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Das Sonntagspanorama von Claus Folger


Liebe Leserinnen und Leser,
die Europäische Union hat ihre Wirtschaftssanktionen
gegen Russland bis zum 31. Januar 2016 verlängert. Die FAZ vermutet, dass dies den hessischen Autobauer Opel in seinem
Beschluss bestärkt hat, die Produktion in seinem Werk in Sankt Petersburg ab
kommender Woche einzustellen. Die Zeitung schreibt: „Nachdem die Opel Group
2014 in Russland gut ein Viertel weniger Fahrzeuge abgesetzt hatte als im
Vorjahr, sind es in diesem Jahr bisher sogar 70 % weniger. Die mit dem Abschied aus Russland verbundenen Kosten beliefen sich
allein im ersten Quartal dieses Jahres auf etwa 360 Millionen Euro.“
Die türkische Zeitung STAR
stellt dem windelweichen Bundeskanzleramt einige Fragen: „Die Todesurteile in
Ägypten interessieren die westlichen Länder herzlich wenig. Im Gegenteil, sie
unterstützen den Putschisten al-Sisi. Vergangenen Monat besuchte er Deutschland
und unterzeichnete Abkommen in Höhe von acht Milliarden Euro. Die Frage muss erlaubt sein, warum der
Al-Dschasira-Journalist Ahmed Mansur überhaupt festgenommen wurde. Um den
Geschäftspartner Sisi zufriedenzustellen? Das ist eine Schande für den
Rechtsstaat Deutschland!”
Demokratieaktivisten und liberale Politiker in der
arabischen Welt hatten die Festnahme des 52 Jahre alten Mansur am Berliner
Flughafen nicht verstanden, die nach Interpol-Statuten einem Akt der politischen
Verfolgung gleichkam.
Der Graben zwischen einem europäischen und einem
arabischen Verständnis von Demokratie ist auch zu tief: Im November 2014 lud
Paris den ägyptischen Diktator ein, um ein milliardenschweres, von den Saudis
finanziertes Waffengeschäft zu bekommen und machte ihn damit international
wieder hoffähig. 

Welchen Herren dienen Merkel und Hollande eigentlich,
wenn Putin einerseits zu böse ist, als dass Opel-Mitarbeiter ihren Job behalten
dürften, arabische Despoten jedoch andererseits ok sind?
„Vorwärts immer,
rückwärts nimmer!“
Griechenland taumelt zwischen Notkrediten und möglichen Kapitalverkehrskontrollen,
da zaubern am Montag EU-Spitzenrepräsentanten doch einen Zehnjahresplan zur
Eurovertiefung hervor, wie um zu beweisen, dass die Währungsunion irreversibel
ist, den Euro in seinem Lauf also weder Ochs noch Esel aufhalten (frei nach
Erich Honecker). Bizzarer geht es nicht. Die FAZ hat erkannt, dass die demokratische Willensbildung zugunsten
der Finanzmafia abgeschafft werden soll. Sie schreibt: „Die Autoren, vor allem Kommissionspräsident Juncker und
Parlamentspräsident Schulz, wollen langfristig den ESM von einer
zwischenstaatlichen zu einer Gemeinschaftsinstitution machen – weil ja bisher
die Entscheidungsstrukturen des Fonds so kompliziert seien. Gemeint ist: Zu
dumm, dass nationale Parlamente die ESM-Kredite billigen müssen.“
Beachten
Sie bitte dazu den Lektüretipp der Woche.
Der Edward Snowden-Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald
fragt sich, warum das Charleston-Massaker, bei dem von einem weißen Rassisten
neun schwarze Kirchenmitglieder ermordet wurden, nicht als Terrorismus
eingestuft wird, während entsprechend bei einem vergleichbaren Attentat eines
Moslems auf weiße Kirchenmitglieder der Terrorbegriff selbstverständlich angewendet
würde.
Der US-amerikanische Journalist schlussfolgert: „Terrorismus ist ein Begriff, der nichts
bedeutet und aber alles rechtfertigt. Es ist unglaublich, dass ein Begriff, der
so leicht und häufig manipuliert wird und frei von einer konkreten Bedeutung
ist, heute unsere politische Kultur und unser Denken bestimmt.“
Der ehemalige CIA-Mitarbeiter Graham Fuller führt weiter
aus: „Auch wenn es eine Religion namens
Islam und einen Propheten namens Mohammed nie gegeben hätte, wäre der Zustand
der Beziehungen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten heute nicht wesentlich
anders. Das mag unserer Intuition zuwiderlaufen, macht aber einen wesentlichen
Unterschied deutlich:
Es gibt ein Dutzend gute Gründe neben dem Islam und
der Religion, warum die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten
schlecht sind: die Kreuzzüge (ein wirtschaftliches, soziales und geopolitisches
Abenteuer des Westens), den Imperialismus, den Kolonialismus, die westliche
Kontrolle über die Energievorräte im Nahen Osten, die Installierung
prowestlicher Diktaturen, die endlosen politischen und militärischen
Interventionen des Westens, neu gezogene Grenzen, die Schaffung des Staates
Israel durch den Westen, die amerikanischen Kriege und Invasionen, die
beharrlich einseitige Haltung Amerikas in der Palästinenserfrage und so weiter.
Es stimmt, dass
die Reaktionen aus der Region zunehmend in religiöse und kulturelle, das heißt
muslimische oder islamische Begriffe gekleidet werden. Das ist nicht
überraschend. In jeder großen Auseinandersetzung will man die eigene Sache mit
den höchsten moralischen Begriffen rechtfertigen. Das haben die christlichen
Kreuzfahrer genauso gemacht wie der Kommunismus mit seinem Kampf für ‚das
internationale Proletariat‘.“
Quelle: LE
MONDE diplomatique

 

 

Das schwarze Schaf der Woche
„Moi president, je legaliserai la surveillance
de masse.“
Der französische Sonnengott Francois Hollande legalisiert
 kurz nach den Wikileaks-Enthüllungen
darüber, dass die französische Staatsspitze jahrelang von der NSA abgehört
wurde – ­die Massenüberwachung, wodurch den Geheimdiensten ermöglicht wird,
Abhöraktionen ohne jede richterliche Kontrolle durchzuführen. Wie bestellt, am
Freitag dann ein Anschlag auf eine Gasfabrik bei Lyon. Francois Holland tritt
unmittelbar darauf vor die Presse und sagt wörtlich: „Es ist ein Terrorangriff,
da gibt es keinen Zweifel!“
Die Neue Zürcher
Zeitung
fühlt sich dennoch von den Geheimdiensten gelangweilt: „Der
Erkenntniswert der nun aufgedeckten NSA-‘Highlights’ ist äußerst bescheiden.
Wen überrascht es ernsthaft, dass Hollande gleich nach seiner Wahl Beratungen
über die Euro-Krise aufnahm? Und weshalb verfasste ein NSA-Beamter eine
Depesche darüber, dass sich Hollande mit führenden deutschen Sozialdemokraten
treffen wollte, wenn dasselbe doch auch in der Zeitung zu lesen war? Die ungewollte Ironie gipfelt in einer
NSA-Analyse von 2008 mit dem Titel ‚Sarkozy hält sich für den Einzigen, der die
Weltfinanzkrise bewältigen kann’. Wer den umtriebigen Staatschef damals
beobachtete, musste zwangsläufig zum selben Schluss kommen – ganz ohne
Abhörtechnik.”
 
Das weise Schaf der Woche
Der US-Kriegsminister ruft die
Europäer dazu auf, sich der russischen Aggression entgegenzustellen. Dabei
hätten die Europäer allen Grund, sich der Aggression der USA entgegenzustellen.
Der Großmeister der US-Diplomatie, George Kennan, bezeichnete die Osterweiterung
der NATO als den größten Fehler der US-Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg,
weil sie einen neuen Kalten Krieg zur Folge habe. Die US-Diplomatin Victoria
Nuland sagte, wir haben über fünf Milliarden Dollar aufgewandt, um die Ukraine
zu destabilisieren. Sie zündeln immer weiter und Europa bezahlt mit
Umsatzeinbrüchen im Handel mit Russland und dem Verlust von Arbeitsplätzen.
‚Fuck the EU‘, sagte die US-Diplomatin Nuland. Wir brauchen eine europäische
Außenpolitik, die den kriegstreibenden US-Imperialismus eindämmt! Fuck the
US-Imperialism.“
Der Linken-Politiker Oskar Lafontaine
findet auf seiner Facebook-Seite klare Worte zum Besuch des
US-Verteidigungsministers Ashton Carter in Berlin.
Mein Lektüretipp
der Woche:
http://alles-schallundrauch.blogspot.de/2015/03/wir-wollen-demokratie-ohne-faschismus.html
Claus Folger
Frankfurt am Main
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare hierzu.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.