staatspräsident hat recht. Der Autor David
Vine schreibt in seinem in Kürze erscheinenden Buch Base Nation: „Die USA haben 800 Militärbasen in anderen Ländern mit
jährlichen Kosten von ungefähr 100 Milliarden Dollar.“ Die Militärbasen im Irak
und in Afghanistan seien dabei nicht eingerechnet.
Mein Lektüretipp
der Woche:
http://blog.campact.de/wp-content/uploads/2014/10/LawFirmsReport-DE.pdf
Claus Folger
Frankfurt am Main