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ProMosaik e.V. im Gespräch mit Reto Thumiger von Pressenza Deutschland


Liebe Leserinnen und Leser,
anbei  ein wichtiges Interview zu wichtigen Themen wie Humanismus und Pazifismus mit Herrn Reto Thumiger von Pressenza Deutschland.

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare hierzu an info@promosaik.com

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.




Dr. phil. Milena Rampoldi: Was bedeuten für dich persönlich Humanismus und Neo-Humanismus?
Herr Reto Thumiger: Für
mich besteht der Humanismus in erster Linie aus drei Punkten: der Mensch ist zentraler Wert, der Gewaltfreiheit und daraus den
anderen so zu behandeln wie ich selber behandelt werden möchte.  Vor allem der letzte Punkt fasst für mich den
Lebensstil des Universellen Humanismus zusammen.
Persönlich
bin ich einfach des Leides müde, in mir und um mich herum. Ich weigere mich den
Mythos zu akzeptieren, das Leiden sei ein integraler Bestandteil des
Lebens  und  Gewalt gehöre zum Menschen. Ziel des
Humanismus ist Schmerz und Leiden zu überwinden, und dazu müssen wir Gewalt und
Diskriminierung überwinden und zur sozialen Gerechtigkeit finden, und zwar
nicht nur hier in Deutschland oder Europa, sondern auf der ganzen Welt.  Es wird keinen weiteren Fortschritt  geben, wenn er nicht einen Fortschritt für
ALLE bedeutet.
Im
Gegensatz zum säkulären Humanismus ist die innere Welt des Menschen für den
Universellen Humanismus von großer Bedeutung. Eine tiefgründige Veränderung des
Menschen und der Gesellschaft benötigt zwangsläufig eine innere Dimension. Der
Mensch ist nicht nur Haut, Fleisch und Knochen, er ist ein geistiges, ein
spirituelles Wesen. Der Rationalismus hat zu einer Entfremdung vor allem in der
westlichen Hemisphäre geführt. Aus der tiefgründigen Inspiration in uns
schöpfen und in der Gesellschaft handeln, oder anders gesagt mit den Füssen
fest auf dem Boden stehen,  mit dem Kopf
im Himmel.
Dr . phil. Milena Rampoldi: Welche Hauptziele verfolgst du mit deinem Engagement für das Presseportal
Pressenza?
Herr Reto Thumiger: Es
gibt zahlreiche Friedensprojekte in der Welt. Pressenza aber ist ein neuer
Ansatz in einem Gesellschaftsbereich, den Medien, an den  sich noch kaum jemand rangewagt hat. Jeder
weiß ganz intuitiv, dass die Medien von der Gewalt in ihren verschiedenen
Formen leben. Sie zehren praktisch davon.
Als
ich 5 Jahre alt war, hatte ich meine Eltern dazu gebracht mich erst nach den
abendlichen Nachrichtensendungen ins Bett zu schicken. Die Tagesschau fand ich
aber schrecklich langweilig und da zu der Zeit allabendlich die Bilder des
Jom-Kippur-Krieges zu sehen waren, fragte ich meinen älteren Bruder, wann denn
dieser Krieg endlich zu Ende sei, in  dem
Glauben, dass es dann auch keine Nachrichtensendung mehr geben würde. Er
erklärte mir dann geduldig, dass es immer irgendwo Krieg gäbe und darum auch
immer Nachrichten geben wird. Das liest sich nun natürlich amüsant, der kleine
Junge, der glaubt nach dem Ende eines Krieges sind auch die langweiligen
Nachrichtensendungen zu Ende und die Bahn frei für spannendere Filme und die
etwas altkluge Erklärung des älteren Bruders. Abgesehen davon, dass es für mich
ein prägender Moment für mein späteres Engagement für die Gewaltfreiheit war,
da ich in diesem Moment zum ersten Mal die Gesellschaft in Zweifel zog und
spürte, dass etwas mit ihr nicht stimmt, zeigt die Anekdote aus meinem Leben
auch wie früh im Kopf eines Kindes die Verknüpfung Krieg sind Nachrichten und
ohne Krieg keine Nachrichten, entsteht. Nun muss man das Wort Krieg nur mit
Gewalt austauschen und schon sind wir bei der heutigen Medienrealität
angelangt.
Nun
wissen wir auch, dass die Medien nicht nur Realitäten abbilden, sondern auch
Realitäten schaffen. Diese gewaltsuchenden Augen der Journalisten, nennen wir
es mal den gewaltvollen Blick, fördern und erzeugen Gewalt.
Bei
Pressenza suchen wir nach Konfliktlösung, nach Versöhnung, nach Entspannung,
alles was verbindet, Faktoren, die Gewaltfreiheit und Frieden fördern und
berichten darüber. Es geht hier nicht nur darum worüber wir schreiben, sondern
wie wir darüber schreiben, mit einem gewaltfreien Blick eben. Das Hauptziel von
Pressenza ist es zur Überwindung der Gewalt beizutragen.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist der Journalismus für den Frieden und die Menschenrechte heute
inmitten eines kalten Kriegs- und Machtjournalismus?
Herr Reto Thumiger: Wir
durchleben ja gerade einen sehr kritischen Moment. Erneut gibt es einen
militärischen Konflikt in Europa als ein Resultat der zunehmenden Aggression
zwischen militärischen Großmächten. Auf die Hintergründe will ich jetzt gar
nicht eingehen. In dieser Situation spielen die Medien eine äußerst wichtige
Rolle und werden zum Propagandainstrument, mittels dem die Bevölkerung auf
einen militärischen Konflikt vorbereitet und eingestimmt werden soll. 

Viele Journalisten und Journalistinnen erlernen ihren Beruf mit hehren
Absichten, die dann angesichts der redaktionellen Linie vieler Medien auf der
Strecke bleiben. Zurück bleiben frustrierte Bezahljournalisten, die sich
instrumentalisieren lassen, anstatt aufzudecken, wahre Schuldige anzuklagen und
die verschiedenen Seiten eines Konfliktes zu zeigen. Den Journalisten wird ja
beigebracht Distanz zu halten, auch zu den „guten“ Sachen. In Momenten der
Krise wie dieser müssen die Journalisten aus ihrer „Berichterstatter-Position“
heraustreten und Stellung beziehen und zwar für den Frieden und die
Gewaltfreiheit. Journalisten sind auch Zivilbürger und können sich nicht hinter
einem Presseausweis verstecken, während sie gleichzeitig mithelfen einen Krieg
herbeizuschreiben. Ich denke da zum Beispiel an Gabriel Krone-Schmalz,
ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, oder Ken Jebsen, ehemaliger Moderator
von RBB, die diesen Schritt der Verantwortung gemacht haben.
Es
gibt Momente in der Geschichte an denen die Gesellschaft auf der Kippe zwischen
Fortschritt oder Rückschritt, zwischen Frieden oder Gewalt, zwischen dem Ja
oder Nein zum Leben steht. Der Journalismus und die Medien können das Zünglein
an der Waage sein und darum ist ein Journalismus für Frieden und Gewaltfreiheit
von größter Bedeutung.
Pressenza
ist zwar eine kleine Nachrichtenagentur, entwickelt sich aber zunehmend zu
einem anerkannten Pressedienst mit vertrauenswürdigen Inhalten um die Themen
Frieden, Abrüstung und Gewaltfreiheit. Pressenza will die etablierten Medien
mit Artikel zum Frieden „füttern“ und zu einer differenzierten
Berichterstattung beitragen. Ausserdem suchen immer mehr Menschen  nach Informationen und Standpunkten außerhalb
der manipulierten Massenmedien, diese Menschen will Pressenza mit seriösem
Journalismus für den Frieden bedienen. Außerdem bilden wir junge
Medienschaffende für einen Journalismus des Friedens und der Gewaltfreiheit
weiter.
Somit
fördern wir eine wachsende weltweite Sensibilität die Gewalt und
Diskriminierung ablehnt. 
Dr. phil. Milena Rampoldi: Welche Strategien siehst du, um diesen positiven Journalismus für den Frieden
und die Menschenrechte hörbarer zu machen?
Herr Reto Thumiger: Wir
sind ja nicht alleine da draußen mit unserem Bestreben nach einer gewaltfreien
Gesellschaft. Das ist ja gerade das Problem. Die etablierten Medien vermitteln
uns das Bild, dass die Welt voller spatzenhirniger Idioten mit Keulen und
Kanonen sei, Massen von Menschen voller Hass und Ablehnung. Was für eine Lüge
uns da tagtäglich aufgetischt wird, ein hässliches Zerrbild der Realität. Dabei
gibt es viel mehr friedensliebende, tolerante und solidarische Menschen. Eine
große Mehrheit will Krieg und Gewalt überwinden. Es gibt so viele Initiativen,
Gruppen, Organisationen und Einzelkämpfer, die sich tagtäglich dafür engagieren.
Ganze Bewegungen wie die Empörten in Spanien zum Beispiel.
Damit
diese verzerrte Wahrnehmung korrigiert werden kann, müssen wir uns vernetzen,
verbinden, Informationen teilen, weiterleiten und weitertragen. Vor allem
müssen wir miteinander reden im realen Leben und in den sozialen Medien bis
eine Dynamik und eine Strömung entsteht. Ein gemeinsamer Ruf nach Frieden, der
nicht mehr überhört werden kann. Deshalb ist Pressenza  auch ein offenes Projekt, jeder kann sich
beteiligen und mithelfen.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Was hast du aus Afrika für dein Leben und dein Denken mitgebracht?
Herr Reto Thumiger: Diese
Frage umfassend zu beantworten, würde definitiv den Rahmen dieses Interviews
sprengen. Was mir aber am meisten Eindruck gemacht hat, war  in Südafrika das Konzept des Ubuntu kennen zu
lernen. Vielen kommt bei dem Wort ja ein Linux-Betriebssystem in den Sinn.
Ursprünglich kommt das Wort aus der Sprache der Zulu und fasst ein ganzes
philosophisches Konzept zusammen. Der Mensch wird nicht als ein unabhängiges
Individuum verstanden, sondern ist ein untrennbarer Bestandteil eines
lebendigen Netzwerkes, jeder ist mit jedem verbunden und Teil eines Ganzen.
Wenn jemand Gewalt ausübt und eine oder mehrere Personen Schaden zufügt, dann
ist die Einheit beschädigt und das betrifft alle. Wenn nun an dem Täter Rache
geübt wird, wurde nichts gelöst, im Gegenteil der Schaden am Ganzen hat sich
verdoppelt. Der Schaden kann nur wieder gut gemacht werden in dem man heilt und
versöhnt. Nur so wird die Ganzheit wiederhergestellt. Mich hat dieses Denken
sehr beeindruckt und auch betroffen gemacht, wie armselig unsere
Auge-um-Auge-Mentalität im Vergleich dazu ist.
So
ist es für mich nicht verwunderlich, dass die fantastische Arbeit, die die
Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika zur Aufarbeitung des
Apartheid-Regimes geleistet hat und meines Wissens die erfolgreichste seiner
Art ist, nicht in der jüdisch-christlich-muslimischen Kulturen sondern in der
afrikanischen Ubuntu-Kultur gründet.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie beginnt eine Kultur des Friedens und der Toleranz im Umkreis von jedem von
uns?
Herr Reto Thumiger: Eine
Kultur der Gewaltfreiheit beginnt in uns selbst und zwar indem man genug hat
vom Leiden und der Gewalt. Leiden hat seine Wurzeln immer in der Gewalt.
Es
ist notwendig die Gewalt in einem selbst zu erkennen, die die man selber
ausgeübt hat und immer noch ausübt und auch die Gewalt die man erfahren hat und
man immer noch erleidet. Hier geht es nicht nur um körperliche Gewalt,
selbstverständlich, sondern um Gewalt in all ihren Formen (psychologische,
sexistische, rassistische, wirtschaftliche, religiöse etc.). Außerdem muss ich
anfangen zu verstehen wie Gewalt in meiner Kultur verwurzelt ist. Die Kultur,
in der ich aufgewachsen bin, ist immer ein Teil von mir, egal ob ich sie
annehme oder ablehne und die Gewalt durchdringt jede Kultur auf dieser Welt.
Erst
ein Entschluss nicht mehr leiden zu wollen und dann eine kleine Anstrengung der
Reflexion über die Gewalt. So fängt es an und das wird mir erst ermöglichen,
mich mit mir selber und mit anderen Menschen zu versöhnen und damit meine ich  versöhnen und nicht vergeben. Daraus werden
sich die weiteren Handlungen in meinem persönlichen Umfeld und in der
Gesellschaft ergeben.