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ProMosaik e.V. interviewt Johanna Heuveling von Welt ohne Kriege


Liebe
Leserinnen und Leser,
heute
möchte ich Ihnen das wunderschöne Interview mit Frau Johanna Heuveling
vorstellen, die Sie vielleicht aus ihrem Artikel kennen, den wir vor kurzem auf
Italienisch auf unserem Portal präsentiert haben.
 
Ich
habe Johanna mit dem Ziel interviewt, neue Impulse für den pazifistischen Diskurs
in einer von Gewalt geprägten Welt zu finden und um den Begriff der Versöhnung
erneut zu durchdenken. Die Tatsache, dass es immer eine Alternative zu Krieg
und Gewalt gibt, soll zu einem universalen pädagogischen Grundsatz werden. Dies
ist mein Wunsch, während ich diese Zeilen schreibe.
Übergebe
nun Johanna das Wort…. Hier sehen Sie die Berlinerin vor der Mauer in Betlehem,
eine Mauer, die fallen muss, wie Roger Waters so schön singt.
Danke
fürs Lesen und Teilen
Dr.
phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Liebe Johanna, als Pazifistin plädierst du für die
Versöhnung zwischen Juden und Palästinensern. Welche Strategien siehst du
derzeitig, um dieses Ziel zu erreichen? Wie lässt sich der Jahrzehnte lange
Hass überwinden?
Frau
Johanna Heuveling: Erstens einmal ist die Grundlage für meine Hoffnung auf
Versöhnung, dass ich mir sicher bin, dass 90% der Menschen, Israelis und
Palästinenser, in Frieden miteinander leben wollen und dafür auch einiges tun
würden. Im Endeffekt hängt die Lebensgrundlage der „normalen“ Bevölkerung auf
Dauer vom Frieden ab. 
Gleichzeitig
haben sie aber totale Angst voreinander und Wut aufeinander. Die andere Seite
sei rachsüchtig, aggressiv, gewalttätig. Alle Geschichten, die sie kennen, die
Medien, die Politiker geben ihnen Recht und die Konsequenz ist immer eine noch größere
Abschirmung.
Daher
war am auffälligsten für mich, dass beide Bevölkerungsgruppen überhaupt keine
Ebenen, Foren oder Räume haben, um zusammenzukommen, sich auszutauschen und
kennenzulernen. In mehreren Situationen fungierte ich, die komplette Außenseiterin,
als Übermittlerin von Informationen zwischen Israelis und Palästinensern. Das
ist verrückt! Ich kann mich jederzeit mit Leuten in der Westbank oder in Israel
in Verbindung setzen, aber untereinander haben diese engen Nachbarn keinerlei Anknüpfungspunkt.
Selbst die muslimische Bevölkerung in Israel hat mit der jüdischen nicht viel
zu tun. 
Dabei fand ich, dass beide Seiten extrem neugierig aufeinander sind.
Daher
sehe ich als wichtigste Strategie eine Annäherung auf menschlicher Ebene. Ich
habe oft an die Franzosen und die Deutschen Anfang des letzten Jahrhunderts
denken müssen, die sich so sehr gehasst haben, dass sie sich zu zwei Weltkriege
verführen liessen mit unglaublichem Gemetzel. Nach dem zweiten wurde man
endlich schlau (oder hatte andere Interessen) und initiierte die „Deutsch-Französische
Freundschaft“. Die jeweils andere Sprache wurde massiv in den Schulen
unterrichtet, es wurden zahlreiche Austauschprogramme und Kooperationen auf
politischer, kultureller und wissenschaftlicher Ebene gefördert. Vor allem
junge Menschen wollte man zusammenbringen. Heutzutage können wir uns nicht mehr
vorstellen, gegeneinander Krieg zu führen. Man hat drüben Freunde und Verwandte.
Auch wenn jemand monieren mag, dass es sich hierbei um den gleichen oder
ähnlichen Kulturkreis handelt, waren die relativen Differenzen Anfang des
letzten Jahrhunderts doch sehr groß. 
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Wie glaubst du lässt sich die Dynamik Täter-Opfer-Täter
wie Amos Oz sie beschreibt als Paradigma nutzen, um sich für den Frieden
einzusetzen?
Johanna
Heuveling: Ich war so froh, dass ich das gefunden habe, was Amos Oz schreibt.
Das ist sicherlich nicht die einzige Wahrheit, aber jeder von uns kennt das,
wenn man so verbohrt ist in der Meinung, dass alle einem nur böses wollen, dass
man gar nicht fähig ist zu erkennen, was der andere eigentlich wirklich will.
Beide Seiten, Araber und Juden, waren bei Staatsgründung extrem traumatisiert.
Die einen durch den Holocaust, die anderen durch Kolonialisierung und
Ausbeutung. Das sind denkbar schlechte Ausgangsbedingungen. Wie sich das nutzen
lässt, weiß ich nicht. Die Erkenntnis ist einfach wichtig und daher sollte man
von diesen historischen Dynamiken, die es ja überall gibt, viel mehr schreiben
und erklären. Historie nicht nur punktuell betrachten, sondern immer
prozesshaft. Und natürlich sollte man in den Schulen darüber lernen und
diskutieren. Eine große Hoffnung kann man immer in die nächsten Generationen
setzen, wenn es schon die Opfer-Täter Generation häufig nicht schafft, den Hass
zu überwinden. Die Kinder erben nicht immer nur den Hass. Manchmal fangen sie
auch an, gegen ihre Elterngeneration zu rebellieren. Da sind die deutschen 68er
ein gutes Beispiel. In Israel hat man das in Ansätzen bei den jüngsten
Protesten in Tel Aviv gesehen, die um weit mehr gingen als nur hohe Mieten. Ein
Haifaner Freund hat mir gesagt: „Zumindest ist jetzt jedem in Israel klar, dass
unsere politische Elite korrupt ist. Das war vorher nicht so.“
Quelle: The Guardian
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Wie lässt sich Frieden im Leben der kleinen Leute
aufbauen, jenseits der Politik und der Waffenlobbies?
Johanna
Heuveling: Ich denke, dass von der Führungsebene aus, sowohl in Israel, als
auch in Gaza-Palästina, kein Interesse an Frieden besteht. Warum auch immer. Sonst
wären schon längst nahe liegende Programme wie zum Beispiel oben beschrieben,
begonnen worden. Man muss damit rechnen, dass entsprechende Bemühungen von dort
immer sabotiert werden. 
Daher
glaube ich, dass es wichtig ist, dass die Menschen erkennen, dass sie sich auf
diese Führer nicht verlassen können und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen
müssen. Es reicht, wenn eine signifikant hohe Anzahl Menschen aktiv wird,
versucht Kontakt zur anderen Seite aufzunehmen, in die anderen Gebiete zu
reisen, kleine Begegnungsprojekte zu initieren. Das Internet macht auch vieles
möglich. Es gibt bereits vielversprechende Projekte, die auf solchen
Eigeninitiativen beruhen, die allerdings noch zu punktuell sind, um
ausschlaggebend zu sein.
Auch
wir können etwas tun, indem wir zum Beispiel Israelis und Palästinenser zu uns
einladen, so dass sie sich auf neutralem Boden begegnen können. Wir können als
Brücke fungieren. Und vielleicht wäre das sogar bei der Verantwortung, die
Europa in der ganzen Geschichte hat, sehr richtig.
Das
klingt vielleicht in manchen Ohren sehr zahm und lasch, aber in Wirklichkeit
erfordert es sehr viel Mut. Es bedeutet, genau das Gegenteil von dem zu machen,
was einem die Angst und Wut vorgibt zu tun. Nicht wegrennen, sich verbarrikadieren,
mit Waffen eindecken und Gewalt ausüben, sondern unbewaffnet und mit offenem
Herzen auf den anderen zugehen. Sich den Argumenten und Gefühlen der anderen
stellen. Man kann sich auch sicher sein, dass gewalttätige Kräfte beider Seiten
vor Anschlägen gegen solche Initiativen nicht zurückschrecken werden. Und man
muss auch mit Gegenwind von seinen liebsten Menschen rechnen. Es erfordert also
in jeder Hinsicht harte Arbeit und sehr viel Mut und Ausdauer. Daher wird es
auch wichtig sein, sich zu vernetzen, um geschlossen und entschlossen
aufzutreten.
Ich
weiß nicht, ob das realistischerweise passieren wird, aber ich habe darin mehr
Hoffnung als in die Politikerebene.
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Welche sind die wichtigsten Ziele von Welt ohne Kriege?
Frau
Johanna Heuveling: Vollständig heißt unsere Organisation „Welt ohne Krieg und
Gewalt“. Krieg ist nur eine extreme Form von Gewalt. Es gibt genauso die
ökonomische, sexuelle, psychologische, religiöse Gewalt… Wann immer sich
Menschen über andere Menschen stellen (aufgrund dessen, dass sie reicher,
männlicher, religiöser oder was auch immer sind) und sie in ihren Rechten und
Freiheiten einschränken oder sie für ihre Zwecke benutzen, ist das Gewalt. So
gesehen haben wir eine sehr gewalttätige Vergangenheit und Gegenwart.
Wir
denken, dass wir daran arbeiten müssen, diese Gewalt zu überwinden, weil sie
dem Menschen (auch dem Gewalttäter) viel Schaden zufügt und weil wir in der
heutigen Welt mit Massenvernichtungswaffen, ökonomischen und ökologischen
Katastrophen keine Möglichkeit zum Überleben haben, wenn wir diesen archaischen
Mechanismus nicht überwinden lernen. Es geht dabei einmal um das Erkennen der
Mechanismen der Gewalt im alltäglichen, persönlichen Leben (wo bin ich Gewalt
ausgesetzt?, wo übe ich selbst Gewalt aus?) und in den gesellschaftlichen
Zusammenhängen. Und dann geht es um das Erlernen von Instrumenten zur
Überwindung der Gewalt durch Versöhnung und gewaltlosen Aktivismus. Dafür machen
wir Workshops, Seminare, Lesungen, wir studieren bestimmte Themen intensiv und
veröffentlichen unsere Erkenntnisse und wir organisieren Veranstaltungen wie
Festivals, Demonstrationen, Filmpreise, etc.
Welt
ohne Kriege ist international und hat 2009 einen weltweiten Marsch für Frieden
und Gewaltfreiheit initiiert. Ansonsten arbeiten die verschiedenen Gruppen in
ihren Ländern und Orten und thematisieren die Formen der Gewalt, die bei ihnen
die vorrangigsten sind.
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist die Vernetzung pazifistischer
Organisationen und Initiativen und warum?
Frau
Johanna Heuveling: Vernetzung ist wichtig, um eine größere Sichtbarkeit und
Kraft für ein bestimmtes Thema zu erreichen. In bestimmten Momenten können so
tolle Dynamiken entstehen, die zu solchen Phänomenen wie den Indignados oder
Occupy führen. Solche Ereignisse sind zwar nur vorübergehend sichtbar, aber sie
verändern immer etwas in den kollektiven Vorstellungen und in der nachfolgenden
Zusammenarbeit der Menschen. Aus 15M sind zahlreiche Initiativen
hervorgegangen, die jetzt in ihren jeweiligen Stadtteilen aktiv sind.
In
Deutschland haben die Organisationen leider untereinander häufig irgendwelche
Animositäten und daher klappt es schon seit Jahren nicht wirklich, hier eine
große Bewegung auf die Beine zu stellen. Im Bereich von freiwilligem
ehrenamtlichen Engagement mit Einzelpersonen zu arbeiten dagegen macht viel
Freude, weil es ein Bereich in der Gesellschaft ist, der weitgehend ohne
Abhängigkeit von Geld funktioniert. Jeder macht seine Sache aus Überzeugung und
nicht, weil er seine Miete davon zahlen muss. Dadurch fallen viele
Konkurrenzgedanken weg und man freut sich einfach, wenn jemand anders etwas Schönes
auf die Beine stellt und unterstützt ihn darin. In diesem Bereich gibt es
einige gute Projekte in Deutschland.
Aber
um eine wirkliche Veränderung in Bezug auf die brisanten Themen bei uns mal ins
Rollen zu bringen: Waffenhandel, Militarisierung der BRD, ökonomische Krise
etc. braucht man eine Vernetzung auf allen Ebenen.
Dr.
phil. Milena Rampoldi: Welche Ziele verfolgst du in deiner Arbeit für den
Frieden in der nahen Zukunft?
Frau Johanna Heuveling: Momentan schreibe ich vor allem für
Pressenza, weil ich herausgefunden habe, dass ich das noch am besten kann. Ich
möchte einfach gerne vermitteln, dass es immer andere Möglichkeiten gibt als
diejenigen, die man uns als alternativlos präsentiert, dass es immer wichtig
ist, alle Hintergründe und Beweggründe gut zu verstehen, und dass es viele
positive Beispiele überall gibt, die häufig zu wenig wahrgenommen werden. Ich
habe den Eindruck, dass der Glaube an gewalttätige Lösungen zur
Konfliktbekämpfung, speziell in Deutschland, wieder zunimmt. Da muss man mit
Argumenten und Beispielen dagegen halten.
Sonst möchte ich wieder mit Workshops zum Thema Gewalt und
Versöhnung anfangen, weil ich damit unglaublich gute Erfahrungen gemacht habe.
Viele Teilnehmer (egal ob in einem afrikanischen Slum oder in Deutschland)
sehen plötzlich Möglichkeiten, spezielle bedrückende Lebenssituationen zu
verändern, die sie vorher nicht gesehen haben. Das macht sehr viel Spaß. Und
selbst bin ich damit auch noch längst nicht fertig.